Ein weiterer Schritt zu einer umfassenden nationalen Gendatenbank
Das oberste britische Gericht hat entschieden, dass die Polizei auch die DNA-Proben von Unschuldigen unbegrenzt aufbewahrt werden dürfen, während die Frage diskutiert wird, das Genprofil jedes Neugeborenen zu speichern
Die britische Polizei kann seit dem 2001 in Kraft getretenen Criminal Justice and Police Act 2001 von jedem Menschen, der einer Straftat angeklagt wird, aus dem Blut oder dem Speichel DNA-Proben entnehmen, um das genetische Profil in die Nationale Datenbank einzugeben und dort unbefristet zu speichern (Britische Regierung will Nationale Gendatenbank der Polizei erweitern). Verwendet werden darf es nur zum Zweck der Strafverfolgung. Die britische Regierung will das Sammeln von DNA-Proben auf alle Menschen erweitern, die aus irgendeinem Grund festgenommen werden (Großbritannien baut Nationale Gendatenbank aus). Das Oberste Gericht hat nun erst einmal bestätigt, dass auch die DNA-Proben von Menschen, die nicht verurteilt wurden, unbegrenzt gespeichert werden können.
Großbritannien hatte die weltweit erste nationale Gendatenbank für Straftäter. Sie wurde 1995 vom Forensic Science Service (FSS) aufgebaut und enthält jetzt bereits die genetischen Profile von über 2,2 Millionen Menschen und 225.000 Proben von Orten, an denen Verbrechen verübt wurden. Mittlerweile sammeln nicht nur Polizisten DNA-Proben, sondern auch Angestellte bei Bahn, U-Bahnen und Bussen. Sie wurden mit Utensilien ausgerüstet, um DNA-Proben nehmen zu können. Das soll abschreckend für die aggressiven Kunden sein, die beispielsweise das Personal anspucken.
Das britische Innenministerium setzt jedenfalls auf den Ausbau der nationalen Gen-Datenbank. Jede verfügbare genetische Identität könnte einen Straftäter überführen. Als erster Schritt sollen daher auch DNA-Proben von denjenigen, gesammelt und in die Datenbank auf unbestimmte Zeit eingespeist werden, die nicht einmal einer Straftat angeklagt oder als unschuldig wieder freigelassen werden. Und das ist nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts vom Ende letzter Woche auch rechtens.
Den Menschenrechten wäre damit gedient, die Gendatenbank weiter auszubauen
Den fünf Lordrichtern lagen die Fälle von zwei Personen vor, denen bei der Festnahme DNA-Proben entnommen wurden. Da sie nicht bestraft wurden, verlangten sie die Vernichtung der Proben und die Löschung aus der Datenbank. Bei einem Fall handelt es sich um einen Jungen, der als 11-Jähriger des versuchten Raubs angeklagt wurde. Die Klage wurde aber nach einem Verfahren zurückgezogen. Bei dem anderen Fall wurde einem Mann eine DNA-Probe entnommen, nachdem seine Partnerin ihn wegen Belästigung angezeigt hatte. Allerdings versöhnten sich beide wieder, die Frau zog ihre Anzeige zurück, der Mann verlangte dann von der Polizei, seine DNA-Probe und die Fingerabdrücke zu vernichten. Der Vertreter der Angeklagten kritisierte, dass die Blanko-Erlaubnis, Proben auch von allen Menschen zu speichern, die nicht unter Verdacht stehen, unverhältnismäßig sei und gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Die Polizei müsse jeden Fall einzeln bewerten.
Das Gericht entgegnete, dass dies nicht realistisch sei. Es ein hingegen von größter Bedeutung, dass die Strafverfolgungsbehörden die modernen Techniken benutzen können: "Sie macht es möglich, dass der Schuldige entdeckt und der Unschuldige schnell von den Untersuchungen ausgeschlossen wird", erklärte Lord Steyn. Es seien ausreichende Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden, um einen Missbrauch oder eine Verletzung des Datenschutzes zu verhindern. Überdies würde die Unschuldsvermutung weiter gelten, auch wenn die Polizei Fingerabdrücke und DNA-Proben besitzt.
Lord Brown wurde in seiner Begründung noch deutlicher. Nach seiner Ansicht gebe es keinen Grund, warum die Polizei die DNA-Proben nicht aufbewahren sollte. Der einzige Einwand wäre, dass die Polizei bei künftigen Straftaten es leichter hätte, den Verantwortlichen zu identifizieren, was aber kein berechtigter Einwand sei. Insgesamt seien die Vorteile so groß und die Einwände so gering, dass man der Sache der Menschenrechte besser dienen würde, wenn man die Datenbank weiter ausbauen würde: "Je größer die Datenbank, desto weniger wird gefordert werden, die üblichen Verdächtigen festzunehmen."
Tatsächlich könnte es sich, wie auch die Bürgerrechtsorganisation Liberty vermutet, nur um einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer alle Bürger umfassenden nationalen Gen-Datenbank handeln. Die Organisation hatte die Klage unterstützt und darauf hingewiesen, dass eine DNA-Probe im Unterschied zu Fingerabdrücken oder dem DNA-Profil sehr viel mehr persönliche Informationen, beispielsweise über latente genetische Risiken oder sogar über genetisch bedingte Verhaltensmerkmale, enthalten kann. Lord Steyn wies diese Befürchtungen jedoch zurück und sagte, dass künftige wissenschaftliche Entwicklungen später rechtlich berücksichtigt werden könnten, aber jetzt keinen Einfluss haben dürfen.
Abschreckung und Gesundheitsvorsorge
Gefordert wurde freilich bereits vom Direktor der Police Superintendents Association of England and Wales (PSAEW) im letzten Jahr eine nationale Datenbank für den genetischen Fingerabdruck aller Bürger. Die Entnahme von DNA-Proben sollte verordnet werden. Eine solche Datenbank würde nicht nur Verbrechen schneller aufklären lassen, sondern auch zur Verhinderung dienen. Er wiederholte freilich nur einen Wunsch, der schon früher aus den Reihen der Polizei zu hören war (Die Wünsche der Kontrolleure).
Rick Naylor, der neue Präsident der PSAEW, denkt hingegen bereits darüber nach, wie gut doch eine internationale Datenbank mit genetischen Profilen sein würde. Genetische Profile seien nach den Fingerabdrücken der größte Fortschritt für die Strafverfolgung gewesen. Auch er denkt, dass eine Datenbank mit den genetischen Profilen aller britischer Bürger Verbrechen durch Abschreckung verhindern würde.
Vorstöße kommen aber auch aus einer anderen Ecke. So legte die britische Human Genetics Commission in einem Bericht ebenfalls nahe, von allen Bürgern DNA-Proben zu nehmen. Unlängst wurde die Frage wieder aufgegriffen. Man sollte gleich von jedem Neugeborenen ein genetisches Profil anlegen. Das könne dann dazu dienen, Krankheitsrisiken zu reduzieren. Eingerichtet wurde eine Arbeitsgruppe, die Ende des Jahres ihren Bericht vorlegen soll.