Klaus und die Post-Demokratie
Die tschechische Regierung hat die EU-Ratspräsidentschaft übernommen
Zum Anfang des neuen Jahres übernahm die tschechische Regierung den EU-Ratsvorsitz, den sie nun ein halbes Jahr lang inne hat. In diese Zeit fallen unter anderem die Europawahlen Anfang Juni und die Vorbereitung des zweiten irischen Referendums, das im Herbst stattfinden soll. Der tschechische Premierminister Mirek Topolánek kündigte an, dass die sechs Monate unter dem Zeichen der "drei E" stehen würden: "Economy", "Energy" und "Europe in the World". Als spezielles Thema soll dazu unter anderem eine Pro-Kernkraft-Debatte gesetzt werden.
Der Maschinenbau-Ingenieur aus der mährischen Provinz will während der Ratspräsidentschaft auch die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon im eigenen Land durchpeitschen, allerdings befürworten diesen die Abgeordneten seines grünen Koalitionspartners und der oppositionelle Česká Strana Sociálně Demokratická (CSSD) weitaus geschlossener als die seiner eigenen Partei, der Občanská Demokratická (ODS).
Im letzten Jahr hatte der Politikwissenschaftler Petr Just etwa die Hälfte der ODS-Abgeordneten als Vertragsskeptiker eingestuft. Mittlerweile könnte der Anteil jedoch geschrumpft sein. Bei den Regional- und Senatswahlen im Herbst fuhr die Partei verheerende Niederlagen ein. Von den 27 nach Mehrheitswahlrecht neu vergebenen Senatssitzen errang die CSSD 23, die ODS drei und die KP einen. Darüber hinaus verlor die ODS alle 12 Regionalhauptmannsposten, die sie vorher gehalten hatte. Allerdings spielte bei den Wahlen die Europapolitik gegenüber der von der ODS-Regierung betriebenen Gesundheits- und Rentenreform kaum eine Rolle. Auch der Einsatz für eine Beteiligung am US-Raketenabwehrsystem trug nicht dazu bei, die Popularität der Partei zu steigern: Er wird von Zwei Dritteln der Bevölkerung abgelehnt.
Staatspräsident Václav Klaus sprach sich danach relativ deutlich für Topoláneks Absetzung aus. In einer Fernsehdiskussion meinte er, dass die Wahlen "eine Art Referendum über Mirek Topolánek" gewesen seien und die Wähler ihrem Wunsch nach einem Wechsel Ausdruck verliehen hätten. Aus diesem Grunde müsse seine Partei jetzt entscheiden, ob sie mit einem Resultat von "3 zu 23" zufrieden ist. Auf einem ODS-Parteitag Anfang Dezember setzte sich Topolánek allerdings mit 284 zu 162 Stimmen überraschend deutlich gegen seinen Herausforderer um den Parteivorsitz, den Prager Bürgermeister Pavel Bém durch. Bém hatte sich für einen Beschluss ausgesprochen, der den ODS-Parlamentariern eine Unterstützung des Lissabon-Vertrages "nicht empfohlen" hätte. Nach der Abstimmung legte Klaus sein Parteiamt als Ehrenvorsitzender der ODS nieder.
Im November hatte das Oberste Gericht Tschechiens entschieden, dass der Vertrag mit der Landesverfassung vereinbar ist. Seitdem ist der Weg für eine Verabschiedung des Vertrages im Parlament theoretisch frei. Allerdings gibt es auch unter den Lissabon-Befürwortern in der ODS Stimmen, die eine Abstimmung so lange blockieren wollen, bis als Gegenleistung die Zustimmung der Sozialdemokraten zur Beherbergung der Radaranlagen des US-Raketenschutzschilds erfolgt ist.
Eine weitere Ratifizierungshürde enthält der Vertragstext selbst: Er muss einstimmig angenommen werden, worauf Staatspräsident Klaus, dessen Unterschrift ebenfalls benötigt wird, nach der Ablehnung durch das Referendum in Irland wiederholt hinwies. Nachdem die Weltwirtschaftskrise ein vermeintlich günstigeres Klima für eine Annahme schuf, konkretisierten sich allerdings die bereits kurz nach der Niederlage gefassten Pläne für eine zweite Abstimmung auf der Insel.
Methoden wie vor 19 Jahren
Wenn Klaus den Vertrag nach einer Zustimmung der beiden tschechischen Parlamentskammern nicht unterzeichnen sollte, dann tragen möglicherweise auch vier EU-Abgeordnete einen Anteil daran: Martin Schulz, Daniel Cohn-Bendit, Graham Watson und Brian Cowley: Sie lieferten sich im Dezember bei einem Besuch auf der Prager Hofburg eine Art Provokationswettbewerb, dessen Zielobjekt der tschechische Staatspräsident war.
Während Klaus bei dem Empfang erst betonte, dass er es gewesen sei, der den EU-Aufnahmeantrag für Tschechien stellte und dass es für ihn "keine Alternative zur EU-Mitgliedschaft" gebe, warf der SPD-Europaabgeordnete Martin Schulz ihm vor, dass er die "Wahlkampagne zum Europaparlament beeinflussen" würde. Graham Watson, der Chef der liberalen Fraktion im Europaparlament, reizte Klaus mit einer Bemerkung über die Wichtigkeit von Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch, bei der er Tschechisch nicht einmal erwähnte.
Der Grüne Daniel Cohn-Bendit pflanzte dem Präsidenten mit der Attitüde eines Eroberers eine EU-Fahne auf den Tisch und verlautbarte, dass ihn dessen Ansichten zum Vertrag von Lissabon "nicht interessieren" würden, weil Klaus den Vertrag ohnehin unterschreiben müsse. Außerdem warf er ihm vor, dass er bei einer Irlandreise mit Declan Ganley sprach (dem Präsidenten der Libertas-Bewegung, welche die Iren mit Inhalten des Vertrages konfrontiert hatte), dessen Finanzen sich nach Ansicht des Grünen "aus problematischen Quellen speisen". Barsch befahl Cohn-Bendit dem Gastgeber: "In Ihrer Funktion haben Sie sich nicht mit ihm zu treffen." Brian Crowley, ein Abgeordneter der irischen Regierungspartei Fianna Fail, beschuldigte den tschechischen Staatspräsidenten schließlich noch, dass dieser durch sein Treffen mit Ganley "das irische Volk beleidigt" habe, das sich den Vertrag von Lissabon "wünschen" würde.
Klaus zeigte sich von diesen Vorwürfen durchaus beeindruckt – allerdings in anderer Weise, als es die vier Abgeordneten möglicherweise erwartet hatten:
"Ich danke Ihnen für die Erfahrung, die ich mit diesem Treffen mit Ihnen machen kann. Ich habe nicht geahnt, dass so etwas möglich ist, und ich habe so etwas Ähnliches seit 19 Jahren nicht erlebt. Ich dachte, dass das der Vergangenheit angehört, dass wir in der Demokratie leben, aber in der EU funktioniert wirklich eine Post-Demokratie."
Die europäischen Werte Freiheit und Demokratie sah der Staatspräsident nach der Debatte "im Verschwinden begriffen" und stellte fest, dass es zur "inneren Ausgestaltung" der EU sehr wohl Alternativen gibt: "Nur eine von ihnen für heilig, unantastbar zu halten und überdies sie nicht anzweifeln oder kritisieren zu dürfen ist gegen Europa selbst gerichtet." Die EU, so Klaus, könne "nur dann funktionieren, wenn sie ihre eigenen Regeln und Prinzipien respektiert", weshalb es notwendig sei, den abgelehnten Vertrag neu zu verhandeln und die Machtbefugnisse zurückzufahren.