Kleines Debakel mit Gete

Seite 2: Wie kommt Goethe ins neuseeländische Maori-TV?

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Aber wie kann es so was geben? Wie kommt Goethe ins neuseeländische Maori-TV? Tja, ich habe 1982 in der Zeit, 1991 in der Süddeutschen, und 1994 in der Wiener Zeitung jeweils immer umfangreichere Artikel zum Thema Goethe in Neuseeland veröffentlicht. Auch im neuseeländischen Listener erschien 1982 ein solcher Artikel von mir, auf Englisch.

Auf diesem Marae traf ich nun einen Mann namens John Simpson, der mir, im persönlichen Gespräch, jenseits aller Kameras, gestand, dass dieser Artikel im Listener sein Leben verändert hätte. Denn seit damals betreibt er auf Goethe bezogene genealogische Studien. Er möchte herausfinden ob es tatsächlich so etwas wie eine reale Basis für den Glauben der neuseeländischen Maori-Familie Gotty gibt, dass der Goethe, der ihnen allen vor über 100 Jahren den Namen gab, mit jenem Goethe, dem "poet", verwandt ist.

Als Beispiel verweist er auf den englischen König Richard den Dritten, dessen trauriges, verbogenes Skelett im Februar dieses Jahres mithilfe von DNS-Analysen als das tatsächlich real königliche identifiziert werden konnte. Mit genetischen Bohrkernen aus Goethe Gebeinen (oder denen seines Sohnes oder seiner Enkel - da täten es auch schon ein paar Locken) und dem Vergleich mit entsprechenden Y-Chromosomen männlicher Gottys möchte er sich die nötige Gewissheit verschaffen. Ich verwies ihn auf einen Artikel bei Telepolis.

Ich hatte dort nicht explizit die Schlussfolgerung getroffen, die sich indessen wohl jedem aufmerksamen Leser aufdrängen würde. Viele Menschen, die mit Goethe zusammentrafen, sei es im Sommer oder im Winter, in der Frühzeit oder Spätzeit seines Lebens, bemerkten drei Dinge: Die Dunkelheit seiner Haut, seine dunklen Augen, seine dunkelbraunen bis schwarzen Haare. Fazit: Der so stattlich gut aussehende Goethe (Napoleon: "Voilà un homme!") war (anders als seine eindeutig von allen als hässlich beschriebene Schwester) das Resultat der Begegnung seiner Mutter mit einem attraktiven Südländer. Goethes Vater übernahm die Rolle des Josef(s)vaters, so genannt nach dem biblischen Vater des Jesus, dessen Frau ja auch durch einen Stellvertreter schwanger wurde.

In meinem Artikel bei Telepolis konnte der Polizeicomputer goetheähnliche Menschen nur unter Hispanics und Afro-Amerikanern entdecken. Der Computer hatte insbesondere Schwierigkeiten mit Goethes Augen. Es gab in der normalen Auswahl von männlichen Augen keine, die so groß waren wie die von Goethe. Man musste Frauenaugen hernehmen, um etwas Passendes zu finden. Ich fragte John Simpson, wer ihm da wohl als Erster einfiele, wenn er an große Augen und Hispanics denke? Picasso natürlich. Ich sagte, Na bitte. Da irgendwo steckt der Hase im Ketchup.

Wir blickten uns um unter den Anwesenden. Ich war ja als Gast eingeladen. Als Gast einer Kuia. Einer springlebendigen, über-neunzig-jährigen Stammesältesten, Oma mit Namen, den man indessen nicht etwa mit dem fahlen "O" eines bönnschen "die aal Omma" aussprechen sollte, sondern wie ein vollmundiges "O" in "Oh, Herr Doktor, mein Ohr", aber dann eben doch mit zwei "MMs" beschleunigt. Oma selbst besitzt geradezu goethe-eske Züge, aber noch deutlicher war die Ähnlichkeit bei dem zwar massiv übergewichtigen, aber doch ausgesprochen poetisch veranlagten Bruder des TV-Produzenten, der durchaus (jeweils in einer Maori-Übersetzung) Züge eines Goethe-Portraits aufweisen konnte - und zwar jenes klassischen Bildes von Lips (1791), das ihn mit großen Augen, flitzebogenähnlich geschwungenen Lippen und starker Nase zeigt. Ich fertigte 10 unterschiedliche Photos an, die ich hier allerdings nicht zeigen kann oder darf.

"Der 42-jährige Goethe", Kreidezeichnung von Johann Heinrich Lips 1791

Als ein Altersportrait Goethes direkt aus dem Weimarer oder Frankfurter Souvenirshop hervorgerollt wurde verwiesen alle Anwesenden sofort auf einen der Ihren, der diesem Portrait ihrer Meinung nach entsprach. Nun besitzen Maori ohnehin oft große Augen und geschwungene volle Lippen - es ist also schwer zu entscheiden, ob es sich um bloß generische oder tatsächlich genetische Ähnlichkeiten handeln könnte.

Jedenfalls war ich dort und ich genoss die Gastfreundschaft und Herzlichkeit dieser Leute, die sich alle mit wahrer Lust in ihre Familiengeschichte, in das "deutsche" Element ihrer Herkunft hineinergaben - so völlig anders, als man es sonst so oft in Neuseeland antrifft (obwohl das anti-deutsche Ressentiment, das sich Jahrzehnte lang gehalten hatte, sich allmählich überall verflüchtigt). Das Schöne dabei ist, dass der Johann Franz (von) Goethe, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts angeblich in dieser ländlichen Gegend niederließ, eine Maori-Dichterin geehelicht haben soll: Puhiwahine, die als Ahnfrau der Gotty-Familie zusätzlich zu ihrem dichterischen Erbe beigetragen hat. Kaum verwunderlich also, dass der Name "Puhiwahine" unter den Gottys ein beliebter Mädchenname geworden ist.

John Francis Gotty ging in Berlin mit dem alten Bismarck zur Schule. Ein ebenfalls alter Bismarck, ein Enkel des Reichskanzlers, Klaus von Bismarck, war vormalen Chef des Goethe-Instituts und kam als solcher nach Wellington. Dazu muss man wissen, dass mir ein gewisser Ruf als "Schwarzes Schaf" vorauseilt, denn ich hatte mich um 1980 herum dagegen verwehrt, dass der deutsche Botschafter in Wellington unkommentiert auf dauerhaften Heimaturlaub ging. Das Wiesenthal-Zentrum in Wien hatte ihn als früheren Offizier der Waffen-SS enttarnt und die deutsche Kulturorganisation an der Uni in Wellington wollte diese Kröte einfach schweigend schlucken. Der psychische Druck, nur wegen ein paar Tausend D-Mark an Förderungsgeldern die Klappe halten zu müssen, wirkte sich auf den Professor des German Departments fatal aus - nämlich tödlich. Herzattacke.

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