Klima-Bewegung: Von der Autobahn in die Ministerien
![](https://heise.cloudimg.io/width/700/q75.png-lossy-75.webp-lossy-75.foil1/_www-heise-de_/imgs/18/3/3/0/7/1/3/3/Justizministerium__BMJ__-_1-4fdd417963256cf1.jpeg)
Stören für eine zukunftsfähige Politik: Das ist die Devise des "Aufstands der letzten Generation". Foto: Essen Retten - Leben Retten / CC0 1.0
Pferdemist im Agrarministerium, "Diebesgut" im Justizressort: Nach den Autofahrern sind jetzt die Entscheidungsträger direkt mit dem "Aufstand der letzten Generation" konfrontiert
Tagelang hatten sich vor allem Berliner Autofahrer über die Verkehrsbehinderungen durch Sitzblockaden der Gruppe "Aufstand der letzten Generation" aufgeregt. Negativ äußerten sich dazu nicht nur klassische "Wutbürger", die hundertprozentiges Unverständnis für das Anliegen der Gruppe und zum Teil sogar Gewaltfantasien ausdrückten, sondern auch Leute, die den menschengemachten Klimawandel als Problem anerkennen, aber die Aktiven genervt dazu aufforderten, doch lieber den Entscheidungsträgern direkt "auf den Senkel zu gehen".
Das zumindest hat die Gruppe, die im ersten Schritt ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und eine klimagerechte Agrarwende durchsetzen will, nun auf sehr direkte Weise getan.
Pferdemist für vage Versprechungen
"Liebe Bundesregierung, eure Politik in der Klimakrise ist Mist und deshalb bekommt ihr heute auch Mist mitgebracht", erklärten die Beteiligten zu einer Aktion im Bundeslandwirtschaftsministerium, in dessen Foyer sie Pferdemist gekippt hatten. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hatte vergangene Woche die Autobahnblockaden kritisiert und zugleich erklärt, ihm persönlich sei der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung sehr wichtig. Er sei darüber bereits mit anderen Bundesministern im Gespräch.
Klima-Bewegung: von der Autobahn in die Ministerien (6 Bilder)
![](https://heise.cloudimg.io/width/696/q50.png-lossy-50.webp-lossy-50.foil1/_www-heise-de_/imgs/18/3/3/0/6/9/8/3/170ead14363078e3.jpg)
Das geht den Umwelt- und Klimabewegten, die sich "letzte Generation" nennen, weil sie davon ausgehen, dass nachfolgende Generationen das Schlimmste nicht mehr aufhalten können, aber nicht schnell genug.
Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien ist vereinbart, dass Lebensmittelspenden steuerlich erleichtert und die Verschwendung von Lebensmitteln "verbindlich branchenspezifisch reduziert" werden sollen. Mit den Blockadeaktionen im Rahmen der Kampagne "Essen Retten – Leben Retten" wird allerdings gefordert, dass große Supermärkte noch genießbare Lebensmittel grundsätzlich spenden müssen und nicht mehr wegwerfen dürfen.
Auch dem Ressort von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) statteten "Essensretter" an diesem Dienstag einen Besuch ab, allerdings mit weniger streng riechenden Requisiten – denn dort verteilten sie im Eingangsbereich aus Mülltonnen von Supermärkten gefischte Lebensmitteln, also rechtlich gesehen Diebesgut. Denn auch diese Rechtslage wollen sie ändern: Noch gilt es als Diebstahl, noch genießbare Lebensmittel aus Mülltonnen zu holen.
Rechtswidrig oder "Protestform von höchsten demokratischen Weihen"?
Unterdessen wird weiter über die rechtliche Einordnung von Autobahnblockaden gegen unzureichende Klimaschutzmaßnahmen diskutiert. Bundesjustizminister Buschmann hält sie in jedem Fall für rechtswidrig, während im Fachmagazin Legal Tribune Online am Montag von der "wilden Seite der Demokratie" die Rede ist: Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Tim Wihl hält demnach die Frage für nicht eindeutig geklärt.
Die Sitzblockade ist nämlich eine Protestform von höchsten demokratischen Weihen, eine Art Juwel der bundesdeutschen Protestgeschichte. Jeder Staat – ob Diktatur oder repräsentative Demokratie – bedarf eines Korrektivs in Gestalt einer aktiven Bürger:innenschaft, die das "Ungezähmte" und Unmittelbare des demokratischen Prinzips permanent zum Ausdruck bringen darf.
Prof. Dr. Tim Wihl
Wie die Abwägung je im Einzelfall ausgehe, sei zwar schwer zu prognostizieren. "Der verbleibende Zweifel darf aber bei so großen Worten wie denen des Justizministers nicht zulasten der individuellen politischen Freiheit als 'demokratisches Heiligtum' gehen", so der Rechtswissenschaftler.
Wegen der Autobahnblockaden sind einige der Aktiven schon mehrfach festgenommen worden und zum Teil über Nacht in Polizeizellen geblieben. Sie berufen sich darauf, dass im Grundgesetz der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch für kommende Generationen garantiert wird. Durch das unzureichende Regierungshandeln in Sachen Klimaschutz sehen sie die Voraussetzungen für das Widerstandsrecht in Artikel 20, Absatz 4 erfüllt.
Zusätzlich zu den Aktionen in den Berliner Ministerien wurde an diesem Dienstag die A5-Abfahrt bei Freiburg blockiert. Zuvor war die Berliner A100 mehrfach "Hotspot" der Aktionen seit Ende Januar gewesen.