Klima vs. Kapitalismus: Braucht die Weltrettung mehr als Sonne und Wind?
Seite 3: Energiewende ist Voraussetzung für Prosperität im 21. Jahrhundert
- Klima vs. Kapitalismus: Braucht die Weltrettung mehr als Sonne und Wind?
- Studien sagen: Eine saubere Energiewirtschaft ist möglich
- Energiewende ist Voraussetzung für Prosperität im 21. Jahrhundert
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Jenseits der unnötigen und schädlichen Energiewende-Skepsis trifft die Wachstumskritik jedoch auch einen wichtigen Punkt: Energieeinsparungen erleichtern den Übergang zu einer sauberen Energiewirtschaft und sollten integraler Bestandteil der Energiewende sein. Klimawissenschaftler wie Alice Larkin und Kevin Anderson weisen daher immer wieder darauf hin, dass es noch große Potentiale auf der Nachfragenseite gibt. Vor allem Hochemittenten müssten ihren Anteil dabei leisten.
Eine progressive Flugsteuer etwa könnte den Flugverkehr einschränken: erster Flug pro Jahr einfacher Preis, zweiter Flug doppelt so teuer, dritter Flug sechsmal so teuer und so weiter. Eine Urlaubsreise per Flugzeug wäre für eine Familie dann noch drin. Für Unternehmen, die ihre Manager hin und herjetten lassen, wird Vielfliegen jedoch unrentabel.
Videokonferenzen und Homeoffice wären schließlich nicht mehr nur die Corona-Ausnahme, sondern die Energiewende-Regel. Auch könnten Flüge unter 1000 Kilometer ersetzt werden durch Bahnverbindungen. Somit fiele ein großer Teil des Luftverkehrs in Deutschland weg. Die Angestellten der Lufthansa werden dann bei der Bahn benötigt.
Ob bei einem radikalen Green New Deal am Ende das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – eine ohnehin abstruse Messeinheit für wirtschaftliche Gesundheit und Wachstum – sinkt, stagniert oder leicht steigt, ist letztlich unerheblich. Es kommt darauf an, dass die Emissionen runter gehen, und zwar nach strikten Budgetvorgaben.
Das kann aber nur gelingen, wenn eine umfassende Energiewende politisch einleitet wird. Dabei würde weder der Kapitalismus überwunden – obgleich das, wie gesagt, aus diversen Gründen anzustreben ist – noch die Volkswirtschaft geschrottet. Dieses Märchen wird seit Jahrzehnten erzählt, es wird aber dadurch nicht wahrer.
Denn die Wende ist nicht nur mit "Wohlstand für alle" vereinbar, sondern absolute Voraussetzung für Prosperität im 21. Jahrhundert. So würde eine ungebremste Klimakrise am Ende jegliche Wohlfahrt pulverisieren.
Der Kurs Richtung Klimakollaps kostet die Weltwirtschaft schon jetzt jedes Jahr 1,2 Billionen US-Dollar (1,6 Prozent des BIP). Wirtschaftskraft, die für die Energiewende verloren geht. Allein ein sich erwärmender Arktischer Ozean könnte einer aktuellen Studie zufolge im Laufe des Jahrhunderts Wirtschaftsschäden von bis zu 90 Billionen US-Dollar erzeugen.
Doch es wabert – trotz aller vielversprechenden Szenarien und Dynamiken – weiter Skepsis gegenüber einem Übergang zu einer sauberen Energiewirtschaft im Hintergrund von Umweltbewegungen, genährt von Naturschützern und Vordenkern, die wie Serge Latouche seit den 1980er und 1990er Jahren aus der "Ökonomie aussteigen" wollen oder die industrielle Gesellschaft grundsätzlich als Fehlentwicklung ansehen.
Auch bei einigen Kapitalismuskritikern ist Energiewende-Skepsis latent anwesend, wenn sie die Lösung der Klimakrise per se für unvereinbar halten mit dem gegenwärtigen Wirtschafts- sowie Politiksystem. Je näher der Abgrund im Zuge des Nichtstuns rückt, desto mehr könnten diverse Spielarten des Klimafatalismus an die Oberfläche gespült werden.
Beim Dokumentarfilm "Planet of the Humans", produziert von US-Kapitalismuskritiker Michael Moore unter Regie von Umweltjournalist Jeff Gibbs, ist das gut zu beobachten. Mit Halbwahrheiten und Fehldarstellungen werden im Film Erneuerbare Energien als Scheinlösung, ineffizient und schmutzig dargestellt und in Misskredit gebracht. Mit großem Erfolg. 13 Millionen Besucher:innen haben das Video in den letzten zwei Jahren allein auf Youtube angesehen.
Dabei wird aus berechtigter Kritik am Kapitalismus, an technischen Exzessen, falschen Industrialisierungen und Überproduktion wie Überkonsumption eine Sackgasse gezimmert. Das ist aber weder sachlich begründet noch politisch hilfreich. "System Change not Climate Change" ist als Slogan völlig richtig. Aber die Klimakrise wird entweder politisch gelöst – mehr oder weniger im gegenwärtigen ökonomischen System – oder eben nicht.
Die Energierevolution braucht sicherlich eine Systemänderung: Ein Zurückdrängen neoliberalen Vertrauens auf die freien Märkte, eine Befreiung von der fossilen Energiewirtschaft und vor allem ein Ende der Zuschauerdemokratie. Denn wenn immer mehr Bürger und gesellschaftliche Gruppen sich zusammentun und die klimapolitische Wende einfordern, den radikalen Green New Deal ganz oben und dauerhaft auf die Tagesordnung setzen, dann werden Politiker:innen, Parteien, Parlamente und schließlich auch Regierungen nicht anders können, als die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
Ob das früh genug geschieht, ist die eigentliche, letztlich existenzielle Frage der Menschheit. Robert Pollin bringt es so auf den Punkt:
Die eigentliche Frage ist natürlich nicht, ob der Green New Deal ökonomisch oder technisch umsetzbar, sondern ob er politisch machbar ist.
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