Klimaneutralität bis 2045 - die Frage der Lastenverteilung
Nach bisherigen Plänen wird es Vermietern und einkommensstarken Haushalten am leichtesten gemacht, dem Anstieg des CO2-Preises auszuweichen
Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland "klimaneutral" sein, das ist offiziell das neue Ziel der Bundesregierung, nachdem ihr das Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat, ihr "Klimaschutzgesetz" nachzubessern. Am Donnerstag wurde der neue Gesetzesentwurf mit einigen Details präsentiert. Bis zum Jahr 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen in der Bundesrepublik um 65 Prozent sinken - allerdings im Vergleich zum Jahr 1990. Die Hauptlast soll der Energiesektor tragen: War bisher geplant, dass er bis 2030 noch 175 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen darf, so sollen es jetzt nur noch 108 Millionen Tonnen sein. Ein vorzeitiger Kohleausstieg wird dadurch immer wahrscheinlicher und ein Ausbau der Wind- und Sonnenenergie immer dringlicher.
Im Verkehrssektor sind bis 2030 statt des geplanten Ausstoßes von 95 Millionen Tonnen Treibhausgasen nur noch 85 Millionen erlaubt. Welche Anstrengungen in diesem Bereich unternommen werden müssen, lässt sich unschwer erahnen: Seit 1990 blieben die Emissionen im Verkehrssektor nahezu konstant. Damals waren es nach Angaben des Bundesumweltministeriums 164 Millionen Tonnen, 2019 waren es 163 Millionen Tonnen. Auch der Gebäudesektor muss noch nachlegen. Es ist die Rede von weiteren drei Millionen Tonnen Kohlendioxid, die zusätzlich eingespart werden müssten. Seit 1990 hat sich in diesem Sektor der Ausstoß von Treibhausgasen nahezu halbiert; aber je nach Witterungsverhältnissen kam es in den letzten Jahren wieder zu leichten Anstiegen.
Der vorgestellte Gesetzentwurf ist innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgestimmt. Bis zum kommenden Mittwoch soll eine Einigung gefunden werden - vor allem auch in der Frage, mit welchen Instrumenten man die Ziele erreichen will. Unionspolitiker setzen auf einen höheren CO2-Preis; Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) will die erneuerbaren Energien gezielt ausbauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Donnerstag bei 12. Petersberger Klimadialog den CO2-Preis als ein "besonders geeignetes Lenkungsinstrument" beworben. Dabei wird allerdings leicht vergessen, dass er soziale Schieflagen verschärfen kann.
Für die Sektoren Verkehr und Gebäude wird der CO2-Preis über das "Brennstoffemissionshandelsgesetz" (BEHG) festgelegt. Seit Anfang des Jahres müssen 25 Euro je Tonne Kohlendioxid gezahlt werden, was an Tankstellen schon deutlich zu spüren war. Bis 2025 soll der Preis schrittweise auf 55 Euro steigen. Mit den verschärften Klimazielen dürfte er schneller und höher steigen. Die Grünen fordern ohnehin, ihn ab 2023 auf 60 Euro anzuheben. Manche Ökonomen wollen noch darüber hinausgehen, zum Beispiel Patrick Graichen, Direktor des Instituts "Agora Energiewende". Er empfiehlt einen Anstieg auf 100 Euro pro Tonne in den nächsten Jahren.
Mieterinnen und Mieter einseitig belastet
Für Mieterinnen und Mieter dürfte das einen erheblichen Anstieg ihrer Heizkosten bedeuten, denn Vermieter können bislang einen höheren CO2-Preis komplett auf sie abwälzen. Anfang des Jahres hatte der Präsident des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, die Mehrkosten für den aktuellen CO2-Preis beziffert. Ist im Haus eine Ölheizung, müssen Mieter zwischen 85 und 100 Euro im Jahr mehr bezahlen; bei einer Gasheizung zwischen 65 und 80 Euro. Siebenkotten sprach sich damals dafür aus, dass allein die Vermieter die Mehrkosten tragen sollten, da sie auch allein entscheiden können, welche Heizung genutzt wird. Auf Antrag der Fraktion Die Linke wurde dies im März auch im Bundestag diskutiert; stieß aber auf vehementen Widerspruch der Christdemokraten und der AfD.
Umweltministerin Schulze hatte zwar jüngst angedeutet, "die CO2-Umlage stärker auf die Vermieter" konzentrieren zu wollen; ob sie sich damit durchsetzen kann, ist bislang noch offen. Kürzlich beklagte sie, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) blockiere eine entsprechende Regelung.
Im Verkehrssektor müssen sich mit einem höheren CO2-Preis auch Autofahrer auf höhere Kosten einstellen. Was ihnen an der Tankstelle zusätzlich abgeknöpft wird, dient bislang dazu, die Stromkosten zu senken; die Pauschale für die erneuerbaren Energien (EEG-Umlage) wird dadurch "gedeckelt".
Bescheidenes Plus ausgerechnet
Das Institut "Agora Verkehrswende" hatte im April in einer Studie geschrieben, dass bislang auch für einkommensschwache Haushalte unterm Strich ein kleines Plus (17 Euro) stehe. Den Mehrkosten an der Tankstelle stünden Einsparungen bei den Stromkosten in Höhe von 121 Euro gegenüber. Aus dem Plus dürfte allerdings schnell ein Minus werden, wenn der höhere CO2-Preis nicht auch in anderen Bereichen stärker ausgeglichen wird.
"Agora Energiewende" weist noch auf einen anderen Aspekt hin: Die Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor fördern vor allem einkommensstarke Haushalte. Ihnen kommen vor allem die Änderungen bei der KfZ-Steuer zugute, oder bei der Besteuerung von Dienstwagen und bei den Kaufprämien für Elektrofahrzeuge. Das liege unter anderem daran, dass sich ärmere Haushalte seltener ein neues Auto kaufen könnten, eher kleine Autos fahren und seltener Dienstwagen privat nutzen würden. So lautet das Fazit der Studie: "Dank des staatlich geförderten Umstiegs auf Elektrofahrzeuge können einkommensstarke Haushalte auch besser ihren Bedarf an fossilen Kraftstoffen reduzieren und damit dem Anstieg der CO2-Preise ausweichen. Ihr Vorteil gegenüber Haushalten, die länger an einem Verbrennerfahrzeug festhalten, würde sich über die Jahre vergrößern."
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