Klimawandel: Verhinderung der Katastrophe ist kaum noch vorstellbar

Seite 2: Der technische Fortschritt ist zu langsam

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Wer seine Hoffnung auf den technologischen Fortschritt setzt und meint, das, was in Forschungslaboren gerade erprobt wird, könnte uns saubere Energie oder sogar Techniken der CO2-Konzentrationsverringerung in der Atmosphäre bringen, sollte sich einmal mit der Frage beschäftigen, wie lange es in den letzten Jahrzehnten dauert, physikalische Wirkprinzipien tatsächlich in praxistaugliche Technik zu überführen. An der Energieproduktion durch Kernfusion etwa wird seit einem halben Jahrhundert geforscht, Industrienationen geben in gemeinsamer Anstrengung Milliarden dafür aus - aber eine kommerzielle Nutzung ist nicht in Sicht.

Eine neue Untersuchung britischer Forscher hat gerade gezeigt, dass es zumeist mehrere Jahrzehnte dauert, bis eine technologische Erfindung zur Reife der breiten kommerziellen Nutzung gelangt. Ausgerechnet die heute bekannten Technologien zur alternativen Energieerzeugung (Photovoltaik und Windkraft) brauchten mit rund vierzig Jahren besonders lange. Insgesamt brauchen Technologien, die neue Infrastrukturen und Institutionen zu ihrer kommerziellen Nutzung benötigen, jeweils ungefähr vier Jahrzehnte, bis aus der nachgewiesenen Möglichkeit eine breite wirtschaftliche Nutzung wurde. Wir müssen also davon ausgehen, dass alle Ideen zur technologischen Abwendung des Klimawandels, die heute entwickelt werden, erst weit nach 2050 zu ernsthaftem Einsatz kommen können - vorausgesetzt, dass der Klimawandel selbst uns bis dahin nicht schon ernsthaft in den Möglichkeiten zur Technologieentwicklung beschränkt.

Ebenso wenig besteht Anlass zu der Hoffnung, dass die drohenden Katastrophenszenarien dazu führen, dass Regierungen, Wirtschaft und Bürger im Alltag einen schnellen Schwenk hin zu einem Umgang mit der Welt hinbekommen, der die Katastrophe verhindert. Die politischen Entscheidungsmechanismen sind langsam und das, was entschieden wird, wird in der Folge noch lange nicht umgesetzt - das zeigen sowohl die politischen Prozesse auf nationaler Ebene wie auch die internationalen Klimakonferenzen der letzten Jahre.

In demokratisch verfassten Gesellschaften orientiert sich Politik der Mitte an dem, von dem sie meint, dass die Mitte der Gesellschaft es erträgt und akzeptiert oder gar wünscht und verlangt. Gegenwärtig, das zeigt sich gerade während der Erstellung dieses Textes, ist etwa die deutsche Regierung offenbar nicht der Meinung, dass eine Mehrheit in der Bevölkerung eine Verteuerung der Nutzung fossiler Energieträger akzeptieren würde, die tatsächlich dazu führen könnte, dass die Menschen sparsamer im Verbrauch von Kohlestrom, Benzin oder Heizöl werden würden.

Wenn das Klima kippt

Die Klimaforschung zieht inzwischen Szenarien in Betracht, bei denen das ganze Weltklima "kippen" könnte: Es wäre möglich, dass von einem bestimmten Grad der Veränderung an die Verschiebungen sich nicht mehr allmählich und schrittweise von den bisherigen klimatischen Bedingungen unterscheiden, sondern dass ein radikaler Wandel des klimatischen Systems der Erde eintritt. Diese Veränderung könnte in Jahrzehnten stattfinden und damit in einem Tempo ablaufen, an das sich die Tier- und Pflanzenwelt, aber auch die Technologien der Landwirtschaft und der Energieversorgung, der Kommunikation, des Gesundheitswesens und aller anderen Bedingungen unseres hochtechnisierten Lebens nicht anpassen könnten.

Das ist der Grund, warum der Weltklimarat in seinem neuesten Bericht immer wieder zwischen den Folgen einer Erwärmung um 1,5 Grad und einer Erwärmung um 2 Grad unterscheidet. Die Folgen für die Natur und die Gesellschaft wären nicht nur graduell unterschiedlich, sondern gravierend. Nichts deutet allerdings aktuell darauf hin, dass das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden könnte. Die aktuellen Entwicklungen lassen eine Erwärmung um deutlich mehr als 2 Grad bereits in der Jahrhundertmitte erwarten.

Wenn das geschieht, dann wird die Mahnung, dass nur die Maßnahmen machbar sind, die ökonomisch und politisch auch umgesetzt werden können und zu denen Gesellschaften aus ihren eigenen Ressourcen heraus auch fähig sind, selbst zur Katastrophen-Prophezeiung. Denn beim Kippen des Welt-Klima-Systems in eine Klimakatastrophe sind Reaktionen nach den Zeitmaßstäben gegenwärtigen politischen und global-ökonomischen Handelns zum Scheitern verurteilt, sie rennen den chaotischen Veränderungsprozessen hilflos hinterher.

Das, so meinen einige Pessimisten, wird zwangsläufig das Ende der Menschheit oder sogar des ganzen höheren Lebens auf der Erde bedeuten. Übrig blieben vielleicht ein paar Insekten, Moose, Bakterien und Pilze. Wahrscheinlich und wissenschaftlich plausibel ist, dass zumindest die menschliche Zivilisation zusammenbricht und viele Tier- und Pflanzenarten aussterben. Zwar wird es noch Menschen geben, aber die menschliche Zivilisation, die Menschheit, bricht zusammen.

Aber wie wäre dieses Ende der Menschheit konkret vorzustellen? Heute leben auf der Erde fast acht Milliarden Menschen. Werden sie alle innerhalb kürzester Zeit sterben? Woran? Werden sie verhungern und verdursten? Werden sie sich in Kriegen, die um die letzten Ressourcen geführt werden, gegenseitig umbringen? Werden sie an Krankheiten zugrunde gehen, die sich unerwartet und rasant ausbreiten?

Um diese Fragen wird es in den nächsten Teilen dieser Artikelserie gehen. Es wird ein Szenario gezeichnet werden, das beschreibt, wie ein Klimawandel innerhalb weniger Jahrzehnte zum Zusammenbruch der Zivilisation führen kann. Aus diesem Szenario wird sichtbar, wie wir heute beginnen können, uns auf den unausweichlichen Klimawandel vorzubereiten. Denn wir brauchen nicht mehr darauf zu hoffen, dass es schon nicht so schlimm kommen wird. Wir sollten anfangen, uns zu fragen, wie wir im Klimachaos überleben.

Am Mittwoch, den 22. Januar 2020, ist Jörg Friedrich zum Thema Klimawandel und die möglichen Folgen Gast im Telepolis Salon auf der Alten Utting in München um 20 Uhr.

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