Können sich Juden in Berlin offen zeigen?

Ein Interview sorgt für Missstimmung in Israel

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Überall Demonstrationen gegen Israel, antisemitistische Anschläge in Frankreich - die Krise in Nahost hat auch Auswirkungen auf die Juden in Westeuropa. Ein vermeintlicher Ratschlag der Berliner Polizei sorgt nun für Wirbel: ein Sprecher soll Juden geraten haben, ihre Religionszugehörigkeit nicht auf der Straße zu zeigen.

Die Meldung kam am Dienstag Morgen in der englischsprachigen Ausgabe der israelischen Tageszeitung Ha'aretz: "Berliner Polizei: Juden sollten keine identifizierbare Kleidung tragen." Da die Polizei die Juden nicht vor Übergriffen schützen könne, empfehle sie, auf Kippas oder Davidsterne zu verzichten. Dabei berief sich die Zeitung auf einen Bericht des israelischen Militärrundfunks.

Auch Rabbiner Yehudah Teichtel, Leiter der Berliner Sektion der jüdischen Bewegung Chabad Lubawitsch, wurde um ein Statement gebeten. Der hatte bis dato zwar nichts von einer solchen Empfehlung gehört, zeigte sich aber erwartungsgemäß schockiert. Auf Nachfrage von Telepolis konnte Teichtel keine akute Gefährdungssituation in Berlin bestätigen.

Die Berliner Polizei dementiert. Die missverständlichen Äußerungen seien in einem einstündigen Gespräch mit einem Beamten des Landeskriminalamts gefallen, das der israelische Rundfunk auf zirka eine Minute gekürzt habe. In einer Pressemeldung entschuldigt sich die Polizei für Missverständnisse und zitiert den Wortlaut des Interviews.

"Ich hätte mir ein paar Verhaltensregeln, die ich kundtun könnte. Ich kann mir aber vorstellen, dass ich dadurch unsere orthodoxe Mitbürger verletzen würde in ihrem Glauben. Natürlich wäre es ein probates Mittel, es nicht nach außen zu zeigen, also weder durch Bekleidung noch durch Symbole, durch die Kippa oder ähnliche Gegenstände, Davidstern natürlich. Jedoch ist das ein schwieriges Unterfangen, gerade wenn man sein Glauben nach außen manifestieren möchte. Insofern wäre das ein Mittel und jeder mag prüfen, ob er als ein solches für sich als tauglich erachtet."

Diese Ratschläge erscheinen insofern relativ unverbindlich und moderat, wenn man berücksichtigt, dass die Regierung der USA ihren Bürgern empfiehlt, sich im Ausland unauffällig zu kleiden und Menschen zu meiden, die laut reden (Blockwart, bitte melden).

Also viel Lärm um nichts? Ha'aretz hat die Meldung inzwischen mehrfach nachgebessert , während der israelische Rundfunk jedoch bei seiner Darstellung bleibt.

Die Meldung traf wohl das derzeitige Gefühl einer akuten Gefährdung der Juden in aller Welt. Zuletzt weckte der Erfolg des Rechtsextremisten Le Pen große Befürchtungen hervor. Nach Zählung des Jüdischen Weltkongresses kam es in Frankreich innerhalb von zwei Wochen zu 360 antisemitischen Vorfällen in Frankreich. Der israelische Innenminister Eli Jischai riet den Juden in Frankreich, ihre "Koffer zu packen und nach Israel auszuwandern".