Kommen die Menschen mit teil- und hochautomatisierten Autos zurecht?

Bild: Jaguar MENA/CC BY-2.0

Nach dem neuen Straßenverkehrsgesetz müssen Fahrer permanent wahrnehmungsbereit sein, um das Steuer übernehmen zu können. Damit könnten sie nach einer Studie überfordert sein

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Im März 2017 verabschiedete die schwarz-rote Bundestagsmehrheit der Abgeordneten gegen die Stimmen der Opposition eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, um das Fahren von Autos mit hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktion zu erlauben. Es sei das das "modernste Straßenverkehrsrecht der Welt", propagierte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt den Regierungsentwurf.

Die Opposition monierte neben anderen Mängeln, die den Autofahrer zum "Versuchskaninchen" machen würden, vor allem die vorgesehene exzessive Datensammlung, da alle Daten in einer Black Box für ein halbes Jahr abgespeichert werden und den Behörden auch schon bei Ordnungswidrigkeiten übergeben werden müssen. Den Bericht der Ethik-Kommission (Brauchen Roboter eine Ethik und handeln Menschen moralisch?) wartete man nicht ab, es war offenbar höchste Eile geboten, im krisengeschüttelten Land der Autohersteller rechtlich mit zu den Vorreitern bei der Einführung von autonomen Fahrzeugen zu werden.

Aufgezeichnet wird nach dem Gesetz "die durch ein Satellitennavigationssystem ermittelten Positions- und Zeitangaben, wenn ein Wechsel der Fahrzeugsteuerung zwischen Fahrzeugführer und dem hoch- oder vollautomatisierten System erfolgt. Eine derartige Speicherung erfolgt auch, wenn der Fahrzeugführer durch das System aufgefordert wird, die Fahrzeugsteuerung zu übernehmen oder eine technische Störung des Systems auftritt."

Kern des Gesetzes ist, dass die Benutzung von Kraftfahrzeugen, die mit teil- oder hochautomatisierter Fahrfunktion ausgestattet sind, nur "im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung" statthaft sein soll. Vor allem aber geht es darum, dass der Fahrer "besonders geregelte Pflichten zur unverzüglichen Wiederaufnahme der Fahrzeugsteuerung beachtet" muss. Der Fahrer darf zwar während des hoch- oder vollautomatischen Betriebs etwas anderes tun, die Hände vom Lenkrad nehmen, Emails schreiben etc., aber er muss am Steuer sitzen und so "wahrnehmungsbereit" sein, dass er nach Aufforderung des Systems mit "ausreichender Zeitreserve" das Auto übernehmen kann.

Wenn das Fahrzeug im automatisierten Modus einen Unfall verursacht, ohne den Fahrer aufgefordert zu haben, die Kontrolle zu übernehmen, trägt der Hersteller die Verantwortung. Nach einer Aufforderung ist der Fahrer verantwortlich, der stets das automatische System "übersteuern oder deaktivieren" können muss. Die "letzte Verantwortung" liegt weiter beim Menschen. Vorgesehen sind vier Stufen im Übergang zum vollautomatisierten Fahren, bei dem alle Insassen nur noch Passagiere sind und es keinen menschlichen Fahrer und damit für diesen auch keine Verantwortung mehr gibt:

Teilautomatisiertes Fahren: Der Fahrer muss das System dauerhaft überwachen und jederzeit zur vollständigen Übernahme der Fahraufgabe bereit sein;

hochautomatisiertes Fahren: Der Fahrer muss das System nicht dauerhaft überwachen. Das System warnt den Fahrer aber rechtzeitig, wenn dieser eingreifen muss;

vollautomatisiertes Fahren: Der Fahrer muss das System nicht überwachen. Das System ist in allen Situationen in der Lage, einen "risikominimalen" Zustand herzustellen;

autonomes ("fahrerloses") Fahren: Das System übernimmt das Fahrzeug vollständig vom Start bis zum Ziel; alle im Fahrzeug befindlichen Personen sind nur Passagiere.

Die Menschen seien nicht gut in der "passiven Überwachung"

Der Kognitionspsychologe Daniel Heikoop, ein holländischer Wissenschaftler von der Delft University of Technology, hat in seiner Doktorarbeit "Fahrerpsychologie während des Fahrens in Kolonnen" vor dem Übergang zum völligen autonomen Fahren gewarnt. Bei den teil- oder hochautomatisierten Fahrzeugen, bei denen die Fahrer noch weiter in Verantwortung stehen, seien diese schlicht von der verordneten Aufgabe überfordert, permanent "wahrnehmungsbereit" zu sein.

Selbst Spurhalteassistenten oder Adaptive Geschwindigkeitsregelung (ACC) würden Fahrer nicht nur unterstützen, sondern sie in eine "passive Überwachungsrolle zur Suche nach möglichen gefährlichen Reizen in der Umgebung oder nach einem Systemfehler" versetzen. Wenn durch fortgeschrittenere Systeme die Autos in Kolonnen fahren, können sie in geringerem Abstand fahren, um den Spritverbrauch zu reduzieren und Staus zu vermeiden (platooning technology). Das würde die Situation noch gefährlicher machen, weil dann die Reaktionszeit für Menschen zu kurz würde.

Um zu sehen, wie sich Fahrer beim Kolonnenfahren verhalten, führte Heikoop drei Experimente mit Versuchspersonen durch, deren Herzschlag gemessen und deren Blickrichtung aufgezeichnet wurde. In einer ersten Simulation wurde das Kolonnenfahren mit einem Fahrassistenten dreimal hintereinander jeweils 40 Minuten lang auf Stress, Arbeitsbelastung und Signalwahrnehmung unter drei Bedingungen untersucht. In einem Szenario ging es um die Beobachtung des Verkehrs und das Einschreiten bei einer gefährlichen Situation, bei dem zweiten solle die Versuchsperson rote Fahrzeuge entdecken und beim dritten konnte der Fahrer machen, was er wollte. Am wenigsten stressig war das dritte Szenarion, bei der aktiven Suchaufgabe blieben die Versuchspersonen meist aufmerksam. Allgemein müsste beim teil- oder hochautomatisierten Fahren die Zeit berücksichtigt werden, da die Aufmerksamkeit nachlasse und der Puls mit der Zeit absinkt

Im zweiten Experiment wurde in einer Fahrsimulation untersucht, wie sich unterschiedlich schwere mentale Aufgaben auf die Situationswahrnehmung auswirken. Je mehr mentale Aufgaben erledigt werden mussten, desto geringer wurde die Aufmerksamkeit auf das Fahren. Im dritten Experiment wurde mit einem Tesla Model S wirklich auf Autobahnen mit dem Autopilot zweimal hintereinander jeweils für 32 Minuten gefahren. Gefolgt werden sollte dabei aus Sicherheitsgründen einem anderen Fahrzeug. Wenn das Auto überholt und der Abstand zu große wurde, sollten die Versuchspersonen das Steuer ergreifen und wieder hinter das führende Fahrzeug fahren. Ein Teil der Versuchspersonen hatte die Aufgabe, nebenbei Brücken zu registrieren.

Wie in der Simulation sank auch hier der Puls ab und wurde die Arbeitsbelastung als ziemlich gering beschrieben. Wie bei der Simulation sinkt die selbstbeschriebe Arbeitsleistung mit der Zeit, Herzschlag und Atemfrequenz sind nahe der Ruhephase einer normalen Situation. Die mentale Aufgabe wurde schlechter erfüllt, vermutlich waren die Versuchspersonen eher motiviert, auf das Fahren zu achten, als in der Simulation.

Etwa 30 Minuten lang, so das Ergebnis der Versuche, könne die Aufmerksamkeit auf das Fahren aufrechterhalten werden, auch wenn dies nicht perfekt geschehe. Die Aufgabe, aufmerksam auf das Fahren zu bleiben, sei stressig und "extrem langweilig", sagt Heikopp, die Menschen seien nicht gut in der "passiven Überwachung". Seine Schlussfolgerung, die er als Ergebnis seiner Doktorarbeit sieht, ist, dass die Menschen nicht geeignet sind für die beim teil- oder hochautonomen Fahren notwendigen Überwachungsaufgaben. Überdies seien sie dafür nicht ausgebildet: "Sie wissen nicht einmal, auf was sie achten sollen, da sie nicht wissen, wie der automatisierte Wagen funktioniert, was er sehen kann und was nicht."

Genau das, was die Bundesregierung als das "modernste Straßenverkehrsrecht der Welt" propagiert, das einen "wahrnehmungsbereiten" passiven Fahrer verlangt, sei sehr gefährlich: "Wir sollten diese Phase besser überspringen und nur Fahrzeuge in Kolonnen fahren lassen, wenn sie ganz autonom sind. Die jetzt vorhandenen automatisierten Fahrzeuge sind nicht ausreichend verlässlich. Sensoren können falsch reagieren, wenn sie sehr hellem Sonnenlicht ausgesetzt oder mit Schmutz oder Schnee bedeckt sind." Das