Kommunikation oder Arbeit...?

Die Ausdünnung der Mitte

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In der Kommunikationsgesellschaft wird die gesellschaftliche Mitte immer dünner. Entpolitisierung und soziale Ungleichheit nehmen zu. Doch die Lösungen wären eigentlich schon bekannt...

Wir leben in einer "Informationsgesellschaft", da liegen alle Wachstumschancen in der Kommunikation, tönt es immer mehr aus den Medien, - die globalisierte Kommunikationsgesellschaft kommt. Zugleich wird offensichtlich die Erwerbsarbeit weniger - zumindest wird die Arbeitslosigkeit größer. Beides sind relativ unverbundene, aber kontinuierliche Botschaften. In der folgenden kleinen Skizze eines möglichen großen Zugangs zu diesen Fragen, insbesondere zum Thema Arbeit, hat mich das Phänomen der "Ausdünnung der Mitten" verlockt...

Wenn man sich die gegenwärtige ökonomische Entwicklung in ihren einzelnen Bereichen ansieht, bei den Konsumgütern, bei den Unternehmungen, bei der Qualifikation und dem Umfang der Erwerbsarbeit, und bei den traditionellen politisch-ökonomischen Akteuren, dann fällt auf, daß die früheren Verteilungen: "oben", "mitte", "unten", sich verändert haben. Das ist eine eigentümliche Erscheinung; in allen Bereichen gibt’s eine Art von Ausdünnung in der Mitte .

Beispiel Konsumgüter. War früher so eine Art Dreiteilung im Auftritt der Produkte ersichtlich, eine kleine Gruppe von Premiummarken (hoher Preis - hoher Qualitätseindruck ), gefolgt vom großen Feld von Standardmarken (mittlerer Preis - mittlere Qualitätserwartung) und schließlich markenlose Discountprodukte (niedriger Preis - Basisqualität), so hat sich inzwischen in vielen Produktbereichen der obere und der untere Teil aufgeweitet und der mittlere ausgedünnt. Salopp ausgedrückt: das halbe "O" der früheren Normalverteilung ist zu einem "U" geworden, die Standardmarkenprodukte wurden mit Zusatznutzenkosmetik in den Premiumbereich hochgehoben oder fielen auf Discountniveau.

Diese Entwicklung wiederholt sich bei den Unternehmungen. Die klassischen mittleren Unternehmungen, die autonom am Markt agieren, dünnen aus. Die großen Einheiten verdichten sich zu internationalen Akteuren, aber auch die Nischenplätze für die kleinen Unternehmungen werden enger. Auf der anderen Seite wächst die Zahl ganz kleiner Unternehmen, die frühere Arbeitnehmerleistungen nun "selbständig" anbieten. Innerhalb der Organisationen zeigt sich eine ähnliche Entwicklung. Das mittlere Management wird zusehends ausgedünnt, der Bereich der Büroarbeiten und Administration durch Computerisierung und Automation aufgehoben, zugespitzt: der Manager schreibt sich heute seine Emails selbst, den Gebäudeschutz übernimmt der Portier von der Wachfirma und die Büroreinigung die Reinigungsfirma.

Die Nationalstaaten und ihre politischen Akteure, zumindest in Europa und Nordamerika, haben heute ihre einstige Mittlerrolle zwischen "der Welt" und dem einzelnen Bürger oder nationalstaatlichen Interessensgruppen, verloren. EU-Ebene oder lokale, kommunale Ebene, - die institutionelle nationalstaatlich organisierte Struktur dazwischen, ist heute in einer Reihe von Bereichen, insbesondere den wirtschaftspolitisch relevanten Feldern, ausgedünnt. Das ist insofern verhängnisvoll, als sich die traditionellen interessenspolitischen Akteure, Beispiel Gewerkschaften, mit einem multinationalen Level der Auseinandersetzung schwer tun. Nicht nur von der Institutionenlogik her, sondern da sie auch von ihrer Klientel nicht allzuviel Verständnis für Aktivitäten fernab vom Lebensort des Mitglieds erwarten können. Die multinationalen Unternehmensleviathane tun sich da mit Lobbying unvergleichlich leichter, ihr Spielfeld ist ohnedies der ganze Planet.

Diese einstigen nationalstaatlichen Strukturen der Mitte und Vermittlung sollte man nicht unterschätzen: sie erwiesen sich in einer Reihe von Fällen als Wellenbrecher von harten ökonomischen Entwicklungen und als Schrittmacher und Impulsgeber von Fortschritt. Die sozialpolitischen Fortschritte, die es in den europäischen Staaten bis Ende der 70er Jahre gab, die konsumentenpolitischen Fortschritte, die es bis Ende der 80er Jahre gab, wurden nationalstaatlich immer auch am nachbarschaftlichen Beispiel - selbst wenn es etwas weiter entfernt war, wie der klassische schwedische Wohlfahrtsstaat - argumentiert und orientiert.

Das Tempo von Entwicklungen war damit ebenfalls gebrochen. Im Vergleich zu heute war das wohl eine psychische Wohltat für Menschen, denen die gegenwärtigen Veränderungen zu schnell ablaufen, die sie überrollen . Nicht nur die Innovationsgeschwindigkeit im Konsumgüterbereich und im Wirtschaftssystem ist hier gemeint, sondern auch die Veränderungen politischer und gesellschaftlicher Art. Die Umbrüche in den Oststaaten und das Tempo des einsetzenden Brutalkapitalismus ebenso, wie Tschernobyl, Gentechnik, der Balkankrieg, Maastricht und Euro. Dabei ist die gesellschaftliche Risikobereitschaft (vgl. Ulrich Beck), gemessen am verfügbaren Wissensstand, mit der zunehmenden Geschwindigkeit im wirtschaftlichen System offensichtlich größer geworden - ein paradigmatisches Beispiel hierfür ist die Cassini-Raumsonde der NASA, mit ihren 32 Kilogramm Plutonium an Bord. Hinzu kommt der zusätzliche Geschwindigkeitsimpuls in der Lebenswelt, der von den Neuen Kommunikationstechnologien herrührt: GSM-Telephone, Emailkommunikation, die Wirklichkeitsproduktion in den klassischen Medien .