Konservative und die AfD: Steuersenkung als Tabubruch?
Vor "Steigbügelhaltern des Faschismus" wird gewarnt. Historische Vergleiche werden gezogen. War das Stimmverhalten von CDU, FDP und AfD in Thüringen schon Zusammenarbeit?
Es ist kaum mehr als drei Monate her, da gab sich CDU-Chef Friedrich Merz noch als die Brandmauer in Person. Nachdem er zunächst Verständnis für die Reflexe derjenigen erkennen ließ, die zur Zeit für die AfD stimmen würden, weil sie "diese Art der Bevormundung" insbesondere durch die Grünen in der Ampel-Koalition "einfach leid" seien, wurde er im ZDF-Interview nach dem Verhältnis der CDU zur AfD gefragt. Seine Antwort:
So lange ich Parteivorsitzender der CDU bin, wird es keinerlei Zusammenarbeit mit dieser Partei geben.
CDU-Chef Friedrich Merz am 4. Juni 2023
Es gebe niemanden, der seine klare Ablehnung und Abgrenzung zu dieser Partei übertreffe. Merz nannte die AfD bei dieser Gelegenheit ausländerfeindlich und antisemitisch.
Wir haben mit diesen Leuten nichts zu tun. Hier wird es keine Zusammenarbeit geben - unter der Hand, über der Hand, auf dem Tisch, unter dem Tisch. Mit mir und uns nicht.
Friedrich Merz am 4. Juni 2023
Doch wo beginnt Zusammenarbeit? - Im Thüringer Landtag wurde am Donnerstag mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD eine Senkung der Grunderwerbssteuer gegen die "rot-rot-grüne" Minderheitsregierung durchgesetzt.
Dazu erklärte Merz am Donnerstagmorgen dem Sender RTL/ntv:
Wir machen das, was wir in den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von anderen Fraktionen abhängig.
Friedrich Merz, 14. September 2023
Als Zusammenarbeit betrachtet er das Abstimmungsverhalten nicht. Der CDU-Vize und Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn verteidigt diese Haltung:
Wir können als CDU richtige Positionen nicht aufgeben, nur weil auch die Falschen sie richtig finden.
Jens Spahn, stellvertretender CDU-Vorsitzender
Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Markus Söder sieht das ähnlich:
Im übrigen läge es an den anderen demokratischen Parteien, diese gute Idee einer Steuersenkung zu unterstützen, denn Entlastung für Bürger ist ja nichts Extremes, sondern sinnvoll.
CSU-Chef Markus Söder
Die Linke, der Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow angehört, sieht die Senkung der Grunderwerbssteuer allerdings nicht als gerechte Entlastung "der Bürger" insgesamt. Eher sieht sie dadurch Haushaltsmittel gefährdet, die auch oder vorrangig Menschen mit kleineren Einkommen zugute kommen.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sieht in der gemeinsamen Abstimmung von CDU, AfD und FDP in Thüringen einen Tabubruch: Der Vorgang sei eine "Einzigartigkeit in der Parlamentsgeschichte" in Deutschland, sagte Kühnert dem ZDF.
So viel Macht hatte die AfD noch nie, wie ihr die CDU in Thüringen gestern zugestanden hat.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert
Erinnerung an Ereignisse vor 93 Jahren
Linkspartei-Chefin Janine Wissler wirft der CDU vor, die AfD salonfähig zu machen.
Der deutsche Konservatismus war schon mal Steigbügelhalter des Faschismus. Auch damals begann es in Thüringen.
Janine Wissler, Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke
Statt daraus gelernt zu haben, gehe die CDU "einen brandgefährlichen Weg". Auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur bestätigte ein Parteisprecher, dass Wissler sich auf die Ereignisse am 23. Januar 1930 bezogen hatte, als der spätere Reichsinnenminister Wilhelm Frick als erstes NSDAP-Mitglied Minister in einer deutschen Landesregierung geworden war – in Thüringen.
Der Koalition hatten damals außerdem die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die Deutsche Volkspartei (DVP), die Wirtschaftspartei und der Thüringer Landbund angehört.
Selbst innerhalb der CDU gibt es ähnliche Einschätzungen, allerdings nicht von aktiven Spitzenpolitikern. Der ehemalige Generalsekretär der CDU, Ruprecht Polenz hatte schon 2020 in einem Interview gemahnt:
Die Faschisten sind dort, wo sie an die Macht gekommen sind, immer nur an die Macht gekommen, wenn die Konservativen ihnen dazu die Plattform geboten haben.
Ruprecht Polennz, Ex-Generalsekretär der CDU, Februar 2020
Aus aktuellem Anlass erklärte Polenz am Freitag über den Kurzbotschaftendienst X (ehemals Twitter):
In der Thüringer Konstellation ist es nun mal so, dass die CDU nicht nur gegen die Regierung opponieren, sondern auch die AfD politisch bekämpfen muss. Im Zweifel hat letzteres Vorrang.
Ruprecht Polenz
Der Thüringer CDU-Fraktionschef Mario Voigt hatte dagegen am Donnerstagabend im Gespräch mit der ARD erklärt:
Ich will deutlich sagen: Die Leute haben die Schnauze voll von diesen parteitaktischen Spielen
Mario Voigt, CDU Thüringen
Bundesweit steht die AfD in Umfragen momentan bei rund 21 Prozent und ist laut ZDF-Politbarometer zweitstärkste Kraft hinter den Unionsparteien – in Thüringen steht sie seit Monaten bei über 30 Prozent.