Kontinuität der Gesetzlosigkeit: Obama-Regierung verteidigt Folterer
Auch die neue Regierung unterdrückt alle Versuche, die Praxis der "außerordentlichen Überstellungen" juristisch aufzuarbeiten
Die neue US-Regierung hat bereits bei den ersten Prüfungen der Glaubwürdigkeit ihrer Versprechungen, die ungesetzliche und menschenverachtende Anti-Terror-Politik der Bush-Aministration zu beenden, kläglich versagt. Am vergangenen Montag legte ein vom neuen Justizminister Eric Holder (siehe Der Lieblingskandidat der Unterhaltungsindustrie als Justizminister) entsandter Bundesanwalt vor dem mit drei Richtern besetzten 9. US-Berufungsgericht in San Francisco den Rechtsstandpunkt der Obama-Regierung in dieser Frage dar. In dem Fall ging es um schwerwiegende Anschuldigungen von Folter, die fünf Opfer des sogenannten Extraordinary Renditon-Programms der Bush-Regierung vorgebracht hatten.
Die fünf waren gefangen genommen und in amerikanische Einrichtungen im Ausland oder in Länder verbracht worden, die dafür bekannt sind, dass sie Gefangene foltern. Dort hatte man sie ohne Anklage zum Teil jahrelang festgehalten und unter Folter verhört. Unglaublich, aber wahr: Obamas Bundesanwalt verkündete, die neue Regierung werde in diesem Fall genau die gleiche Position wie Ex-Präsident George W. Bush und seine Juristen im Justizministerium einnehmen.
"Es war, als habe die Inauguration vom vergangenen Monat nie stattgefunden", schreibt die New York Times in ihrem Editorial vom 11. Februar. "Die Wähler haben guten Grund, sich von Mr. Obamas Wahlkampagne betrogen zu fühlen", folgert die Zeitung. Selbst die Richter im Gerichtssaal hätten sich erstaunt gezeigt über die Entscheidung der neuen Regierung, unbeirrt im Stil der Vorgängerregierung fortzufahren, anstatt eine Unterbrechung des Verfahrens zu beantragen und ihre Position zu überdenken – und gegebenenfalls zu revidieren.
Der Prozess vor dem Berufungsgericht in San Francisco war nicht gegen die CIA und die Regierung, sondern gegen einen sogenannten civil contractor, ein privates Militärunternehmen, angestrengt worden. Jeppesen Dataplan, eine Tochterfirma von Boeing, hatte geheime Überstellungsflüge für die CIA organisiert – und davon profitiert. Die Gesellschaft flog die Entführten in angeblich privaten Flugzeugen zu den black sites, geheimen Gefängnissen und Folterkammern rund um den Globus. Den Gefangenen wurden beim Transport Kapuzen über den Kopf gezogen, sie wurden gefesselt und oft unter Drogen gesetzt.
Schutz von Staatsgeheimnissen
Obwohl Bushs Justizministerium in diesem Prozess gar nicht Partei war, intervenierte es, wobei es sich auf den Schutz von Staatsgeheimnissen berief und behauptete, jede weitere Verhandlung des Falls gefährde die "nationale Sicherheit". Eine untere Gerichtsinstanz hatte sich dieser Argumentation angeschlossen. Am vergangenen Montag nun versuchten die Anwälte der fünf entführten Männer in der Anhörung vor dem 9. US-Berufungsgericht, die Wiederaufnahme des Falls zu erreichen. Jetzt jedoch intervenierte der Vertreter der Obama-Regierung und verlangte aus den gleichen Gründen wie zuvor die Bush-Administration die Niederschlagung des Falles.
Ben Wizner, ein Anwalt der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU), der die Kläger vertritt, verurteilte dieses Vorgehen:
Wir sind schockiert und tief enttäuscht, dass das Justizministerium sich entschieden hat, die Praxis der Bush-Regierung fortzusetzen, die juristische Aufarbeitung außerordentlicher Überstellungen und von Folter zu verhindern. Dies war eine Gelegenheit für die neue Regierung, ihre Verurteilung von Folter und Überstellungen glaubhaft zu machen, aber stattdessen hat sie sich entschieden, den alten Kurs beizubehalten.
Die Behauptung, der Fortgang des Prozesses gefährde die nationale Sicherheit, ist offenkundig absurd. Die Praxis der "außerordentlichen Überstellungen" ist seit langem bekannt. Sie wurde nicht nur von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten aufgedeckt und breit dokumentiert, sondern auch ganz offiziell von Vertretern der US-Regierung eingeräumt und verteidigt. Dennoch unterdrückt auch die neue Regierung alle Versuche, diese Verbrechen juristisch aufzuarbeiten – ganz offensichtlich mit dem Ziel, die dafür Verantwortlichen zu schützen, und um zu verhindern, dass neue Beweise für das kriminelle Verhalten staatlicher Stellen an die Öffentlichkeit gelangen.
Regelmäßige Schläge, Schnitte mit einem Sklapell
Im Schriftsatz der Anwälte der fünf Männer werden diese abscheulichen Verbrechen noch einmal dokumentiert. Binyam Mohamed, ein äthiopischer Staatsbürger, der vor seiner Entführung in Pakistan sieben Jahre in Großbritannien gelebt hatte, wurde von der CIA nach Marokko ausgeflogen. In dem Schriftsatz heißt es:
Er wurde regelmäßig geschlagen, so dass ihm mehrere Knochen gebrochen wurden. Einmal verlor er durch die Schläge das Bewusstsein. Seine Kleider wurden mit einem Skalpell entfernt, mit dem ihm dann Schnitte an seinem Körper zugefügt wurden, unter anderem an seinem Penis. Eine heiße brennende Flüssigkeit wurde dann in die offenen Wunden an seinem Penis gegossen. Ihm wurden häufig Vergewaltigung, Elektroschocks und Hinrichtung angedroht.
Der Schriftsatz führt weiter aus:
Er wurde einen ganzen Monat in einem feuchten, schimmeligen Raum festgehalten, in dem ein Eimer als Toilette diente. Er glaubte, dass sein Essen vergiftet sei, aber als er sich weigerte es zu essen, wurde er gewaltsam an zwei verschiedene Infusionsapparate angeschlossen. Mit diesen Apparaten wurden ihm abwechselnd verschiedene Substanzen eingeflößt, was später zu schmerzhaften Entzugserscheinungen führte.
"Gefängnis der Dunkelheit"
Nach eineinhalb Jahren Folter wurde Binyam Mohamed in das von der CIA betriebene sogenannte "Gefängnis der Dunkelheit" auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram in Afghanistan verlegt. Dort "schlugen die Gefängniswärter seinen Kopf wiederholt gegen die Wand, bis er blutete". Er wurde in einer kalten Zelle von zwei mal zwei Metern festgehalten und 23 Stunden in völliger Dunkelheit an den Boden gefesselt. Er wurde auch "an einem Pfosten aufgehängt" und ohrenbetäubenden Geräuschen ausgesetzt. Zum Essen erhielt er rohen Reis, Bohnen und Brot, und er verlor in den vier Monaten seiner dortigen Gefangenschaft zwanzig bis dreißig Kilo Gewicht. Jetzt hält ihn die US-Regierung in Guantánamo fest, ist aber inzwischen bereit, ihn freizulassen, weil sie nicht den geringsten Beweis finden konnte, der ihn mit irgendeiner terroristischen Aktivität in Verbindung brachte.
Einen ähnlichen Horror durchlebte der 45-jährige Ahmed Agiza. Der ägyptische Apotheker wurde in Schweden, wo er politisches Asyl beantragt hatte, von der CIA ergriffen und nach Ägypten zurückgeflogen. Dort wurde er laut dem Dokument "häufig schwer geschlagen und immer wieder Elektroschocks ausgesetzt. Herr Agiza wurde nackt auf eine feuchte Matratze gebunden. Elektroden wurden an seinen Ohrläppchen, Brustwarzen und Genitalien befestigt, so dass ein extrem starker elektrischer Strom durch seinen Körper gejagt wurde, der seinen Körper sich aufbäumen und wieder zusammenfallen ließ. Ein Arzt war die ganze Zeit zugegen, um zu verhindern, dass er an der Folter starb." Später wurde er von einem ägyptischen Militärtribunal wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen politischen Organisation zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Vergleichbare abstoßende Details finden sich in dem Gerichtsdokument über die Behandlung der anderen Kläger.
Garantie der Menschlichkeit
Indem sie versucht den Prozess gegen Jeppesen Dataplan zu verhindern, billigt und rechtfertigt die Obama-Administration diese schweren Verbrechen ihrer Vorgänger-Regierung. Dies zeigt (neben der Kontinuität in anderen politischen Fragen), dass sich die Konturen der aggressiven US-Politik ungeachtet aller Bemühungen der Obama-Regierung, das schwer ramponierte Ansehen Washingtons im In- und Ausland wieder aufzupolieren, durch den Personalwechsel im Weißen Haus nicht grundlegend ändern werden.
Entlarvend war in diesem Zusammenhang auch die Aussage von Leon Panetta, Obamas Kandidat für den Posten des CIA-Direktors, vor dem Senat am vergangenen Freitag. Auf die ausdrückliche Frage nach den Extraordinary Renditions sagte Panetta, die Regierung habe "diese außerordentlichen Überstellungen zum Zweck der Folterung oder anderer Maßnahmen ausländischer Regierungen, die unsere Normen der Menschlichkeit verletzen" per Dekret verboten. Allerdings fügte er hinzu, die CIA könne immer noch Verdächtige entführen und zum Verhör in Drittländer schaffen, solange sie die Garantie habe, dass diese menschlich behandelt würden.
Doch auch die Bush-Regierung hatte immer behauptet, sie habe solche Garantien von Ländern wie Ägypten und Marokko erhalten. Auf detaillierte Nachfragen des Republikanischen Senators Kit Bond aus Missouri nahm Panetta seine vorherige Aussage, Gefangene seien gefoltert worden, ausdrücklich zurück. "Zu dieser spezifischen Aussage, dass Leute zum Zweck der Folter überstellt worden seien, ist zu sagen, dass das nicht die Politik der Vereinigten Staaten war", erklärte er. "Insoweit muss ich diese Aussage tatsächlich zurücknehmen."
Damit leugnete der CIA-Direktor in spe nicht nur Verbrechen, die in aller Welt bekannt sind, er signalisierte auch, dass die CIA mit den gleichen Verbrechen straflos fortfahren wird.
Vorbeugend tätig
Bereits am 8. Februar hatte die Washington Post berichtet, die Obama-Regierung wolle den Nationalen Sicherheitsrat (NSC) mit weitreichenden neuen Vollmachten ausstatten. Dem Bericht nach geht dies fast bis zur Schaffung einer vierten Staatsgewalt. An der Spitze dieser Behörde steht der nationale Sicherheitsberater James L. Jones, ein pensionierter General der Marines, den die Post als Befürworter eines außerhalb von Kampfzonen – auch in "Zusammenarbeit mit der Öl- und Gasindustrie" – "vorbeugend tätigen Militärs" charakterisiert.
Führend bei der Umstrukturierung des NSC soll der Post zufolge John O. Brennan sein, ein hoher Ex-Beamter der CIA, der sowohl Obamas Berater für den Anti-Terrorkampf und für Homeland Security (Innere Sicherheit) als auch Stellvertreter von Jones ist. Obama soll eigentlich Brennan als CIA-Direktor vorgesehen haben, musste aber einen Rückzieher machen, nachdem bekannt geworden war, dass sein Wunschkandidat die fatalen "außerordentlichen Überstellungen" befürwortet und die "verschärften Verhörtechniken" der CIA, sprich Folter, verteidigt hatte.