Krebstest für Irak-Soldaten

Das britische Verteidigungsministerium will wegen des abgereicherten Urans in der verschossenen Munition auf Nummer Sicher gehen, die UNEP fordert eine Risikoerhebung und die Säuberung der kontaminierten Orte

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Vor dem Golfkrieg und während der Kampfhandlungen hatte die Allianz der Willigen wenig Zeit und Interesse, auf die zahlreichen Expertengruppen zu hören, die - ungeachtet aller moralischen und politischen Erwägungen - vor den langfristigen gesundheitlichen Folgen warnten, die der massive und ziellose Einsatz von Uranmunition mit sich bringen würde. Doch die Zeit, da man auf Fragen, warum hochgelobte Präzisionswaffen durch Wohnviertel fliegen und woher die Militärs eigentlich die Gewissheit nehmen, dass der Bevölkerung des Irak abgereichertes Uran keine körperlichen Schäden zufügen sollte, mit einem Achselzucken antworten konnte, ist nun definitiv vorbei.

Seit die Royal Society, immerhin die führende Forschungsinstitution des Königreiches, die alliierten Streitkräfte aufgefordert hat, keine Waffen mit abgereichertem Uran zu verwenden, weil unter anderem auch die eigenen Soldaten einem massiven Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind, ist man beim britischen Verteidigungsministerium offenbar ins Grübeln gekommen. Die heimkehrenden Truppen sollen einem Bericht des Independent zufolge deshalb jetzt einer Art Nachsorge unterzogen werden.

Mit Hilfe von Urintests wollen die britischen Militärs herausfinden, ob bei ihren Frontkräften verstärkt Nierenschäden, Lungenkrebserkrankungen oder Verbindungen zu dem mysteriösen Golfkriegs-Syndrom festgestellt werden können. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums hält derartige Folgewirkungen für nicht unbedingt wahrscheinlich ("Die Risiken, die von abgereichertem Uran ausgehen, sind sehr viel geringer als die anderer militärischer Operationen."), aber offenbar auch nicht mehr für unmöglich. Immerhin sollen demnächst die Einsatzorte von Uranmunition genannt und die Ergebnisse der aktuellen Tests veröffentlicht werden.

Andernorts ist man mit Blick auf die vergleichsweise (!) geringe Gefährdung durch abgereichertes Uran weniger optimistisch, sieht das Hauptrisiko allerdings eher bei der irakischen Bevölkerung. Nach vorsichtigen Schätzungen haben die Engländer und Amerikaner während der letzten Wochen rund 2.000 Tonnen Uranmunition eingesetzt, um vor allem Panzer und Bunker zu zerstören. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) dringt in seinem neuesten, knapp einhundertseitigen Bericht über die kriegsbedingten Umweltschäden im Irak auf eine schnelle Risikoerhebung und Sanierung, aber auch auf die umfassende Information der betroffenen Menschen. Im Umkreis von 150 Metern um die bombardierten Gebäude sei das Risiko, eine möglicherweise lebensgefährliche, in jedem Fall aber hochtoxische Luft einzuatmen, besonders groß. Bryan Spratt, der eine Arbeitsgruppe der Royal Society zum Thema abgereichertes Uran leitet, verlangt ebenfalls eine genaue Überprüfung der kontaminierten Gebiete und sogar Langzeitstudien über die mögliche Verseuchung von Wasser und Milch.

Dass die kriegführenden Parteien, die schon 1991, aber auch auf dem Balkan und in Afghanistan mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert wurden, zu solchen Maßnahmen wenigstens moralisch verpflichtet sind, war für Doug Rokke, der einst selbst das "Depleted uranium Project" des Pentagons vorantrieb, schon vor über zwei Jahren eine Selbstverständlichkeit:

"Das Militär eines Landes kann nicht mit voller Absicht ein anderes Land kontaminieren, Menschen und Umwelt schädigen und anschließend einfach die Konsequenzen dieser Vorgehensweise ignorieren." Ein solches Verhalten sei schließlich nichts anderes als "ein Verbrechen gegen Gott und die Menschheit".

Doch derzeit haben die Alliierten genug mit sich selbst zu tun, und im Irak ist das Uran-Problem nur eines unter vielen. Mit Flickschusterei wird man sie allerdings kaum lösen können. Pekka Haavisto, der Vorsitzende der genannten UNEP-Studie, verlangt deshalb von der Weltgemeinschaft so etwas wie einen großen Wurf:

"Viele Umweltprobleme im Irak sind so alarmierend, dass eine sofortige Bestandsaufnahme und ein Säuberungsplan dringend notwendig sind. Die Umwelt muss in alle Wiederaufbaupläne voll integriert werden, wenn eine nachhaltige Erholung des Landes gesichert werden soll."

Von diesem Ziel sind die Sieger derzeit weit entfernt, und der Gedanke, dass vielleicht nur die Erkenntnis, auch die eigenen Soldaten könnten durch die Spätfolgen des Waffengangs in Mitleidenschaft gezogen werden, zur Annäherung beiträgt, ist nun wirklich kein hoffnungsvoller.