Krieg heißt jetzt Friedenserzwingung
Die von CDU/CSU beschlossene "Sicherheitsstrategie für Deutschland" ist unausgegoren, neo-imperialistisch und unnötig, macht aber die politische Haltung der Konservativen deutlich
Die CDU/CSU steht mit ihrem Vorschlag, einen "Nationalen Sicherheitsrat" zu etablieren, isoliert da. Der vehemente Widerspruch der Sozialdemokraten und der Opposition ist jedoch nur Theaterdonner. Das am 6. Mai beschlossene Thesenpapier Eine Sicherheitsstrategie für Deutschland spiegelt nur die in sich widersprüchliche außenpolitische Praxis der deutschen Regierung wider, über die ungern öffentlich diskutiert wird.
Die zentrale These der Christdemokraten ist schlicht: In einer vernetzten Welt hänge alles mit allem irgendwie zusammen. "Innere" und "äußere" Sicherheit könnten nicht separat diskutiert werden. Je mehr Europa sich politisch einige, um so mehr müsse man auch gemeinsame militärische Strategien entwickeln. Die vorgeschlagene "Sicherheitsstrategie" sieht vor, den Bundessicherheitsrat, ein vom Parlament nicht kontrolliertes und weitgehend im Verborgenen arbeitendes Gremium, aufzuwerten. Der "Nationale Sicherheitsrat" soll analysieren, koordinieren und letztlich entscheiden können.
Darüber kann man sich echauffieren, vor allem, weil die Idee unausgegoren und rechtlich unpraktikabel ist. Der Bundessicherheitsrat, eine Art Kabinett innerhalb des Kabinetts, wurde vor zehn Jahren von der rot-grünen Bundesregierung aus dem Dornröschenschlaf erweckt, um sich vor allem über den deutschen Waffenexport informieren zu lassen. Der Rat kann trotz des ähnlichen Namens nicht mit dem United States National Security Council verglichen werden: Der US-Präsident verfügt zwar über eine stärkere Stellung als der Bundeskanzler, die Gelder für Krieg und Verteidigung müssen aber immer wieder neu beantragt und vom Kongress bewilligt werden. Der Chef der Regierung in den USA hat mehr Macht, wird aber auch stärker kontrolliert.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 7. Mai noch einmal klargestellt, dass die Bundeswehr ein "Parlamentsheer" ist und dass die Regierung gezwungen ist, den Bundestag über dessen Einsätze abstimmen zu lassen. Das so genannte Awacs-Urteil blockiert alle Überlegungen der CDU, die Regierung müsse im Krisenfall selbst über das Militär entscheiden dürfen. Es nützt auch nichts, wie vorgeschlagen wird, das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu ändern, um über diese Hintertür das Parlament zumindest kurzfristig auszuschalten. Die Verfassungsrichter wären garantiert not amused.
Die Autoren des CDU-Strategie-Papiers haben sich offenbar auch nicht ausreichend über die aktuelle Gesetzeslage informiert. Es werden zum Beispiel Konflikte thematisiert, die eine Folge des Klimawandels sein könnten - "Ernährungskrisen, Dürreperioden", Überschwemmungen und Zerstörung der Umwelt. Unstrittig ist, dass supranationale Krisen-Szenarien nicht von der Länderpolizei und dem Technischen Hilfswerk bewältigt werden können. Die vor allem von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble oft beschworene terroristische Bedrohung durch "nichtstaatliche Akteure" könnte unter Umständen die föderale deutsche Polizei überfordern. Aber für den Fall der Fälle gibt es schon die Notstandsgesetze, die 1968 gegen starken Widerstand aus der Bevölkerung beschlossen wurden. Dort heißt es:
Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen (...) vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.
Ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren ist also unter bestimmten Bedingungen durchaus möglich und legitim, und ein terroristischer Anschlag, der den Staat existenziell bedrohte, wenn etwas das Parlament gehindert würde zusammenzutreten, würde unter den Geltungsbereich der Notstandsgesetze fallen.
Falls sich ein "Nationaler Sicherheitsrat" etablierte und in eine Art "Bundessicherheitsamt" verwandelte - mit unguten historischen Assoziationen -, stünde auch eine Passage des Grundgesetzes zur Disposition. Die Militärgouverneure der Alliierten gaben dem Parlamentarischen Rat in einem Schreiben vom 14.04.1949 die Grundsätze für den Behördenaufbau und des Verfassungsschutzes vor: Der Bund sollte keine Weisungsgewalt über die Länderpolizeien haben, und der Verfassungsschutz dürfe über keinerlei polizeiliche Befugnisse verfügen. Daher wurde der Artikel 72 Abs. 10 des Grundgesetzes formuliert, der "länderübergreifende Gefahren" anspricht, aber dennoch auf einer strikt föderalen Struktur der Sicherheitskräfte besteht.
Militärischer Einsatz zur Energiesicherheit und Rohstoffversorgung
Interessant ist das christdemokratische Thesenpapier zur Sicherheit dann, wenn es versucht, außenpolitische Fragen konkret zu stellen und diese zu beantworten. "Nordafrika" wird als einer der drei wichtigen Energielieferanten - neben Russland und dem Nahen Osten - genannt. Der Einsatz militärischer Mittel sei denkbar, um "Energiesicherheit und Rohstoffversorgung" zu sichern, Seehandelswege oder die "Infrastruktur wie Häfen, Pipelines, Förderanlagen". Verschwiegen wird dabei, dass das schon so geschieht: Die Politik der Bundesregierung im "unabhängigen" Kosovo etwa (Polit-Choreografie auf dem Balkan) ist nur unter dem Gesichtspunkt erklärbar, die geplanten Pipelines quer durch den Balkan zum Mittelmeer durch schwache und abhängige Satellitenstaaten absichern zu wollen.
Die CDU/CS/-Bundestagsfraktion scheut sich nicht, im hinteren Teil ihres Sicherheitspapiers, das vermutlich kaum jemand gelesen hat, ausdrücklich neo-"imperialistische" Ziele zu formulieren. An "unseren östlichen Grenzen und rund um das Mittelmeer" müsse "ein Ring verantwortungsvoller Staaten" entstehen. Volker Perthes, einer der für den Sicherheitskongress-Kongress am 7. Mai eingeladenen Experten, kritisierte daher auch die Thesen der Christdemokraten: Neu sei, dass offen ausgesprochen werde: Auslandseinsätze der Bundeswehr seien von den deutschen Interessen geleitet. Es sei richtig und wichtig, diese Fragen zu stellen, aber man müsse auch über die Normen reden, die den Antworten zugrunde lägen. Das sei nicht der Fall.
Wenn das Mittelmeer jetzt Teil der deutschen Interessensphäre ist, kann man vermutlich, wenn es nach den Christdemokraten geht, einen zukünftigen Einsatz deutscher Soldaten in den ehemaligen französischen Kolonien Syrien und Algerien und Libyen nicht ganz ausschließen oder, wie das historische Vorbild, auch nicht eine weitere Marokko-Krise mit deutschen Zerstörern vor Nordafrika. "Piraten vor Somalia" wurden von CDU-Politikern schon als möglicher Einsatzziel der Marine angeführt.
Auch der "Kampf gegen den Terror" als Begründung für immer neue Maßnahmen ist als argumentativer Rahmen historisch nicht neu. Die konservative "Sicherheitsstrategie" fußt auf der nie bewiesenen These, Länder wie Afghanistan seien ein geografisch eingrenzbarer "Rückzugsraum" für Terroristen: "Rückzugsmöglichkeiten für Terroristen zu verhindern, ist ein zentrales Ziel deutscher Sicherheitspolitik." Diese Logik erscheint naiv und hilflos, wie schon das Argument der US-Regierung in den sechziger Jahren, immer neue Truppen nach Südostasien zu verlegen und Nordvietnam zu bombardieren, um den Rückzugsraum" des Vietcong zu zerstören. Wer so denkt, will "das Böse" nur lokalisieren, um es militärisch zu bekämpfen, anstatt sich über soziale und ökonomische Ursachen Gedanken zu machen.
Was die Christdemokraten wirklich wollen, wird auch aus dem aktuellen Strategiepapier nicht eindeutig ersichtlich - zu sehr schwankt man zwischen dem, was "national" sein soll und dem, was nur als gemeinsame europäische Strategie denkbar ist. Eine "Nationale Energie- und Rohstoffstrategie" und "eigene strategische Reserven" sollen her, aber eine "europäische Energiesicherheitsunion". Die "Heimatschutzkräfte" sollen gestärkt werden, gleichzeitig soll die militärische Verteidigung nur als Teil der europäischen Union planbar sein. Und unerträglich affirmativ wird es, wenn die Christdemokraten eindeutige Begriffe in suggestives orwellsches Neusprech umdichten: Krieg soll jetzt "Friedenserzwingung" heißen.
"Die wichtigste Aufgabe des Staates ist die Sicherheit", sagte Andreas Schockenhoff, der Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in seiner Rede beim Sicherheits-Kongress. Niemand widersprach. Das sagt viel über das Staats-und Demokratieverständnis der CDU aus. Das Grundgesetz gewichtet bekanntlich anders: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Von "Sicherheit" ist nicht die Rede, viel mehr jedoch von "Freiheit".