Krieg in den Kapillarsystemen

Erstmals seit dem Ende der Apartheid patrouilliert die Armee wieder in den Townships Südafrikas

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Lange hat es gedauert, doch schlussendlich sind am Wochenende 5.000 Menschen in Johannesburg gegen die seit fast zwei Wochen andauernde ausländerfeindliche Gewalt, die bereits über 50 Menschenleben gefordert hat, auf die Straße gegangen.

In der Wirtschaftsmetropole bewegte sich der Demonstrationszug durch die mehrheitlich von afrikanischen Migranten bewohnten Stadtteile der Innenstadt. Viele der dort Lebenden begrüßten die Demonstranten.

Auch in Kapstadt gab es eine kleinere Demonstration vor dem Parlamentsgebäude. In Wortbeiträgen distanzierten sich die Demonstrierenden von den Angreifern der vergangenen Tage und bekundete ihre Solidarität mit den Einwanderern. Viele Demonstranten machten auch die südafrikanische Regierung aufgrund der scharfen Einwanderungsgesetzgebung und die Polizei für die Gewalt mitverantwortlich und kritisierten die langsame Reaktion des Staates auf die Pogrome.

Auf einigen Spruchbändern stand: „Mbeki – du hast Blut an Deinen Händen.“ Bereits im Aufruf zu vom Antiprivatisierungsforum und verschiedenen Flüchtlingsgruppen organisierten Demonstration hieß es:

„Wir haben die Polizei bereits vor dem Ausbruch der aktuellen Gewalt als xenophob erlebt. Es ist für uns eine alltägliche Erfahrung, dass die Polizei uns schikaniert, um Schmiergelder zu erpressen. Flüchtlinge werden oftmals kriminalisiert, um sie leichter abschieben zu können. Wir halten die Polizei daher nicht für eine neutrale Instanz in den aktuellen Konflikten.“

Auch die Bewegung aus den Armenvierteln um die südafrikanische Hafenstadt Durban thematisierte in einer Erklärung die Verantwortung der Behörden und der Polizei:

„Die Xenophobie muss auf allen Ebenen der Gesellschaft bekämpft werden. Nehmt den Armen fest, der jemanden umgebracht hat! Aber nehmt auch den korrupten Polizisten und den korrupten Beamten in der Ausländerbehörde fest. Schließt das Abschiebelager in Lindela und entschuldigt Euch für das mit ihm verbundene Leiden. Wir fordern, dass die Menschen, die jetzt in den Polizeistationen in Johannesburg festsitzen, Aufenthaltspapiere erhalten.“

Doch weder die sozialen Bewegungen, noch der sich immer noch als Befreiungsbewegung und nicht nur Parlamentspartei verstehende African National Congress waren in der Lage, die Gewalt zu stoppen. Diese ging unterdessen in der Region um Johannesburg zurück, aber griff (wie bereits länger befürchtet wurde) noch in den letzten Tagen auf die Armenviertel um die Ballungszentren Durban und Kapstadt über.

Im Township Khayelithsa vor den Toren Kapstadts zündete der Mob vergangene Woche die Wellblechhütten afrikanischer Einwanderer an und plünderte Geschäfte somalischer Besitzer. Alleine in der Kapregion haben nach Berichten örtlicher Medien 20.000 Menschen ihr Heim im Zuge der Gewaltwelle verloren. Bezogen auf das ganze Land dürften die Zahlen etwa dreimal so hoch sein. Über 20.000 Menschen sind in den vergangenen Tagen in das benachbarte Mosambik zurückgekehrt. Die dortige Regierung eröffnete drei Aufnahmezentren.

Die südafrikanische Regierung beschloss in der vergangenen Woche, der polizeilichen Bitte nach einem Einsatz der Armee nachzukommen. Erstmals seit dem Ende der Apartheid patrouilliert die Armee damit wieder in den Townships und versucht Ruhe herzustellen. Nach Ansicht vieler Beobachter ist die Krise, in der sich das Land am Kap seit Wochen befindet, mit diesem Schritt augenscheinlich geworden.

Staatspräsident Thabo Mbeki versuchte in einer Fernsehansprache am Sonntag diesem Eindruck entgegenzutreten und versicherte seinen Mitbürgern, dass der Staat und die Behörden in der Lage seien, die Situation zu bewältigen. Er verurteilte die Angriffe als eine Schande für das Land und forderte seine Landsleute zu einem respektvollen Umgang mit Einwanderern auf. Entgegen der Hoffnungen vieler Südafrikaner, verzichtete Mbeki jedoch auch weiterhin darauf, die von der xenophoben Gewalt Betroffenen persönlich aufzusuchen.

Andere hochrangige ANC-Mitglieder begaben sich am Sonntag in die Armenviertel, wo sie versuchten, besänftigend auf die dortige Bevölkerung einzuwirken. Viele ANC-Vertreter erinnerten an die Solidarität, die schwarze Südafrikaner im Befreiungskampf durch die Bevölkerung der anderen und angrenzenden afrikanischen Länder erfahren haben und aus der eine Verpflichtung zur Solidarität mit den Einwanderern erwachsen würde.

Der neue ANC-Vorsitzende Jacob Zuma traf bei einer Veranstaltung in Gugulethu östlich von Johannesburg dabei nicht nur auf Verständnis. Offen beschwerten sich ANC-Anhänger über die ausbleibenden sozialen Verbesserungen und ihre Konkurrenzsituation mit afrikanischen Einwanderern auf dem angespannten Arbeitsmarkt.

Die überschaubare Zahl derjenigen, die gegen die Angriffe am Samstag auf die Straße gegangen sind und die offene Ablehnung gegenüber Ausländern, die bei den ANC-Veranstaltungen zu verzeichnen war, machten deutlich, dass Mbeki Wahrnehmung es handle sich bei den Angreifern um eine kleine isolierte Gruppe, keiner Überprüfung Stand halten dürfte.

Verstärkte Migration nach Südafrika

Südafrika ist aufgrund der regionalen Nähe, aber auch aufgrund der Abschottung Europas zu einem Anziehungspunkt für afrikanische Einwanderer geworden. Dabei findet die Migration aus Afrika heute weniger kontrolliert und dokumentiert statt, als es in den siebziger Jahren der Fall war und viele Migranten aus Lesotho und Mozambique zur Arbeit in den Minen vermittelt wurden.

Die nach der Apartheid neu geschaffenen Migrationsgesetze machen eine legale Einreise nach Südafrika häufig unmöglich. Gelingt es, eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, ist daran weder eine Arbeitserlaubnis geknüpft, noch erhalten die Einwanderer staatliche Unterstützung.

Der Weg in die illegale Beschäftigung auf dem Bau, als Straßenhändler oder als Hausangestellte ist damit vorgezeichnet. Die damit verbundene Unterminierung von Löhnen und Arbeitsrechten wurde von Regierungsseite in Kauf genommen. Noch vor kurzem erklärte der Abgeordnete des ANC, Desmond Lockey, dass es keinen Grund dafür gäbe, solche Rechte auf Zuwanderer zu übertragen. Auch solche Haltungen bereiteten den Nährboden für die ausländerfeindliche Angriffe und Morde der letzten Wochen.

Allerdings ist die Xenophobie nicht in besonderer Weise ein Problem schwarzer Südafrikaner. Der kanadische Politikprofessor David McDonald vom Southern Africa Migration Project (SAMP) wies in den vergangenen Tagen darauf hin, dass es in allen gesellschaftlichen Schichten Südafrikas einen massiven Hass auf Einwanderer gibt - nur dass er sich in den Armenvierteln aufgrund der Konkurrenzsituation am ehesten auslebt. Eine andere Studie kam zu dem Schluss, dass auch den Medien Verantwortung für das Klima gegenüber afrikanischen Migranten zukommen würde.

In dieses Bild passt, dass nicht alle Migrantengruppen in gleicher Weise von der Gewalt betroffen sind. Die sozialräumlichen Distanzen und verinnerlichten Wertevorstellungen der Apartheid-Zeit scheinen weiterhin intakt zu sein. Völlig unbehelligt von xenophober Gewalt sind daher hunderttausende von Europäern, darunter viele Deutsche, die sich in den Metropolen in den vergangenen Jahren niedergelassen haben, und die von der Apartheid geschaffene Faktoren, wie ein europäisches Erscheinungsbild der Städte und geringe Lohnkosten für Hausangestellte gerne in Anspruch nehmen.

Zwar bringen diese Gruppen verstärkt Geld in das Land, doch ist mit ihrem Lebensstil auch häufig eine Reproduktion der durch die Apartheid geschaffenen Raumverteilung verbunden. Dies zeigt sich besonders in den durch europäische Investitionen exorbitant gestiegenen Immobilienpreisen in Südafrika, die sozialen Wohnungsbau aufgrund günstiger Baupreise häufig nur am Stadtrand ermöglichen.

Auch andere Gruppen wie die nigerianischen Einwanderer sind weit seltener Opfer von Angriffen geworden, obwohl sie sicherlich zur Zuwanderergruppe gehören, die am stärksten stigmatisiert ist. Ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass sie aufgrund besserer finanzieller Ressourcen in die Innenstädte gezogen sind, die nicht in der gleichen ungezügelten Heftigkeit von der Gewalt betroffen waren, wie die Townships und informellen Armensiedlungen am Stadtrand. In deren Kapillarsystemen haben sich in den letzten Jahren viele Flüchtlinge aus Simbabwe, Malawi und Somalia angesiedelt, die mit der südafrikanischen Armutsbevölkerung um die wenigen Jobs als Sicherheitsmänner, Gärtner oder Hausangestellte konkurrieren.

Der vom ANC erhoffte "Trickle-Down-Effekt", das Durchrieseln des Wohlstands einer neu entstehenden schwarzen Ober- und Mittelschicht hin zu den unteren Schichten, ist weitestgehend ausgeblieben. Stattdessen findet die in Kolonialismus und Apartheid wurzelnde Marginalisierung eines Großteils der schwarzen Bevölkerung in der Post-Apartheid-Gesellschaft eine Fortsetzung. Diese strukturellen Gewaltverhältnisse sind sicherlich nicht alleine ausschlaggebend für die Ereignisse der letzten Wochen, aber sie schaffen die Räume in denen der Krieg der Armen gegen die Ärmsten scheinbar unausweichlich wird.