Krieg und Klimakrise: katastrophale Wechselwirkungen und eine kleine Chance
Gigantische Aufrüstungspläne drohen Ressourcen zu verschlingen, die für die Energiewende gebraucht werden. Andererseits erkennen Regierende die Abhängigkeit von Öl und Gas jetzt langsam als Falle
Die Entscheidungen dieses "zentralen Jahrzehnts" seien wichtig für das "Langzeitschicksal" der Menschheit, hob Prof. Hans-Otto Pörtner vom Weltklimarat IPCC an diesem Montag bei der Vorstellung des neuesten Berichts zum Sachstand der Klimakrise hervor. Etwa 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen seien weltweit schon jetzt "hochgradig gefährdet" durch den menschengemachten Klimawandel, heißt es in der Zusammenfassung des Berichts für politische Entscheidungsträger.
"Wir haben ein schrumpfendes Zeitfenster", sagte Pörtner, der als Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe über die Folgen des Klimawandels und den Anpassungsbedarf an der Erstellung des Berichts beteiligt war. Der Meeresbiologe vom beim Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven gibt der aktuellen Bundesregierung nicht die besten Noten: "Für die Ambitionen kriegt sie eine Drei und für die Umsetzung eine Vier minus bisher."
Aufrüstung vs. Wunsch nach Unabhängigkeit von russischem Gas
Unklar ist bisher, welche zum Teil gegenläufigen Effekte der Krieg in der Ukraine auf deutsche und internationale Klimaschutz-Bemühungen haben wird, nachdem Russland als bisher zuverlässiger Öl- und Gaslieferant für den Großangriff auf das Land sanktioniert wird.
Einerseits fielen in der Aussprache am Sonntag in Bundestag Sätze wie "Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien." Das hatte der bis dato eher als "Bremser" aufgefallene Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit Blick auf die angestrebte Unabhängigkeit von russischem Gas und Öl gesagt.
Ein entsprechender Rat kam unter anderem von der Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW): "Die beste Antwort auf fossile Energiekriege ist die Energiewende mit mehr erneuerbaren Energien und Energiesparen", hatte sie vergangene Woche der Neuen Osnabrücker Zeitung gesagt. "Erstens: erneuerbare Energien ausbauen und das Energiesparen fördern. Und zweitens: die CO2-Einnahmen pro Kopf an die Haushalte rückerstatten." Dies entlaste vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen, so Kemfert.
Ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro wurde am Sonntag in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aber nicht für eine klimagerechte Energiewende versprochen, sondern für die Aufrüstung der Bundeswehr.
Wie schon im Koalitionsvertrag der "Ampel"-Parteien wurde weiterhin das Jahr 2045 als Zielmarke für die Klimaneutralität Deutschlands genannt – aus wissenschaftlicher Sicht wäre aber 2035 der angemessene Zeitpunkt, um einen fairen deutschen Beitrag zur nötigen Emissionsminderung zu leisten.
Schon die Produktion von Kriegsgerät und regelmäßige Großmanöver zu Übungs- und Abschreckungszwecken belasten Ökosysteme und Menschen – von realen Kriegsschäden ganz zu schweigen. Die DIW-Energieexpertin schließt nicht aus, dass die Industrie wegen der Zuspitzung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine den Gasverbrauch drosseln muss.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betont jedoch, es gebe keine "Denktabus", auch wenn er selbst davon abrät, den Kohleausstieg zu verschieben oder die Laufzeit der letzten Atomkraftwerke zu verlängern. Sein Ministerium "prüft" diese Möglichkeiten zumindest, wie Habeck am Wochenende im ARD-"Bericht aus Berlin" sagte.
Im Koalitionsvertrag steht ohnehin nur, dass der Kohleausstieg "idealerweise" bis 2030 vollzogen sein soll; möglich wäre also immer noch 2038, wie zuvor von der "Kohlekommission" ins Spiel gebracht – welches Jahr Unionspolitiker meinen, die eine Verschiebung fordern, erschließt sich dabei nicht immer.
"Fossiles Weiter-so" als Kriegstreiber
Grundsätzlich wird den Regierenden gerade vor Augen geführt, dass die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern eine Falle ist, die deutlich früher zuschnappen kann als gedacht. Auch Flüssigerdgas (LNG) aus reaktionären Golfmonarchien wie Katar oder in den USA durch Fracking gefördertes LNG erscheint vor diesem Hintergrund nicht als gute Alternative. Dass die jetzt geplanten LNG-Terminals in Deutschland das Problem nicht alleine und langfristig lösen, ist der Bundesregierung klar. Inwieweit sie der aktuellen Erkenntnis entsprechend handeln wird, ist noch ungewiss.
Unterdessen geht der "Aufstand der letzten Generation" mit heftig umstrittenen Aktionen des zivilen Ungehorsams weiter. "Die Regierung hält am fossilen Weiter-So fest, das uns in weltweite Kriege und den Zusammenbruch unserer Zivilgesellschaft führt", erklärte am Samstag die Initiative, die diesen Namen gewählt hat, weil ihre Generation die letzte sei, die noch das Schlimmste in Sachen Klimakrise verhindern könne.
Die Regierung befeuere durch weiteres Verschleppen der Energiewende den Krieg, so der Vorwurf der Aktivistinnen und Aktivisten, die seit Ende Januar immer wieder den Verkehr auf bundesdeutschen Straßen behindern und zum Teil schon mehrfach festgenommen wurden. Was sie im ersten Schritt als Sofortmaßnahme fordern, ist allerdings weder besonders radikal noch schwer zu finanzieren: ein "Essen-Retten-Gesetz" gegen Lebensmittelverschwendung durch große Supermarktketten, wie es zum Beispiel in Frankreich schon existiert.
Auch der IPCC-Experte Pörtner erklärte an diesem Montag, "die Frage der Ernährung und Lebensweise" sei eine ganz zentrale – er unterstrich aber auch, dass dies individuell nicht ausreicht: "Und ganz wichtig ist, dass man die Politik unter Dampf setzt, die Gesetzmäßigkeiten der Natur zu respektieren."
"Es ist alles gesagt – jetzt zählen Handlungen", erklärte am Nachmittag die deutsche Sektion der internationalen Klimagerechtigkeits-Jugendbewegung Fridays for Future. "Alle politischen Maßnahmen müssen sich direkt aus den aktuellen und unabhängigen wissenschaftlichen Erkenntnissen ableiten."
Dass dies nicht ohne "Dampf" geschehen wird, dafür sprechen alle Erfahrungswerte.
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