Kriege voller Stellvertreter

Kann sich Wladimir Putin (M., hier mit Xi Jinping, 2. v. r.) noch darauf verlassen, dass China sich nicht von ihm abwendet? Archivbild: Archivbild: kremlin.ru / CC-BY-4.0

Von Bären und Drachen: Chinas Haltung zum Ukraine-Konflikt

In Erwartung der Sanktionen vonseiten der EU und den USA ist der Rubelkurs seit Beginn der russischen Invasion in Rekordtiefen gestürzt. Allerdings ist Putin durch ein Handelsabkommen mit China geschützt; zumindest vorerst. Die ungleichen Partner sind sich vor allem darin einig, die Zeit sei reif für einen Versuch, die Machtstrukturen der USA und Europas aufzubrechen.

Während China versucht, seine Wirtschaftsmacht in geopolitischen Einfluss umzuwandeln, um langfristig mit den USA konkurrieren zu können, scheint Putin eher eine von nationalistischer Ideologie geprägte Flucht nach vorne anzutreten.

Trotz aller Anspielungen auf vergangene Zeiten, wenn man Meinungsumfragen Glauben schenken darf, hat es der Kremlchef nicht nötig, die russische Öffentlichkeit noch weiter auf seine Seite zu ziehen, bis jetzt hat die Zuspitzung des Ukraine-Konflikts seinen Umfragewerten eher geholfen. Diese stiegen zuletzt von 65 Prozent im Dezember auf 69 Prozent im Januar, auch wenn laut anderer Umfragen, so etwa von CNN, viele Russinnen und Russen der aktuellen Eskalation der militärischen Auseinandersetzung, kritisch gegenüberstehen.

Putins vordergründiges Problem mit einer souveränen Ukraine ist vor allem sein Groll auf die Ausweitung der Nato gen Osten. Ob die Aufnahme der Ukraine in das Militärbündnis tatsächlich erfolgt wäre, ist eine inzwischen rein akademische Frage. Putins Sprache weist auf eine verstaubte, dem Westen feindlich gesinnte, Ideologie hin.

Im Grunde könnte man also argumentieren, gerade einer Neuauflage des Kalten Krieges beizuwohnen, inklusive Stellvertreterkrieg, allerdings ohne Atomwaffen. So haben es die Atomwaffenmächte jedenfalls zuvor beschlossen.

Das "Ende der Geschichte" und die Folgen

Doch nicht nur Putins Groll auf den Westen scheint aus einer früheren Zeit zu stammen, weite Teile des politischen Diskurses in den USA erinnern an eine Hauntologie, - also an Derridas Gespenster aus der Geschichte, die uns nun heimsuchen. Vielleicht als Strafe dafür, dass der Westen 1989 mit dem Zerfall der Sowjetunion allzu voreilig "Das Ende der Geschichte" verkündete.

Der Begriff ist gerade deswegen zutreffend, da es keine tiefen ideologischen Überzeugungen zweier gegensätzlicher politischen Systeme sind, die in der Ukraine aufeinandertreffen, höchstens ihre Schatten. Putins Fantasie eines Großrusslands ist eng mit dem verletzten Stolz einer Großmacht verwoben. Diese ist weniger von sozialistischen Ideen des 20. Jahrhunderts als vielmehr durch eine russische Version des Panslawismus geprägt, einer politischen Überzeugung des 19. Jahrhunderts, welche die Vereinigung aller "slawischen Völker" in einem kulturell-homogenen Großreich unter russischer Führung propagiert.

Ein Hinweis, dass Putin persönlich eventuell solche Überzeugung hegt, wäre, zum Beispiel, "die von ihm in Auftrag gegebene Statue seines Namensgebers, Wladimir der Große, ein Fürst aus dem 10. Jahrhundert, und Herrscher des ersten ostslawischen Protostaates mit Sitz in Kiew. Ihm wird auch die Einführung des orthodoxen Christentums zugeschrieben".

Ob nun ins 19. oder 20. Jahrhundert, Putin kann die Uhr nicht zurückdrehen. Und die USA hat schon längst einen neuen Erzrivalen, nämlich China. Die Vereinigten Staaten jedenfalls fassten Xi Jinpings Treffen mit Putin am 4. Februar als Zeichen einer verstärkten antiwestlichen Haltung auf chinesischer Seite auf. Nicht ganz zu Unrecht. Wie die Financial Times berichtete, könnten "Banken in Beijing mittels finanzieller Unterstützung Moskaus die Richtung des Konflikts mitbestimmen". China schwächt also die Position der Nato und der USA, indem es die Wirkung der über Russland verhängten Sanktionen abschwächt.

Ob Putins Handelsabkommen mit Beijing, russisches Öl und Gas in Wert von 117 Milliarden (über 30 Jahre) an China zu verkaufen, ausreicht, um europäische Sanktionen auszugleichen, bleibt abzuwarten.

Der Umstand, dass der Deal auch eine neue Pipeline beinhaltet, dürfte einigen deutschen Politikern sauer aufstoßen. Schien es doch einigen nicht leichtzufallen, das Projekt Nord Stream 2 auf Eis zu legen. Aber auch wenn deutsche Gasspeicher einen historischen Tiefstand aufweisen, wird auf der Deutschen Welle verkündigt, "bei mildem Wetter dürfte es reichen", - also immerhin bis in den Frühling.

Sekundäre Sanktionen würden bilateralen Handel gefährden

China allerdings hat einiges zu verlieren, sollten die USA sekundäre Sanktionen gegen die "sozialistische" Volksrepublik anstreben, um diese an einer weiteren Unterstützung Russlands zu hindern. Denn solche Sanktionen würden laut Foreign Policy, "den bilateralen Handel im Wert von mehr als 615 Milliarden Dollar gefährden. (Auf China entfallen fast 19 Prozent aller US-Einfuhren.)"

Vielleicht ist dies ein Szenario, in dem es für die USA von Vorteil ist, gegenüber China ein Handelsdefizit von 355,301 Milliarden (2021) vorweisen zu können. Klingt erst einmal vielversprechend. Bis man in Betracht zieht, was das letzte Mal geschah, als ein US-Präsident China für das Unterlaufen von US-Sanktionen zu Verantwortung ziehen wollte.

Natürlich lassen sich solche Fälle nur begrenzt vergleichen, in besagtem ging es um den Iran. Damals wurden aus allgemeinen Drohgebärden schnell eine Geldstrafe gegen nur einen spezifischen Konzern, Chinas größtes Telekommunikationsunternehmen ZTE (1,19 Milliarden Dollar) inklusive einiger Auflagen.

Als ZTE diese Auflagen verletzte, strafte der damalige Präsident Donald Trump die ZTE nicht etwa, wie angekündigt, mit einem Ausschluss von amerikanischen Märkten, sondern entschied sich aus umstrittenen Gründen dafür, die Firma schlicht und einfach vom Haken zu lassen.

Es wird sich zeigen, ob sich die Biden-Regierung zu mehr Härte bereit ist und die größte Waffe einsetzt, nämlich den Umstand nutzt, dass "der US-Dollar fast 60 Prozent der weltweiten Devisenreserven ausmacht - der chinesische Renminbi nicht".

Auch China hat eine eigene Agenda

Bis jetzt stand China auf Seite der russischen Regierung. Am 24. Februar rief das chinesische Außenministerium dazu auf, Zurückhaltung zu üben und weigerte sich, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als Invasion zu bezeichnen. Bei der UN-Sicherheitsratsabstimmung zum Krieg in der Ukraine enthielt sich der chinesische Vertreter der Stimme.

Vielleicht war Beijing doch etwas überrascht, wie weit Putin zu gehen bereit ist, um sich als starker Mann an der Spitze einer Weltmacht zu gerieren. Ein Unterfangen, welches durch den Umstand getrübt wird, dass er erst bei Xi Jinping um Geld und Unterstützung bitten musste, um dann später mit seinem Krieg brav das Ende der Olympischen Winterspiele in China abzuwarten. Doch ist die Beziehung zu China mutmaßlich der Grund, warum sich Russland überhaupt als Großmacht gebärden kann.

Auch die Chinesen haben ihre eigene Agenda. Manche Stimmen ziehen Parallelen zwischen Taiwan und der Ukraine und warnen vor einer zeitgleichen Aneignung Taiwans durch China. Auch wenn davon auszugehen ist, dass China (und die Türkei) sich die Reaktion des Westens auf Eroberungskriege genau ansehen wird, ist es schwer vorstellbar, Beijing habe sich auf Russlands Seite geschlagen, um sich zeitgleich Taiwan anzueignen.

Ein solches geopolitisches Schachspiel hat China gar nicht nötig. Die Sprecherin für das Auslandsministerium, Hua Chunying, erklärte vor ein paar Tagen: Taiwan sei nicht die Ukraine. Taiwan sei immer ein unveräußerlicher Teil Chinas gewesen. Dies wurde als eine unbestreitbare rechtliche und historische Tatsache dargestellt.

China ist sich also Taiwans sicher, egal wie der Ukraine-Konflikt ausgeht. Und ein militärisches Einschreiten der USA in einem solchen Fall wäre tatsächlich noch unwahrscheinlicher als eine direkte Konfrontation mit Russland im Ukraine-Krieg.

Wahrscheinlich geht es Xi Jinping vor allem darum, überall den Einfluss der USA und der EU infrage zu stellen, egal wo sich die Gelegenheit bietet, ob im Nahen Osten, in Afrika oder eben durch Annäherung an Russland. Bleibt abzuwarten, wie ernst es Chinas Machthabern mit ihrer Unterstützung Russlands gegen Nato und USA wirklich ist.

Bis jetzt scheint Beijing zu kalkulieren, dass eine Destabilisierung der Nato und des US-Einflusses eine Gefährdung der Beziehung zu Europa wert ist. Aber das kann sich schnell ändern, denn "mit Amerika und der EU betreibt China Handel, der vom Volumen um ein Mehrfaches höher ist als der Handel mit Russland" (Tagesschau).

Russland und China sind sich im Grunde nur darin einig, die wirtschaftliche und politische Macht der USA und des sogenannten Westens aufbrechen zu wollen. Die einen, um langfristig den USA auf der geopolitischen Bühne als ebenbürtige Partner begegnen zu können, die anderen, um daraus Profit zu schlagen. Keines dieser Ziele rechtfertigt Krieg.

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