Kriegsmüdigkeit bei den Friedensbewegten

Die deutschen Friedensaktivisten müssen aufrüsten: Wie die jüngste Berliner Anti-Kriegsdemo zeigte, fehlt es an neuen Ideen, an Masse und an Klasse

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Die im Vorfeld des Irak-Kriegs wieder erwachte Friedensbewegung muss hierzulande aufpassen, dass sie nicht schon anderthalb Wochen nach Beginn des Kreuzzugs gegen das Regime Saddam Husseins wieder friedvoll einschlummert. Zwar gingen auch am Samstag wieder zehntausende Menschen gegen die Bomben auf bundesdeutsche Straßen. Doch es waren auch schon mal Hunderttausende. Zudem hat die bunte Gemeinde der Demonstranten zwischen Berlin und Stuttgart noch keine gemeinsame Sprache, kein verbindendes Ausdruckselement gefunden und bleibt damit eher farblos.

Alle Fotos: Stefan Krempl

Omi und Opi sind auch wieder da: Mit dem weißen Friedenslogo auf blauen Grund am Revers steht das Pärchen im weißen Haar an der Straße des 17. Juni in Berlin. Die Verkehrsader, auf der sich sonst Stoßstange an Stoßstange reiht, gehört an diesem Samstag erneut den Kriegsgegnern, die in zügigem Tempo und für einen Protestzug auffallend leise vorbeiziehen. Ein Papi schiebt den Kinderwagen vor sich her, zwei junge Mädchen, die ständig kichern, schleppen was von "Aloha" und "Liebe" auf einem Pappschild mit sich rum. Ein Unentwegter genießt sein Eis mitten im Laufen.

Ein Typ mit Sonnenbrille hat ein anscheinend schon ein paar Jährchen auf dem Buckel habendes Plakat mit der Aufschrift "Ami go home" aus den dunkelsten Ecken des Kellers hervorgekramt. "Das alte Europa will den Frieden", verrät das Transparent einer Gruppe schon leicht angegrauter Schlipsträger. Eine Handvoll Blechbläser versucht sich an Jon Lennons Friedensrhythmen, während ein anderer Protestler mit einer Radio-Megaphon-Kopplung etwas musikalische Bewegung auf Deutschland größte Demomeile an diesem strahlenden Sonnentag zu bringen versucht.

Jung und Alt sind auf den Beinen, um dem Nicht-Einverständnis mit dem Angriff der Amerikaner und Briten auf den Irak Ausdruck zu verleihen. Ein gemischtes Völkchen, in das sich der Esslinger Sportbund, der mit seiner bunten "Pace-Fahne" unbedingt am liebsten "in den 'Stern' kommen möchte", genauso einreiht wie ein paar versprengte Punks aus Kreuzberg. Doch die haben sich vermutlich nur verirrt, denn die echte Hardcore-Linken-Demo soll erst abends um 8 in der Oranienstraße steigen. Zu dem großen Flügelmarsch vom Potsdamer Platz im Osten und dem Ernst-Reuter-Platz im Westen an den Treffpunkt Siegessäule am Großen Stern hat dagegen ein loses Netzwerk verschiedenster Initiativen, Kirchenkreisen, Parteienvertreter und Anti-Kriegskomitees aufgerufen.

Doch die Geladenen kamen nur spärlich: Hatten sich Mitte Februar bei Eiseskälte überraschenderweise eine halbe Millionen Menschen aus Angst vor einem bevorstehenden Irak-Krieg unter der Goldelse versammelt, waren es diesmal bei schönstem Sonnenschein den Angaben der Veranstalter zufolge nur noch 50.000. Und auch in diese Zahl wurden wohl einige ahnungslose Touristen gleich mit eingerechnet, die sich zufällig an den Rand des Geschehens verirrt hatten.

Nach exakt 66 Anti-Kriegs-Anti-Bush-Anti-Blair-Demos allein in der Hauptstadt seit Beginn der Bombardements vor knapp anderthalb Wochen - das sind immerhin fast 7 Protestzüge pro Tag - scheinen die "Bush-ist-doof"-Skandierer kriegsmüde geworden zu sein und bereits alles gesagt zu haben. Die Luft ist raus nach all dem Marschieren für den Frieden, auch wenn der "Greenpeace"-Fesselballon noch einmal groß ein "No War" an den Himmel zeichnet und tausende grüne Luftballons dasselbe in klein über den Köpfen der Standhaften wiederholen.

Fortsetzung: Der im Medienzeitalter notwendige Unterhaltungswert einer Großveranstaltung hält sich in Grenzen

Die Müdigkeit spiegelt sich in der Aufmachung der Kriegsgegner wider. Hübsch anzusehen ist zwar das auf Hippie getrimmte Blumenmädchen im altrosa Kleid, das Bush als den "größten Terroristen" der Erde auf dem umgehängten Schild outet. Reizvoll auch, für was sich ein blauer Müllsack gebrauchen lässt: als Untergrund für das mit Tesa-Krepp aufgeklebte Friedenszeichen, wie eine brünette Dame mittleren Alters stolz beweist. Interessant die von einem stämmigen Burschen im besten Alter laut in die Welt hinausposaunte These, wonach "Bush und Konsorten Illuminaten sind". Fesch sind die alternativen Pfadfinder, die auf dem Straßenbeton ihr eigenes Sit-in organisieren und die Klampfe wie am Lagerfeuer rühren. Oder die schwarz-weiß durchmischte Interkulti-Sponti-Band, die trommelt, was die Stöcke und Pfoten hergeben.

Doch insgesamt hat die Demo wenig Hingucker- und -hörer. Ihr Unterhaltungswert, der im TV-Zeitalter einfach zu einer Großveranstaltung gehört, hält sich in Grenzen. Selbst die in den Regenbogenfarben im Sonnenlicht erstrahlenden Pace-Fahnen, die dem politisch nicht korrekten angloamerikanischen "Peace" den Rang ablaufen sollen, wirken in den deutschen Straßen im Vergleich zu ihren Originalschauplätzen an italienischen Balkons etwas fahl am Platz.

Mut zum eigenständigen Friedensdesign zeigen die wenigsten Mitläufer. Lustige und zweideutige Aufschriften auf Bannern, wie sie in anderen Ländern etwa gemäß dem Motto "Bombing for Freedom is like F. for Virginity" Furore machen, kann man genauso an einer Hand abzählen wie witzige Friedens-Streetwear. Zwar vermarkten findige Aktivisten längst entsprechende T-Shirts unter eigenem Label in Berlin (Auch der Krieg hat seine guten Seiten ...). Doch die werden anscheinend lieber in den In-Clubs der Hauptstadt zur Schau getragen als auf der Straße.

Cool, diese Araber

Wenig Spektakuläres dröhnt aus den Lautsprechern während der Abschlusskundgebung am Großen Stern. "Stoppt diesen schändlichen Krieg, sofort!", fällt Laura von Wimmersperg, der Organisatorin der Großdemo, gerade noch als Forderung ein. DGB-Chef Michael Sommer versucht es einmal mit Lautstärke und brüllt in die Welt hinaus, dass das für Bomben verschwendete Geld doch besser "gegen Hunger statt gegen Menschen" ausgegeben werden sollte. Wenige Sekunden später gibt er sich tief betroffen: "Es ist erschreckend, wie Menschen auf einen Markt gehen und anschließend verstümmelt werden", haucht er ins Mikro, als ob das Unfassbare nicht aussprechbar sei, obwohl es schon über Millionen Bildschirme flimmerte.

Für Frau Merkel hat Sommer schließlich noch den Tipp parat, sich nicht dem Ami ständig an den Hals zu werfen. Und der durch Abwesenheit glänzenden Bundesregierung legt der die durchwachsene Menge ständig wie bei einem Heimspiel mit "Kolleginnen und Kollegen" ansprechende Gewerkschaftler an Herz, die deutschen Soldaten aus den Awacs zurückzuziehen, falls diese für die Vorbereitung von Angriffen auf den Nordirak missbraucht würden.

Besser weg kommt bei einem blond gefärbten Schwarz Tragenden der anschließend vom "Mafiosi Bush" sprechende Führer der algerischen Befreiungsbewegung, Ahmed Ben Bela: "Cool, diese Araber sind so cool", verrät er seinem nickenden Mitstreiter. "Ich liebe dieses Volk". Ben Bela glaubt auch ans Volk, denn von nichts anderen könnten Demokratien ausgehen, sagt er auf der Bühne.

Nicht krass genug

Während sich die Menge langsam auflöst, versucht Ingrid, eine ihr Gesicht hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckende Mittfünfzigerin aus Charlottenburg, noch ein paar Unterschriften für einen Protestbrief von Amnesty International an den auch an diesem Tage wieder übermächtig präsenten Bush zu sammeln. "Es geht darum, dass die Menschen in den Kriegsgebieten und die Gefangenen humanitär behandelt werden", fasst sie die Forderungen ihrer Organisation zusammen. "Aber mal ehrlich, das ist mir gar nicht krass genug in dieser Situation. Unterschreiben Sie auch noch? Dann habe ich wieder eine Seite voll." Ob sie wirklich an den Erfolg glaube? "Unsere Arbeit ist mühsam", erwidert Ingrid und starrt auf zwei Jogger, die durch den Tiergarten schnaufen, aber es gebe einzelne Erfolge. "Und ob ich nun in der Kneipe sitze oder hier rumlaufe..."

Auf dem Heimweg von der Demo passieren zahlreiche erschöpfte Antikriegs-Krieger dann wieder das Friedenscamp.org, das Aktivisten aus der linken (Öko-)Szene mit Kriegsbeginn auf dem Sandstreifen inmitten der Allee Unter den Linden in unmittelbarer Nähe der US-Botschaft errichtet haben. Dort läutet alle Viertelstunde die Friedensglocke, während die Protestler tags um den DJ und nachts um das Lagerfeuer tanzen. Ein Hauch von Räucherstäbchen, Marihuana, Schweiß und Tränen liegt in der Luft, der auch den mit offenen Mündern durch die Zelte stolpernden Touris die Betroffenheit in die Augen treibt.

"Nähe und Wärme" finde er hier in den dunklen Zeiten, berichtet Dirk, ein derzeit arbeitsloser Berliner mit leichtem Bartansatz, Batik-Hemd und blauem Rock. Gestern etwa habe er den Fehler gemacht, kurz nach Hause zu fahren und im Fernsehen mal wieder die Bilder aus Bagdad zu sehen. "Da musste ich so was von heulen", erzählt der Friedfertige einer deutschen Studentin, die ihrem amerikanischen Begleiter seine Worte ins Englische übersetzt. Aber im Camp fände sich immer jemand, den man in den Arm nehmen und sich so emotional ausleben könne.

20 bis 70 Leute würden permanent bei der zunächst bis zum 10. April gestatteten Mahnwache ausharren, weiß der Jüngling. Mit der etwas grimmig dreinblickenden Polizei vor der Zufahrt zur Botschaft gebe es keine Probleme. Ob man aber auch nach dem Irak-Krieg weitermachen wolle, sei noch unklar. Denn Bomben würden ja wohl auch danach noch fliegen. "Doch Bush darf damit nicht durchkommen", sagt Dirk fest entschlossen, während der DJ von Cat Stevens zu Simon & Garfunkel wechselt. Ein Kollege blinzelt derweil mit der "Friedensbemalung" im Gesicht munter in die Sonne, die in Berlin erst bei ihrem Untergang von den Rauchschwaden des Mahnfeuers verdunkelt wird.