Kriegspropaganda: Eine Kiewer Ente im deutschen Blätterwald
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Hiesige Leitmedien bringen eine offensichtliche Falschmeldung von Petro Poroschenko über einen zerstörten russischen Panzerkonvoi
Eine Meldung sorgte zu Beginn des Wochenendes für große Aufregung: Die ukrainische Armee soll laut Präsident Poroschenko auf ukrainischem Staatsgebiet russisches Militär angetroffen und angegriffen haben (Ein russischer Militärkonvoi soll in der Ukraine teilweise vernichtet worden sein). Kaum abzuschätzen, wie viele Menschen nun erschreckt dachten, dies sei der Beginn eines neuen großen Krieges in Europa.
Verantwortungsbewusste Medien sollten Meldungen, die solche Folgen haben können, zumindest minimal auf Plausibilität überprüfen, bevor sie sie bringen. Brandgefährliche Fehlinformationen sind schließlich das letzte, was der Ukraine-Konflikt derzeit braucht. Doch obwohl die Meldung von der Vernichtung eines russischen Panzerkonvois früh als Falschmeldung erkennbar war, veröffentlichten die Medien sie.
Schnelligkeit vor Richtigkeit
Überall egal ob Print, TV oder Online; egal ob Leitmedium oder Lokalzeitung: kaum eine Nachrichtenplattform hielt sich zurück. Stern.de titelte "Ukrainisches Militär greift russische Armee an", "Ukrainische Armee nimmt russische Militärfahrzeuge unter Beschuss" war sich Zeit-Online sicher und n24 vermeldete "Ukrainische Armee greift russischen Konvoi an". In Österreich sah es übrigens ähnlich aus "Ukraine sprengt Russen-Panzer in die Luft", hieß es etwa beim Online-Portal oe24. Das klang alles schon ganz nach einem realen Ereignis.
Zumindest in der Überschrift noch eher zurückhaltend blieben Welt.de und Spiegel-Online: "Ukraine meldet Angriff auf russischen Militärkonvoi". Bei jedem auch nur halbwegs kritischen Mediennutzer schrillen aber auch bei so einer Überschrift schon alle Alarmglocken: Eine Kriegspartei meldet etwas im Krieg - Vorsicht, das könnte gelogen sein.
Normalerweise sollte das mit den Alarmglocken hierbei erst recht für hauptberufliche Redakteure gelten. Nicht jedoch in Deutschland - eine Zeitungsente Kiews schafft es hier bis zur Top-Meldung in den Abendnachrichten und auf die Titelseiten der meisten Blätter. Seriöse Redakteure hätten von diesem Schritt dringend abgeraten. Denn wer sich nur kurz mit der Meldung auseinandersetzt, muss sofort große Zweifel bekommen, ob das darin berichtete Ereignis überhaupt stattgefunden hat.
Die Vorgeschichte
Am Abend des 14. August berichteten die beiden britischen Reporter Roland Olyphant (Telegraph) und Shaun Walker (Guardian) davon, dass sie den Grenzübertritt einer Kolonne von 23 offiziellen russischen Militärfahrzeugen auf das Staatsgebiet der Ukraine beobachtet hätten.
Eigentlich begleiteten die Korrespondenten an diesem Tag den russischen Hilfskonvoi mit den rund 270 weißen LKW. Doch dieser parkte nun auf einem Feld bei der russischen Stadt Kamensk-Schachtinski. Die zwei Reporter entdeckten dann eine andere Fahrzeugkolonne, die laut ihren Aussagen aus "gepanzerten Fahrzeugen" und "Militär-Trucks" bestanden hat.
Ein von Walker getwittertes Bild zeigt einen Schützenpanzer von hinten. Die ersten Fahrzeuge der Kolonne sind gerade so davor erkennbar. Die (Nummern-)Schilder der russischen Armee ("official Russian military plates") jedoch nicht. Bei Twitter schrieb er zu dem Bild
Ähm ok, das ist keine humanitäre Hilfe. Eine Kolonne von mehr als 20 APC [deutsche Abkürzung: MTW, gepanzerte Mannschaftstransportwagen] 10 Kilometer vor der ukrainischen Grenze und näherkommend.
Russisches Militär bewegt sich innerhalb Russlands. So weit, so normal. Unklar bleibt, warum die beiden Reporter eigentlich hinter dieser Kolonne hergefahren sind. Ein ungewöhnlicher Anblick war sie wohl kaum. Seit Monaten berichten westliche Medien von russischen Truppen in der Grenzregion. Im Nachbarland herrscht Bürgerkrieg, erst vor zwei Wochen sind rund 400 ukrainische Soldaten laut Kiew bei einem "taktischen Manöver" in Russland, laut russischen Medien geflohen eingedrungen - da sind Schützenpanzerverbände als Grenzpatrouille keine abwegige Idee. Ebenso fraglich an Walkers Tweet ist, was ihn dazu brachte, diese ganz andere Kolonne mit "humanitärer Hilfe" in Verbindung zu bringen.
Grenzverletzung?
In einer weiteren Twitter-Nachricht behauptet Walker dann, zusammen mit Olyphant gesehen zu haben, wie eben diese Kolonne just über die Grenze in die Ukraine gefahren sei. Die Fahrzeuge hätten die Dunkelheit abgewartet und seien dann kurz vor 22 Uhr Ortszeit über einen Feldweg zur Grenze nahe der russischen Kleinstadt Donezk (nicht mit der ukrainischen Großstadt gleichen Namens zu verwechseln) gefahren, wo sie durch ein Loch im Stacheldrahtzaun in die Ukraine eingedrungen seien. In seinem Text vom folgenden Tag konkretisiert Walker die Ortsangabe mit "in der Nähe des Dorfes Severny auf der ukrainischen Seite".
Schon bei diesem Bericht kommen jedoch zahlreiche Fragen auf: Warum zeigen beide keine Fotos von der wartenden Kolonne? Vom Grenzübertritt selbst haben sie keine Bilder - es war ja dunkel. Wie aber haben sie diesen Übertritt dann gesehen? Nachts auf einem Feld ist es in der Regel so finster, dass sie quasi neben dem Loch im Zaun hätten stehen müssen. Oder hatten sie Nachtsichtgeräte?
Und warum haben die russischen Soldaten die beiden Journalisten nicht bemerkt? Dort standen ja bewaffnete Wachen, wie Walker darlegt: "armed men stood guard". Warum haben die beiden Reporter die Lücke im Grenzzaun denn am nächsten Tag nicht fotografiert? Und überhaupt, seit wann sind Panzer auf Löcher in Zäunen angewiesen, um irgendwo hin zu gelangen?
Im ganzen Text findet sich tatsächlich kein Beweis für die Aussage der zwei Journalisten, dass russisches Militär auf das Staatsgebiet der Ukraine gefahren ist. Es bleibt also nichts anderes übrig, als sich auf die Glaubwürdigkeit der Korrespondenten zu verlassen. Diese kann ihnen nicht einfach abgesprochen werden. Wieso sollten sie eine Lügengeschichte erzählen?
Womöglich stimmt der Bericht der britischen Reporter vom Abend des 14. August.1 Sie schrieben ja auch, dass es für sie unmöglich war, Fahrtrichtung, Zweck oder Aufenthaltsdauer der Kolonne zu verifizieren. Doch was aus dieser Geschichte folgt, ist nicht nur abenteuerlich, sondern nur noch manipulativ.
Poroschenko verwandelt die Vorlage
Was nun geschah, zeigt musterhaft, wie das Zusammenspiel von ukrainischen Machthabern und NATO mit westlichen Nachrichtenagenturen und überregionalen Leitmedien funktioniert. Lokalzeitungen erweisen sich dann zusätzlich noch als linientreue Multiplikations-Plattformen.
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen2 und ukrainische Militärs sagten, dass der Bericht der beiden Reporter zutreffe. Auch sie legten keine Beweise vor. Ihre Hauptaussage erschöpfte sich darin, dass diese Geschichte ein erneuter Beleg für Russlands Aktivitäten in der Ostukraine sei. So einfach wird aus einem weiteren Gerücht ein weiterer Beweis.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko setzte aber noch einen drauf und erklärte sowohl auf seiner offiziellen Website als auch im Gespräch mit dem britischen Premierminister David Cameron, dass ukrainische Artillerie den Großteil des vermeintlichen Konvois zerstört habe.
Wenig später teilte auch Andriy Lysenko, Sprecher des ukrainischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats, diese Version mit. Beweise lieferte er genauso wenig wie Poroschenko, obwohl die Zerstörung der russischen Schützenpanzer doch noch in derselben Nacht wie der Grenzübertritt stattgefunden haben soll und diese Zeit für Bildbeweise doch ausreichen sollte. Solche Fotos oder Videos gibt es übrigens bis heute nicht.
Trotzdem hatte es die Meldung natürlich in sich: Russische Panzer in Gefechten mit der ukrainischen Armee - gibt es nun Krieg? Die Politik reagierte. London berief den russischen Botschafter ein. Angela Merkel telefonierte mal wieder mit Wladimir Putin. Bis ins Wochenende hinein forderten westliche Staatslenker Russland auf, alle Feindseligkeiten gegen die Ukraine sofort zu unterlassen. Beweise wollten weder die politischen noch die medialen Macher.