Krise? Welche Krise?
Auf ihrem Mini-Gipfel forderten die EU-Staats- und Regierungschefs "Transparenz" zur Lösung der Finanzkrise
Widersprüchliche Signale gingen vom Mini-Gipfel gestern in London aus. Schon die Tatsache, dass sich plötzlich Staats- und Regierungschefs treffen, um über die Turbulenzen an den Finanzmärkten zu sprechen, passt nicht mit den Beschwichtigungsformeln zusammen, die im Rahmen des Treffens ausgesandt wurden. Der Internationale Währungsfond (IWF) hat seine Wachstumsprognosen erneut gesenkt. Für die Euro-Zone wird nur noch eine Wachstum von 1,6 Prozent vorhergesagt. Der IWF schließt eine Rezession in den Industriestaaten nicht aus, sollte sich die Finanzmarktkrise endlos fortsetzen. In den USA wird weiter an einem Konjunkturprogramm gestrickt und heute eine weitere Absenkung der Leitzinsen zur Ankurbelung der Konjunktur erwartet.
Eigentlich wollte der britische Premierminister Gordon Brown nur den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel laden, um mit den Führern der großen europäischen Ökonomien über Konsequenzen aus der Finanzkrise zu beraten. Doch nach diplomatischem Streit im Hintergrund wurde neben dem Chef der EU-Kommission José Manuel Barroso auch der noch amtierende italienische Regierungschef Romano Prodi geladen. Das verärgerte wiederum Spanien und Belgien deutlich.
Es war der britische Premier, der deutlich warnende Worte fand. Er sprach davon, dass sich die US-Hypothekenkrise auf die europäischen Finanzmärkte ausgeweitet habe. Er nahm auch die sprachliche Vorgabe auf, die US-Präsident Bush am Vortag in seiner letzten Regierungserklärung abgegeben hatte und von eine "Periode der Unsicherheit" ankündigte. Angesichts der "Unsicherheit", so Brown, sei es nun notwenig, "ein Signal für das Prinzip offener Märkte" abzugeben, um einen Rückfall in den Protektionismus zu vermeiden.
Doch insgesamt diente das Treffen als Beruhigungspille. Es soll Vertrauen in die Stabilität der europäischen Wirtschaften und in die Märkte allgemein fördern. Dass der Mini-Gipfel ausgerechnet kurz nach den Rezessionswarnungen vom Weltwirtschaftsforum im Schweizer Kurort Davos stattfand, ist kein Zufall ("… the guy who laid them off"). In einer gemeinsamen Abschlusserklärung wurde deshalb noch einmal bekräftigt, was Barroso schon vor dem Abflug nach London in Brüssel erklärt hatte: "Die Basis der europäischen Ökonomien sind weiterhin gesund".
In der Erklärung, die als Vorlage für das Treffen der G8-Finanzminister nächste Woche in Japan dienen soll, heißt es weiter: "Die aktuellen Turbulenzen auf den Märkten haben die Notwendigkeit von Reformen unterstrichen, damit die globalen Institutionen die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts annehmen können." Wie die Reformen aussehen sollen, darin besteht keine Einigkeit. Man erging sich in allgemeinen Absichtserklärungen. Wieder einmal wird von einer besseren Zusammenarbeit innerhalb der EU gesprochen und zudem solle ein besseres Frühwarnsystem geschaffen werden. Auch von eine stärkere Kontrolle durch den Internationalen Währungsfonds wurde angesprochen.
Dabei zweifelt Brown daran, ob stärkere Kontrollen im Finanzbereich überhaupt erforderlich und sinnvoll sind. An diesem Punkt habe "jedes Land seine eigenen Vorstellungen", sagte er und legte damit einen deutlichen Dissens fest. Er lehnte den Vorschlag Prodis ab, eine EU-weite Aufsichtsbehörde zu schaffen. So klingt es nach einer leeren Drohung, wenn nach dem Treffen die Bereitschaft betont wird, "schnell regulatorisch zu handeln", wenn die Rating-Agenturen nicht zügig mehr Transparenz schaffen. Gefordert wird eine zahnlose "Selbstverpflichtung". Doch damit wird deutlich, dass es mehr um Kosmetik als um eine effektive Kontrolle geht.
Fehlende Transparenz wurde als eine der zentralen Ursachen für die Krise und die steigende Unsicherheit ausgemacht. Deshalb wurden die europäischen Banken aufgefordert, ihre Verluste und Abschreibungen "schnell und vollständig offen zu legen". Das ganze Ausmaß der Krise ist weiter nicht überschaubar, da die meisten dieser Geschäfte außerhalb der offiziellen Bankbilanzen getätigt wurden.
Wachstumsprognosen tendieren nach unten
Gestern musste auch die Vorzeigebank UBS Federn lassen. Lange Zeit hatte sie behauptet, von der Krise nicht betroffen zu sein. Scheibchenweise gab die Bank dann Verluste zu, doch nun kommt es für die größte Schweizer Bank noch viel schlimmer, als ohnehin schon erwartet worden ist. Erstmals in ihrer Geschichte muss sie 2007 einen Verlust etwa 4,4 Milliarden Franken ausweisen. Für das vierte Quartal 2007 wird der Verlust mit einer Höhe von 12,5 Milliarden Franken beziffert. Allein die UBS musste bisher rund 18,4 Milliarden Dollar wegen der Hypothekenkrise abschreiben. Doch noch immer schlummern in den Bilanzen unklare Milliardenbeträge.
Angesichts der Krise drängt auch der IWF auf Transparenz, um das Vertrauen in die Finanzmärkte wieder herzustellen. Am Dienstag korrigierte er erneut die Wachstumsprognosen nach unten. Für die USA sagt der IWF 2008 noch ein Wachstum von 1,5 Prozent voraus und senkte seine Prognose erneut um 0,4 %. Auch für die Euro-Zone senkte der IWF erneut seine Erwartung an das Wirtschaftswachstum, das nun nur noch bei 1,6 % liegen soll. Die Spannungen auf den Finanzmärkten hätten sich verstärkt. "Das größte Risiko für den globalen Wirtschaftsausblick sind andauernde Turbulenzen auf den Finanzmärkten, die die Inlandsnachfrage in den Industrieländern drücken und auf die Schwellen- sowie Entwicklungsländer übergreifen", heißt es in dem Ausblick.
Zwar spricht der IWF nicht von einer Rezession in den USA, aber insgesamt wird eine Rezession für die Industrieländer nicht ausgeschlossen, wenn sich die Finanzmarktkrise endlos fortsetze. Die Senkung der Leitzinsen in den USA zur Ankurbelung der Konjunktur wird als "angemessen und hilfreich" beurteilt auch wenn darüber der Inflationsdruck wächst. Insgesamt erwarten die Märkte, dass die US-Notenbank (FED) heute erneut an der Zinsschraube dreht. Nach der umstrittenen Senkung um 75 Basispunkte auf 3,5 Prozent, mit der ein Börsencrash vermieden wurde, wird eine erneute Senkung von mindestens 0,25 Prozent erwartet.
Das von George Bush angekündigte Programm zur Ankurbelung der Konjunktur könnte sich allerdings verzögern. Es soll einen Umfang von 146 Milliarden US-Dollar haben und wurde gestern im Repräsentantenhaus verabschiedet. Doch nun geht der Entwurf an den Senat. Dort hat der Finanzausschuss aber einen eigenen Plan vorgelegt. Bisher sind jährliche Steuererleichterungen von bis zu 600 US-Dollar für Einzelpersonen, 1200 Dollar für verheiratete Paare und jeweils 300 Dollar für jedes Kind vorgesehen und auch Firmen sollen steuerlich entlastet werden. Demokratische Senatoren wollen aber eine Entlastung für breitere Bevölkerungsgruppen und auch Alte, Bedürftige und Arbeitslose sollen profitieren.
Schritte wie in den USA hielten die Staats- und Regierungschefs für Europa auf ihrem Mini-Gipfel für unnötig. Doch gerade Brown könnte sein Meinung bald ändern. Denn in Großbritannien, wo die Immobilienpreise deutlich fallen, deutet sich ein ähnliches Szenario wie in den USA an. Gestern hat die Aufsichtsbehörde (FSA) gewarnt, dass eine Million Immobilien in Großbritannien gefährdet seien. Die Eigentümer könnten wegen der steigenden Inflation, der hohen Zinsen und der schwächelnden Konjunktur ihre Immobilien wegen Zahlungsschwierigkeiten verlieren. Jeder dritte Immobilienkredit, der zwischen April 2005 und September 2007 vergeben worden sei, weise erhebliche Risiken auf.