Kursk-Invasion: Folgen in Russland

Entsperrter Laptop mit Karte des ukrainischen Vorstoßes

Einige Folgen der ukrainischen Invasion bei Kursk in Russland stehen bereits unabhängig vom militärischen Ausgang fest. Die von Kiew erwünschten sind nicht dabei.

Als vor etwa einer Woche die Ukraine ihren Einmarsch in die russische Grenzregion von Kursk begann, traf dieser Vorgang Russland medial ebenso unvorbereitet wie militärisch.

Aus Selbstschutz können auch private russische Medien nichts veröffentlichen, was offiziellen Kriegsdarstellungen widerspricht. Andernfalls riskieren Journalisten ihre Freiheit, ihre Arbeitgeber eine Schließung.

Die Suche nach nichtoffiziellen Informationen

Die offizielle Seite wandte, wie es der russische Journalist Andrej Perzew in einer Analyse ausdrückte, zunächst ihre gängige Medien-Taktik an, Probleme zu vertuschen und zu warten, bis sie sich von selbst lösen. Doch diese Taktik sei dieses Mal komplett gescheitert, denn die Ukrainer waren nach einigen Tagen nachweislich weiter im russischen Mutterland präsent.

Das soziale Netzwerk Telegram wurde im anfänglichen offiziellen News-Vakuum zum Hauptmedium der Russen. Amateurvideos von Bewohnern der betroffenen Gebiete oder über die Gefangennahme russischer Wehrpflichtiger verbreiteten sich.

Schließlich fasste sich die renommierte Moskauer Zeitung Kommersant ein Herz und schickte in einem Taxi seinen Korrespondenten Alexander Tschernych ins umkämpfte Sudzha.

Dieser kam dort zwar nie an – 25 Kilometer vor der Stadt drehte der Fahrer angesichts rauchender und kürzlich getroffener Zivilautos um nach Kursk. Dennoch wurde sein Artikel mit zahlreichen, weitgehend unkommentierten Interviews mit Flüchtlingen aus der Kampfregion innerhalb kürzester Zeit zum aktuell meistgeklickten Artikel des Blattes.

Viele Russen sind online auf der Suche nach authentischer Information. Was ihnen die linientreuen Staatsmedien vorsetzen, entspricht nicht dem, was sie über Umwege aus der betroffenen Region hören.

Wenig später war die Zeit der Beschwichtigung und des Schweigens für Russlands Offizielle zum Einmarsch vorbei – "Putin und seine Untergebenen müssen zumindest für einige Zeit der von der Ukraine auferlegten Agenda folgen", beschreibt Perzew diesen Umschwung.

Die neuen Vorgaben von Russlands Offiziellen für die Inlandsmedien bestehen seitdem laut der Onlinezeitung Meduza darin, über "Erfolge der russischen Armee" zu sprechen, über zivile Opfer und Parallelen zum deutschen Angriff im Zweiten Weltkrieg herzustellen.

Der Drang zur Umgehung von Websperren

Das wird den aktuell großen Drang der Russen nach ungefilterten Informationen nicht verringern. So ist eine unzweifelhafte Folge der Kursker Invasion der Ukraine ein weiterer Bedeutungs- und Vertrauensverlust der eigenen, gelenkten Medien in der russischen Bevölkerung.

Dieser ist kein neues Phänomen, aber eines, das sich aktuell schnell verstärkt und auch Bevölkerungskreise weit weg von liberalen Kriegsgegnern erfasst.

Zusätzlich wird die fortschreitende Sperre des in Russland beliebten YouTube viele Russen animieren, auf ihren Rechnern und Smartphones VPN-Software zu installieren, mit der sich Restriktionen des Staates umgehen lassen.

So werden größere Teile der Bevölkerung verbotene, nicht linientreue Informationen empfangen, um richtig informiert zu bleiben.

Viele weitere Folgen des ukrainischen Einmarsches sind aktuell noch Gegenstand von Spekulationen. Werden sich die Russen angesichts der Invasion des eigenen Mutterlands "um die Fahne versammeln" oder wird die aktuelle Unruhe sich in massivere Unzufriedenheit mit der eigenen Führung steigern? Letzteres ist eine offen geäußerte Hoffnung der Kiewer Führung.

Maßgeblich wird das vom militärischen Fortgang der Dinge an der Front abhängen. Russland ist schon dabei, massive Kräfte zu versammeln, um die Ukrainer wieder zu vertreiben und das Ergebnis dieser Bemühungen wird bald zu sehen sein.

Dennoch gibt es neben dem Vertrauensverlust in die Medien in Russland weitere Konsequenzen des ukrainischen Angriffs, die bereits jetzt offensichtlich sind.

Ansehensverlust für Kadyrow und tschetschenische Einheiten

Bekannt ist etwa, dass an dem Grenzabschnitt, in dem der Durchbruch erfolgte, neben Wehrpflichtigen auch Ramsan Kadyrows tschetschenische Einheit "Ahmat" eingesetzt war.

Als die Ukrainer hier zunächst recht ungehindert durchbrachen, stellten viele Russen die Frage, wo die Tschetschenen, die sich auf TikTok in gestellten Kampfszenen gerne martialisch in Szene setzen, eigentlich waren.

Der Ahmat-Feldkommandeur Apti Alaudinow wartete zunächst mit der Erklärung auf, die Ukrainer hätten die eigenen Stellungen umgangen, seien quasi zwischen ihnen eingesickert.

Das war angesichts des Umfangs der Invasion eine wenig glaubwürdige Aussage und tatsächlich tauchten inzwischen Videoaufnahmen gefangener Ahmat-Kämpfer auf, die sich den Ukrainern ergeben hatten.

Alaudinow war sich sofort bewusst, welch schlechtes Bild das auf seine Truppe wirft und er verleugnete die Zugehörigkeit der gefangenen Tschetschenen zur Spezialeinheit „Ahmat“. Sie seien aus anderen Einheiten.

Ein früherer langjähriger russischer Geheimdienstoffizier bestätigte jedoch gegenüber der Onlinezeitung Waschninye Istorii, dass das schnelle Eindringen der Ukrainer in der Kursker Region ein „Fehler des Geheimdienstes, des russischen Verteidigungsministeriums und der Tik-Tok-Truppen an der Grenze“ gewesen sei. "Tik-Tok-Truppe" ist dabei wegen ihrer aggressiven Social Media Kampagnen eine gängige Bezeichnung für Kadyrows tschetschenische Einheiten.

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All diese Vorkommnisse werden eine Schwächung der Stellung des tschetschenischen Provinzfürsten Ramsan Kadyrow im Moskauer Machtgefüge bedeuten. Sein Hang zur Großspurigkeit wird zunehmend flankiert von einer fehlenden Glaubwürdigkeit und seine Bedeutung sich auf die einer regionalen Größe nur für den Kaukasus reduzieren.

Folgen für die Armee vom Wehrpflichtigen zum General

Neben den Tschetschenen waren vor allem Wehrpflichtige in der vordersten Linie an der Grenze eingesetzt. Diese waren beim Eroberungsfeldzug in der Ukraine nach Garantien von Putin selbst bisher nicht im Kampf aktiv. Sie waren nur an der Grenze des russischen Mutterlands stationiert, da man diesen Dienst irrtümlicherweise für ungefährlich hielt.

Die Selbstverpflichtung zum Nichteinsatz von russischen Wehrpflichtigen im aktuellen Krieg ist durch die Invasion der Ukraine bei Kursk Geschichte. Kommandeure weigerten sich, Wehrpflichtige nach dem Angriff nach hinten zu verlegen und ihre Einheiten vor Ort wurden zu kämpfenden Truppen erklärt.

Weitere Einheiten mit Wehrpflichtigen aus anderen russischen Region wurden in Richtung Kursk verlegt. Dabei werden Wehrpflichtige laut einer Meldung des Onlinemediums Wjorstka genötigt, sich als Zeitsoldaten zu verpflichten, um sie im Krieg universell einsetzen zu können. Die Zeit ihrer Schonung ist vorbei.

Schlechte Zeiten brechen unabhängig vom weiteren Verlauf der Dinge auch für hohe Offiziere im Generalstab und der regionalen Verwaltung von Kursk an. Etwa für Generalstabschef Gerassimow, der verfrüht angebliche Erfolge gegen die ukrainischen Invasionstruppen verkündete.

Auch bei einem erfolgreichen Zurückdrängen der Ukrainer in den nächsten Wochen wird es eine Suche nach Schuldigen am anfänglichen Desaster geben. Das "Motto Gerassimow/Gouverneur/Korruption, aber nicht Putin ist schuld sind die wichtigsten Verbündeten des Kreml" stellt dazu der Leiter des Russlandprogramms der Friedrich-Ebert-Stiftung, Alexey Yusupov auf X fest.

Die Glaubwürdigkeit des Generalstabs generell im Kreml wurde untergraben und Opfer aus diesem Bereich sind wahrscheinlich.

Keine generelle Destabilisierung oder chaotischen Zustände

All diese negativen Folgen des Vorstoßes für Russland sollen jedoch nicht bedeuten, ukrainische Hoffnungen, wie eine generelle Destabilisierung des Systems Putin oder ein Chaos in Russland sind auch nur im geringsten Maße realistisch. Schon der Eindruck chaotischer Zustände in der Region Kursk ist nur zutreffend für das unmittelbare Kampfgebiet.

Schon in der regionalen Hauptstadt Kursk ist die Situation wesentlich entspannter, wie Kommersant-Korrespondent Tschernych berichtet.

Regelmäßig ertöne zwar Sirenenalarm, aber die Menschen schenkten diesem kaum Bedeutung. Nur wenige Menschen veranlasse dieser, Schutz zu suchen.

Die Stadtbusse halten vorschriftsgemäß, Fahrgäste steigen aus, warten auf das Alarmende und schauen gereizt zu, we die Privatautos auf der gleichen Straßen seelenruhig weiterfahren.

Alexander Tschernych

Sogar ein Brautpaar ist Tschernych begegnet, das sein Shooting von Hochzeitsfotos nicht einmal unterbrach, als ein Sirenenalarm ertönte.

Noch weiter von der Front entfernt verblasst der ukrainische Einmarsch an Russlands Grenze zu einer beunruhigenden, aber fernen Nachricht. Ob das so bleibt, hängt natürlich vor allem vom weiteren militärischen Fortgang der Aktion ab.

Mit einem massiven russischen Gegenschlag mit dem Ziel der Zurückeroberung aller ukrainisch besetzten Gebiete ist in den nächsten Tagen und Wochen zu rechnen.

Auch danach wird der Vorstoß eine noch größere Härte nicht nur in den Worten aus dem Kreml, sondern auch in der Kriegführung vor Ort in der Ukraine bedeuten. Man fühlt sich nun dazu noch mehr im Recht, unabhängig, ob man es in der Gesamtsituation wirklich ist. Ob sich am Ende der Vorstoß für die Ukraine lohnt, darf bezweifelt werden.