Kurzes Leben in der Atmosphäre

Der Umstieg auf Erdgas könnte kurzfristig den Treibhauseffekt mildern

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Das russische Erdgas-Pipelinesystem verliert weniger Erdgas als angenommen. Zudem könnte der Umstieg von Erdöl und Kohle auf Erdgas kurzfristig den Treibhauseffekt senken. Forscher des Max Planck-Instituts für Chemie und des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie wollen mit ihren Messungen einen Denkanstoß geben. Im aktuellen Nature stellen sie ihn vor.

Sauberer als gedacht

Etwa 2600 Milliarden Kubikmeter Erdgas werden jährlich gefördert. Die hohe Effizienz moderner Gas-Stromkraftwerke und die riesigen Reserven sorgen dafür, dass jährlich 100 Milliarden Dollar in den Gassektor investiert werden. Russland ist weltgrößter Erdgasproduzent und -versorger, gefolgt von den USA.

Nun stellt man sich vor, dass das russische Pipelinesystem – mit einer Länge von ungefähr 150.000 Kilometern das längste der Welt – so marode ist, wie es das Sowjetsystem vor dem Zusammenbruch war. Doch Messungen des Max Planck-Instituts für Chemie in Mainz und des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, die 2003 unter der Leitung von Jos Lelieveld durchgeführt wurden, haben ergeben, dass die Methanemissionen, die dort bei Förderung und Transport von Erdgas entweichen, mit einem Wert von 1,4 Prozent nicht höher liegen als etwa bei dem Rohrleitungssystem der USA. Bisherige Schätzungen gingen von einem Wert von zirka 10 Prozent aus.

Russische Pipelines, die für den Erdgastransport benutzt werden. Orangefarbene Linie: Pipelinenetz; gestrichelte Linie: Pipeline in Bau; schwarze Linie: Pipelines, an denen Messungen durchgeführt wurden; weiße Pfeile markieren Orte, an denen 1996/1997 Messungen durchgeführt wurden; schwarze Pfeile: markiere Messstellen von 2003 (Bild: Max Planck-Institut für Chemie, Mainz)

„Die russischen Pipelines sind relativ modern, sie wurden in den 70er- und 80er-Jahren gebaut. Da gibt es in Deutschland wesentlich ältere Rohrleitungen“, erzählt Jos Lelieveld im Gespräch mit Telepolis. „Das Pipelinesystem wird gut gewartet und in den vergangenen zehn Jahren wurde einiges verbessert. Die Technologie ist ziemlich robust. Verglichen mit den Pipelines der Amerikaner müssen die russischen ja sehr viel härteren Klimaverhältnissen standhalten. Dafür haben die Russen das Glück, dass sie über wenige, dafür große Erdgasquellen verfügen, die Amerikaner haben viele kleine Quellen. Und es ist einfacher, wenige große Quellen in den Griff zu bekommen, als viele kleine.“

Höherer Treibhausfaktor, kürzere Lebensdauer

Erdgas erzeugt weniger Kohlendioxid (CO2) pro Einheit produzierter Energie als Erdöl oder Kohle. Trotzdem ist Methan das zweitwichtigste vom Menschen verursachte Treibhausgas nach Kohlendioxid. Es hat den Nachteil, dass es pro Molekül den Treibhauseffekt stärker anheizt als Kohlendioxid, weil es die Infrarotstrahlung effizienter festhält. Dafür hat Methan eine kürzere Lebensdauer in der Atmosphäre verglichen mit CO2 (10 Jahre bzw. 100 Jahre). Die Idee hinter den Messungen von Lelieveld und Kollegen war daher folgende:

Wie sich an den politischen Diskussionen gezeigt hat, ist es nicht so einfach, die CO2-Konzentrationen zu verringern, und es ist teuer. Deshalb ist es vielleicht sinnvoll, bei Methan anzusetzen, weil das von den Kosten her interessant und zumindest kurzfristig auch sehr effektiv ist. D. h. man gewinnt damit ein bisschen Zeit, die man nutzen könnte, um zu versuchen, die politische Abstimmung zu verbessern. Wenn wir nur warten, bis sich alle einig sind, ist dem Klima nicht geholfen. Wir wollten mit unseren Messungen den Vorschlag machen, sich zunächst auf Methan zu konzentrieren, weil man da auch ohne politischen Spagat etwas erreichen kann

Jos Lelieveld

Zeit gewinnen

Nach Meinung der Mainzer und Wuppertaler Wissenschaftler ließe sich mit dem Umstieg auf Erdgas für einen Zeitraum von rund 20 Jahren der Treibhauseffekt zumindest abschwächen. So ließe sich ein Übergangszeitraum überbrücken, der nötig ist, um neue Energietechnologien voranzutreiben. Denn natürlich wissen die Forscher, dass die Wirkung ihrer Empfehlungen beschränkt ist. Da die Lebenszeit von Methan nur etwa zehn Jahre beträgt, ist der Effekt der Senkung der Methanemissionen schnell ausgeschöpft. Außerdem kann man sie nur teilweise reduzieren – die Emissionen von Feuchtgebieten z. B. lassen sich überhaupt nicht stoppen. Und wegen der Klimaerwärmung in Gebieten wie Sibirien ist im Gegenteil sogar damit zu rechnen, dass sie weiter ansteigen. Senken lässt sich hingegen, was aus den Mülldeponien entweicht und bei der Gewinnung fossiler Energie anfällt. Und das ist laut Lelieveld auch kosteneffektiv durchführbar. Sehr viele Alternativen hat der Mensch seiner Meinung nicht.

CO2 kann man aus den Abgasen zurückgewinnen, aber das ist teuer. Da die Erdgasvorräte beschränkt sind, muss man langfristig entweder auf Kohle zurückgreifen oder eben neue Energiequellen erfinden. Wenn man jetzt jedoch vor allem Kohle als fossilen Brennstoff durch Erdgas ersetzt, reduziert sich das Methan und das troposphärische Ozon. Man sollte was unternehmen, vor allem, weil das Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre sehr schnell ansteigt

Jos Lelieveld