LAWN DOGS

Bericht vom London Film Festival

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Die magischen 5 Sekunden Special Effect

Kein Wunder, daß der britische Produzent mit dem Riecher für stilvolle Kassenhits, Duncan Kenworthy, keinen Moment zögerte, sich die Filmrechte von LAWN DOGS zu sichern, nachdem er das Erstlingsdrehbuch der Autorin Naomi Wallace gelesen hatte.

In einer Vorortesiedlung in Kentucky (Wallaces' US-Heimatstaat) verdient sich geduldig der 22jährige Trent armer Herkunft ein paar Dollar, indem er die Rasen der reichen Familien mäht. Obwohl er dort ständig Neckereien oder gar Verdächtigungen ausgesetzt wird, beißt er die Zähne zusammen und läßt sich nicht provozieren, denn er weiß: Er hält solange durch, bis er genug Geld gespart hat, um fortzugehen, sich einen Anzug zu kaufen und irgendwoanders ein neues Leben zu beginnen.

Die zehnjährige Devon ist erst vor kurzem mit ihren sozial ambitiösen Eltern in diese Nachbarschaft gezogen. Sie liebt es, allein in ihrer Märchenwelt zu spielen, in der die russische Hexe Baba Yaga kleine Mädchen zu fressen pflegt. Eines Tages entdeckt Devon Trents romantisch-chaotisches Heim: ein altes Wohnmobil abseits im Wald. Obwohl Trent zuerst abweisend reagiert, besucht sie ihn immer wieder, um mit ihm die Abenteuer Baba Yogas zu teilen. Schließlich wächst fast unvermeidlich eine Freundschaft zwischen den beiden Außenseitern, doch beide wissen, daß sie sie vor den mißtrauischen Eltern und Siedlern besser geheimhalten sollten, um Probleme fernzuhalten. Obwohl Trent die Verhaltensmuster und Vorurteile der Mittelklassefamilien kennt und meidet, kann er nicht verhindern, in Streitereien verwickelt zu werden, da er schließlich ungerechtfertigt des Diebstahls verdächtigt wird. Die Ereignisse überschlagen sich.

Devon, die als einzige an Trents Unschuld glaubt, handelt nach den Regeln der Gerechtigkeit, die sie aus dem Märchen kennt, wo jedes Mittel recht ist, um dem Gutem zu helfen. Sie verhilft Trent zur Flucht, indem sie einerseits den Security Guard und ihren Vater mit einer Pistole in Schach hält, andererseits Trent mit magischen Hilfsmitteln ausstattet, die nur wirken, weil Trent ihre Welt versteht ...

Die gelungene Umsetztung des feinfühlig verfaßten Skripts erinnert wieder einmal daran, daß Film das Handwerk und Kunstmedium der Teamarbeit schlechthin ist. Es reicht weder ein Star noch ein computergenerierter 3D Effekt, um eineinhalb Stunden schlüssigen Film zu produzieren.

Die Charaktere etwa, keine schwarz / weiß Darstellungen, sind dank gelungenen Castings davor bewahrt worden, ins Karrikaturhafte oder Banalisierende zu kippen: die Eltern Devons zum Beispiel, die zwar ihr Kind lieben und ihrer Meinung nach verständnisvoll agieren, vom Blickwinkel des Kindes oder Außenstehender aber eigentlich ständig ihre Erwartungen und Ambitionen projezieren. Die Rolle wurde außerdem innerhalb der Geschichte bedacht plaziert und gewichtet, und von Kathleen Quinlan und Christopher McDonald überzeugend dargestellt. Sam Rockwells Darstellung Trents wurde bereits im September vom Montreal Film Festival 97 mit dem Best Actor Award gewürdigt. Und die 10jährige Mischa Barton (Devon) aus New York, die schon öfters vor der Kamera gestanden war, begeisterte das Publikum des Londoner Internationalen Film Festivals 97 nicht nur auf der Leinwand.

Teilweise hängt ihre starke Performance sicher auch mit der Arbeitsweise des Regisseurs John Duigan zusammen, der vor einigen Jahren auch Nicole Kidmans Talent in seinem Film FLIRTING mehr oder weniger entdeckte und voll zur Geltung brachte.
Duigans Bildkompositionen unterstützten bewußt die Stimmungen der jeweiligen Szene, die, ohne überinszeniert zu wirken, seine Handschrift markieren: Devon, schweigend, 'eingerahmt' von ihren Eltern am Mittagstisch sitzend. Devon im blauen Kleid, ein Blau, das ihr den sehnsüchtigen Ausdruck nach der unbekannten Tiefe des Novalis'schen Blaus verleiht. Das makellose Grün des Rasens (der teilweise bemalt wurde, um perfekt grün zu wirken) sowie sein kantenscharfer Marinesoldatenhaarschnitt, wo es kein Grashalm wagt, herauszuragen... Das Gesellschaftsportrait ist stimmig bis ins Detail. Umso glaubwürdiger versetzt der unerwartete, sparsam eingesetzte Special Effect am Ende des Films in Devons und Trents Welt, wo 'Glaube Berge versetzten kann': Als Trent mit letzten Kräften seine Chance wahrnimmt, ins Auto zu steigen, und aus seiner aussichtslosen Lage in einer vorurteilsgeprägten Gesellschaft und ihrer moralisierenden Enge zu entfliehen, gibt ihm Devon noch zwei hilfreiche Utensilien mit, die schon zur Verteidigung gegen die böse Hexe Baba Yoga geholfen haben sollen. Trent fährt los, und wirft nach Devons Empfehlung über der Brücke das Handtuch aus dem Fenster: hinter ihm schwillt der Fluß an, und setzt die Brücke unter Wasser, sodaß eventuellen Verfolgern der Weg abgeschnitten ist. Er wirft den Kamm aus dem Fenster und hinter ihm schießt ein undurchdringlicher Wald aus dem Boden, sodaß ihm endgültig niemand mehr folgen kann...

Magisch soll es auch bei Produzent Duncan Kenworthy zugehen: alles, was er anfaßt, wird zuGold. Er ist der Produzent des kommerziell erfolgreichsten britischen Films aller Zeiten FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL, ebenso wie der neben den X- FILES erfolgreichsten amerikanischen TV-Serie von 1995 GULLIVER'S TRAVELS und benötigte nur spektakuläre 7 Wochen, um die Finanzierung für LAWN DOGS sicherzustellen. Er zeichnet für die Produktionsbedingungen verantwortlich, die es bereits in der Vergangenheit schafften, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen kommerziellen und künstlerischen Anforderungen herzustellen.

Seine Produktionfirma Toledo Pictures schloß dieses Jahr einen Partnerschaftsvertrag mit DNA Pictures, der Produktionsfirma, hinter der der Produzent des erfolgreichsten britischen Film des letzten Jahres TRAINSPOTTING steht und der seit einigen Monaten im Kreuzfeuer des britischen Kinofilmdiskurses steht, weil er vom ARTS COUNCIL OF ENGLAND in einem erstmals erprobten Modell £ 29 Mio Franchisegelder zur Produktion von 16 Filmen innerhalb der nächsten 6 Jahre zur Verfügung gestellt bekam. Da frißt die Kollegen natürlich der Neid, doch sollten sie Kenworthy und Macdonald zu nahe treten, brauchen die beiden ja nur das Handtuch und den Kamm hinter sich zu werfen...