Lachen, (Un)wissen und das Wählen der Seiten

Gina-Lisa Lohfink (Mallorca, 2011). Bild: Zeno Bresson. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Lehren aus dem Fall Gina-Lisa Lohfink - Teil 2

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Das ist nicht zum Lachen und zum Freuen

Gerade auch in Foren feierten die Vergewaltigungswitze fröhliche Urständ. Dies ist jedoch keineswegs auf diesen Fall begrenzt, sondern (sexuelle) Gewalt, Nötigung und Vergewaltigung sind oft genug Themen, denen mit einer gewissen Heiterkeit begegnet wird. Dies wird nicht zuletzt durch die filmische Aufarbeitung befeuert, die sexuelle Gewalt gegenüber Männern noch stärker als lustig ansieht als die gegenüber Frauen oder aber einem archaisch anmutendem Denken folgt, welches Mobbing, Körperverletzung und sexuelle Nötigung und Vergewaltigung als richtige bzw. angemessene Antwort für Straftäter ansieht.

Gina-Lisa Lohfink (Mallorca, 2011). Bild: Zeno Bresson. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Dies wird dann gerne mit Empathie gegenüber den Opfern begründet - was seltsam anmutet, angesichts der Tatsache, dass hier neue Opfer entstehen. In US-amerikanischen Serien wird diese Art der Freude auf eine möglicherweise stattfindende Verwaltigung manchmal auch bei den Vertretern der Staatsmacht als normal bzw. begrüßenswert angesehen. Während beispielsweise die Offenbarung, man würde die Täter gerne töten, als Verfehlung im Dienst angesehen wird, sind die auch von weiblichen Protagonisten geäußerten Vergewaltigungswünsche in Bezug auf vermeintliche Täter nie thematisiert worden. Ein filmischer Trick um eine Debatte anzuregen? Mag sein, doch diese Debatte kam nicht auf und oft genug werden Vergewaltigungswünsche im "ganz normalen Diskurs" geäußert und nicht weiter hinterfragt.

Daher noch einmal deutlich: Sexuelle Gewalt, Nötigung und Vergewaltigung sind nicht zum Lachen und nichts, was jemandem zu wünschen ist. Und die Idee, dass es jemandem "recht geschehe" oder er es "verdiene", vergewaltigt zu werden, zeugt nicht nur von fehlender Empathie, sondern auch von fehlendem Rechtsbewusstsein - der Fall Gunnar sollte in dieser Hinsicht für viele, die meinen "jawohl, der oder die hat xy verdient" doch hoffentlich zu einem Umdenken führen. Dies ist kein Plädoyer für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit oder für Verbote - wer meint, sich durch Vergewaltigungswitze, -wünsche oder dergleichen profilieren zu wollen, der soll dies tun. Eine Überlegung, warum sie überhaupt vorhanden sind und auf wen sie sich beziehen, ist sicherlich jedoch keine schlechte Idee zur Selbstreflektion.

Wir wissen, was passiert ist

In einer Zeit, in der Informationen innerhalb kürzester Zeit viele Leute erreichen, sind Gerichtsverfahren mit emotionalen Sachverhalten willkommen um sich auf die verschiedenste Weise damit zu befassen. Das ist verständlich, doch was selten bedacht wird: die Informationen, die einen erreichen, sind lediglich die Fragmente, die zum Zeitpunkt der Informationsweitergabe bekannt sind. Sie sind damit auch oft aus dem Zusammenhang gerissen. Ein Beispiel:

Während einer Verhandlung sagt der Angeklagte: "Ich finde Vergewaltigung ist okay" - und dies wird sofort weitergegeben und der Satz dem Angeklagten zugeschrieben, entsprechend wird er auch medial und in der Öffentlichkeit sofort als jemand angesehen, der diese Meinung vertritt. Während dieser Satz also schon via Twitter etc. den Weg in die Öffentlichkeit findet, fährt der Angeklagte fort: "Dieser Meinung sind leider noch immer viele. Ich nicht. Ich finde, Vergewaltigung ist nie okay und habe auch niemanden vergewaltigt." Erst wenn diese weiteren Sätze dann auch in der Öffentlichkeit entsprechend rezipiert werden, wird die Meinung über den Angeklagten sich ändern (können). Dies setzt aber voraus, dass all jene, die die erste Meldung lasen, auch die nächste Meldung lesen. Und es setzt voraus, dass diese Ergänzung mit der gleichen Verve, mit der die anfängliche Äußerung ihren Weg fand, in die Öffentlichkeit geschickt wird.

Dass dem nicht immer so ist, ließ sich gerade auch im Fall Frau Lohfink leicht beweisen, denn während fast überall das "Hör auf" von Frau Lohfink thematisiert wurde, sind nur in wenigen Artikeln Hinweise auf das zumindest einmal zu hörende, ergänzende "ein Photo reicht" zu finden. Das Video, das Frau Lohfink zu (trauriger) Berühmtheit verhalf, war zwar noch auf diversen Portalen zu finden, es enthielt jedoch lediglich Fragmente des Gesamtvideos, welches in der Gerichtsverhandlung gezeigt wurde. Somit konnte es auch nur fragmentarisch bewertet werden, es entstand jedoch oft der Eindruck, die verkürzte, geschnittene Version würde vielen bereits ausreichen um ein Urteil zu fällen, egal wie dieses nun ausfiel.

Im vorliegenden Fall gab es bezüglich der Aktualität noch eine Besonderheit: Die Frage, ob es sich bei dem, was geschehen ist, um eine Vergewaltigung handelte, war bereits 2012 juristisch entschieden worden. Das Gericht hatte in diesem Jahr festgestellt, dass seiner Meinung nach eben keine Vergewaltigung vorlag, was aber zu jenem Zeitpunkt nicht von der breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wurde. Erst vier Jahre später, als sich das Verfahren um die Frage drehte, ob Frau Lohfink wider besseren Wissens die beiden involvierten Männer der Vergewaltigung bezichtigt hatte, begann sich das Medienkarussel so erfolgreich zu drehen, dass viele annahmen, es würde jetzt über die Frage Vergewaltigung oder nicht entschieden werden. Viele Medien versäumten es schlichtweg darauf hinzuweisen, dass über die Vergewaltigungsfrage bereits ein Urteil vorlag, stattdessen befeuerten sie die Unwissenheit der Öffentlichkeit noch.

Es wäre sinnvoll, gerade auch bei medial in den Vordergrund gerückten Prozessen, stets daran zu denken, dass nur Informationshäppchen nach und nach den Rezipienten erreichen. Ferner folgen Medien auch oft der eigenen Agenda, sie setzen Akzente, lassen etwas aus, betonen etwas anderes und schaffen so eine eigene Sicht der Dinge. Daher empfiehlt es sich, möglichst viele Quellen zu frequentieren und sich auch Zeit zu lassen um einen Sachverhalt zu bewerten und nicht allzu schnell bereits eine bestimmte Seite einzunehmen.

Auf welcher Seite stehst du?

Die Frage, auf welcher Seite jemand steht, ist in den letzten Jahren zu einer reflexhaft stattfindenden Gesinnungsprüfung geworden. Hier ist zu bemerken, dass mit der Seitenwahl oft auch eine Art "ganz oder gar nicht" einhergeht; wer eine Seite wählt, der hat deren Dogmen mit blindem Gehorsam zu befolgen. Im vorliegenden Fall wurde das Verfahren zur Glaubensfrage. Wer gegen Frau Lohfink argumentierte oder neutral agierte, musste schnell befürchten, in die Ecke des Vergewaltigungsapologeten gestellt, als emotionaler Krüppel angesehen zu werden. Dabei wurde die emotionale Seite des Verfahrens in den Vordergrund gestellt und gerne betont. Es zählten insofern immer weniger die Fakten, die sich erst nach und nach auch zu einem möglichst umfassenden Ganzen verdichteten, es kam darauf an, sich in Frau Lohfink einzufühlen, mit ihr zu fühlen, mit Frauen, denen sexueller Gewalt angetan wird, zu fühlen und ein Zeichen zu setzen oder sich zu solidarisieren.

Dieser vereinfachten Sicht der Dinge, die letztendlich den Faktfragmenten folgt und Neues nur noch in die bisher bereits angefertigte Ansichtsschablone presst, wird und wurde befeuert von den sich im Netz bildenden Solidaritätsgruppen, die im Fall Frau Lohfink u.a. als #teamginalisa agierten. Hier gelang es sogar, den Fall zu einem Beleg dafür, dass eine "nein heißt nein"-Regelung notwendig sei, umzufunktionieren, obgleich er hierfür nicht taugte. Ein solches Agieren ist aber nicht nur der eigenen Weiterbildung wenig zuträglich, es fördert auch die Grabenbildung innerhalb der Gesellschaft, wenn vorschnell aus einer Ansicht ein Weltbild wird und andere Menschen entsprechend eingeordnet werden. Die Diversität der Meinungen, die durch Diskurs und Debatte fernab von Beleidigungen und Fäkalsprache allen die Möglichkeit gibt, die eigene Ansicht stetig zu reflektieren, wird so ignoriert, vielmehr gilt es, nur noch jenes wahrzunehmen, dass sich ins eigene Weltbild integrieren lässt. Damit wird letztendlich auch die eigene Weiterentwicklung gestoppt und stattdessen auf der Stelle getreten.

In Teil 3: Instrumentalisierung und Selbstinszenierung - Politiker mit einer Mission