Lauschangriff und Rasterfahndung

Das Regierungsprogramm von ÖVP/FPÖ

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Noch bevor die neue österreichische Koalitionsregierung von ÖVP und FPÖ heute Mittag vom Bundespräsidenten vereidigt worden war, hatte sie ihr Regierungsprogramm an die Presse weitergegeben. Im Bereich Justiz, das dem Freiheitlichen Michael Krüger zufiel, ist ein deutlicher Ausbau der Polizeibefugnisse zu erwarten. Doch auch im sozialen Sektor und in der Kultur wird der Rechtsruck wohl deutliche Auswirkungen zeigen und die Vorstellungen über die Zukunft des ORF deuten auf eine Schwächung und Nationalisierung des Sendeauftrags des Staatssenders hin.

Die ÖVP/FPÖ-Regierung will die Verbrechensbekämpfung sowohl innerstaatlich als auch durch die Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit verstärken. Als Ziele hat man dabei besonders die organisierte Kriminalität, den Drogenhandel, Kinderpornographie im Internet und die illegale Immigration im Auge. In dem Programm heißt es, man wolle "die rechtlichen Voraussetzungen zur Sicherstellung der kostenschonenden Durchführung von technischen Maßnahmen zur Überwachung eines Fernmeldeverkehrs" schaffen. Lauschangriff und Rasterfahndung sollen "nach Vorlage eines Erfahrungsberichts [...] in das Dauerrecht übernommen" werden.

Das explizite Regierungspapier für Law and Order läßt keine Möglichkeit zur Verschärfung von Gesetzen und Strafverfolgungsmaßnahmen offen. Zur Bekämpfung des Drogenhandels soll es verdeckte Ermittler geben, die gesetzlich zu Scheinkäufen ermächtigt sind. Auch soll es modernst ausgerüstete Sondereinheiten gegen den Drogenhandel geben. Die Finanzämter sollen eine Informationspflicht haben, wenn Verdacht auf organisierte Kriminalität besteht, was zu einem Niederbrechen der Informationsmauern zwischen Ressorts - Stichwort Datenbankabgleich - führen könnte. In dem Paragraphen über illegale Migration kommt das Wort "verschärft" gleich zweimal vor - die strafrechtliche Verfolgung ebenso wie das Strafausmaß sollen "verschärft" werden. Auch das Dienstrecht der Polizeibeamten soll verändert werden, um "die Qualität der Sicherheitsdienstleistung" zu gewährleisten und Ressourcen optimal einzusetzen.

Weitere Ziele des Regierungsprogramms beinhalten eine Reform des gesamten Sicherheitsapparats. Die Rolle der Sicherheitsdirektionen auf der Ebene der Bundesländer soll verstärkt und eine neue, oberste Kriminalpolizeibehörde geschaffen werden. Auch über eine Neuordnung des Gerichtswesens und des kriminalpolizeilichen Vorermittlungsverfahrens wird nachgedacht. Die Weiterführung des Einsatzes des österreichischen Bundesheeres als Verstärkung der Grenzgendarmerie - eigentlich ein Provisorium wegen der Flüchtlingswellen im Zuge der Konflikte in Ex-Jugoslawien - soll zum Dauerzustand werden. Darüberhinaus will man sich aktiver am Schengen-Prozess und bei Europol beteiligen und die Schaffung von europäischen Grundlagen zur Vermeidung des Asylmissbrauchs (EURODAC) vorantreiben.

Sozialpolitik

Für das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit hat man sich etwas ausgedacht, das bedenklich an eine gewisse "ordentliche Beschäftigungspolitik" erinnert. In dem Programm heißt es wörtlich:

"Wir wollen für die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen neue Wege gehen: Die Bundesregierung will den Betroffenen die entsprechende Hilfe zukommen lassen, ihre persönlichen Fähigkeiten aktivieren und sie in einen sinnvollen Arbeitsprozess integrieren. Langzeitarbeitslose sollen daher verpflichtet werden, im Sozial-, Umwelt- und Denkmalschutzbereich für sie geeignete Arbeit anzunehmen, wobei ihnen sodann neben dem Arbeitslosengeld bzw. der Notstandshilfe ein Bonus als Bürgergeld gewährt wird."

Kulturkampf

Schon bevor die FPÖ an der Regierung beteiligt wurde, führte sie einen heftigen Kulturkampf gegen alles, was entfernt nach zeitgenössischer Kunst aussieht. Dabei wurde sie von Boulevardzeitungen, allen voran die "Kronenzeitung", intensiv unterstützt. Zwei mit neuen Medien befasste Kultur-Institutionen, die Stadtwerkstatt Linz und Public Netbase, Wien, haben den Kulturkampf bereits vor Jahren zu spüren bekommen. Public Netbase wurde der Verbreitung von Pornographie bezichtigt, die Stadtwerkstatt Linz als eine Art Verbrecher-, Drogenhändler- und Terroristennest in Wahlplakaten der lokalen FPÖ dargestellt. In beiden Fällen gelang es, die Beschuldigungen als haltlos zu entlarven und die FPÖ zur Zurücknahme ihrer Behauptungen zu zwingen. (Hinweis: Public Netbase hostet Gettoattack, eine Aktionsplattform gegen Fremdenfeindlichkeit in Österreich, die auch die aktuellen Protestkundgebungen in Wien und anderen Städten mitorganisiert.)

Das Ressort "Bildung, Wissenschaft und Kultur" fiel zwar der ÖVP zu, doch deren kulturelle Ausrichtung unterscheidet sich nur marginal von jener der FPÖ. Die Ex-Regierungspartei SPÖ hatte den Fehler gemacht, das Kunstministerium aufzulösen und es direkt dem Kanzleramt zuzuordnen. Dort wird nun der Burgschauspieler Franz Morak als Staatssekretär für die Sektion Kunst zuständig sein. Er hatte in der Vergangenheit gegen das modernistisch-minimalistische Holocaust-Denkmal der britischen Künstlerin Rachel Whiteread Front gemacht ebenso wie gegen die geplante, ihm zu moderne Architektur des Museumsquartiers. In dem Regierungsprogramm heißt es zwar unverdächtig, dass die "Freiheit der Kunst" unangetastetes oberstes Prinzip bleibt, doch gleich die nächsten Punkte machen klar, woher der Wind pfeift.

Bei der "Künstlersozialversicherung 2001" sei "insbesondere die Frage des Kreises der Anspruchsberechtigten zu klären". Wichtigster Punkt im Programm ist die "Schaffung einer Österreichischen Nationalstiftung zur Sicherung und Pflege österreichischen Kulturguts...". Oberste Priorität hat der Denkmalschutz, der "u.a. durch die Durchführung von Rubbelaktionen" ermöglicht werden soll.

Medien

Der Wille der ÖVP zur umfassenden Privatisierung - eine Umschreibung für den Ausverkauf an deutsche Privatsender - war durch den sozialdemokratischen Koalitionspartner, der den ORF bevorzugte, jahrelang gehemmt worden.

Die blau-schwarze Regierung will nun eine "unabhängige Institution für Telekommunikation, Informationstechnologie und Medien" einrichten, der alle Zuständigkeiten zufallen, die "derzeit im Bundeskanzleramt, Verkehrsministerium, Wirtschaftsministerium oder Justizministerium verstreut sind". Diese neue Megamedien-Institution soll sowohl Regulator für Telekommunikation als auch für Privatfernsehen und -Radio sein. Finanzieren soll sich die Institution aus ihrer Tätigkeit, was angesichts ihrer regulatorischen Kompetenzen bedenklich scheint.

Für den traditionell linksliberalen ORF wird das Leben in Zukunft um einiges schwieriger werden. Auf ORF 2 sollen regionale Programmfenster für private Anbieter geöffnet werden. Der ORF wird seine Sendeeinrichtung mit zukünftigen, landesweiten, privaten Mitbewerbern teilen müssen, auch im für die nächsten Jahre zu erwartenden Digitalfernsehen. Das Rundfunkgesetz soll novelliert und zu einem ORF-Gesetz umfunktioniert werden. In diesem Zusammenhang kommt es zu einer Neudefinition des öffentlich-rechtlichen Auftrags des ORF, wobei das Ziel der "Ausbau der Information, Bildung, der österreichischen Kultur und Kunst, Wissenschaft und Technologie sowie österreichischer Unterhaltung in allen Programmen des ORF unter besonderer Berücksichtigung österreichischer Kultur- und Kunstschaffender" sein wird. Der Bildungsauftrag für den ORF scheint also in eine Art Österreicherifizierung der Österreicher zu münden...