Lautsprecherstimmen im Kopf und Lautsprecher im Kopfhörer

Iosono und Ensonido: Zwei neuartige Raumklangsysteme der Fraunhofer-Institute

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Verschiedene Varianten, klanglich mehr als nur Stereo zu machen, zeigte das Fraunhofer-Institut auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin 2005 im Technisch-Wissenschaftlichen-Forum. Kopfhörer- und erst recht Lautsprecherhersteller dürften sich über neue Umsätze freuen.

Zwei neuartige Raumklangsysteme fielen Telepolis beim Rundgang über das Technisch-Wissenschaftliche Forum in Halle 5.3 der IFA 2005 ins Auge. Das eine, genannt Ensonido, will 5.1-Surroundsound mit der Anpassung an den Gehörgang und der Funktion des Richtungshörens 1:1 auf Kopfhörer übertragen, wobei aber das Klangbild fest im Raum verankert bleibt: Dreht der Hörer seinen Kopf, so wird das Klangbild automatisch in entgegengesetzter Richtung genau so gedreht, dass es fest im Raum zu stehen scheint und sich nicht mit dem Kopf mit dreht. Somit können Filme im Heimkino – aber auch beim Betrachten auf dem DVD-Player in der U-Bahn – nun auch mit Kopfhörern angesehen werden, ohne dass die Illusion des zum Bild passenden Tons beim Drehen des Kopfes zusammenbricht.

Musikfreunde können zukünftig auch unterwegs hochwertigen Surround-Klang genießen: Ensonido gaukelt dem Ohr über Stereo-Kopfhörer mehrere Lautsprecher vor. Mit den gemessenen Bewegungen des Kopfes erzeugt die Software ein räumlich konstantes Klangfeld.

Zwar gibt es schon Systeme, mit denen Surround-Klang auch über Kopfhörer erreicht wird, die Klangqualität lässt allerdings häufig noch zu wünschen übrig. Den 5.1-Surround-Sound, den wir nun über übliche Stereokopfhörer erreichen, konnte man in dieser Qualität bisher nur über fünf Lautsprecher und einen Tieftonlautsprecher erzeugen.

Möglich machen das kopfbezogene Raumübertragungsfunktionen; dies ist ein Filter, der die akustischen Signale in der gleichen Weise verändert, wie sie auf dem Weg vom Lautsprecher zum Ohr verändert werden – etwa durch unterschiedliche Reflektionen an Decke und Wänden.

Jan Plogsties, Leiter des Projektes Ensonido am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen

Auch die Eigenschaften des Kopfes berücksichtigt Ensonido so wie einst die Kunstkopfstereophonie: Steht ein Lautsprecher beispielsweise hinter dem Zuhörer, müssen Hauptanteile des Signals zunächst an der Ohrmuschel vorbei.

Alle Bewegungen des Kopfes vollzieht ein Head-Tracker mit Beschleunigungssensoren nach. Die Software verändert das akustische Signal entsprechend und gaukelt so dem Gehirn in Echtzeit den resultierenden Höreindruck vor. Der Hörer hat das Gefühl, als bliebe das Schallfeld stehen, während er sich im Raum bewegt – wie es eben bei Lautsprechern im Gegensatz zur bisherigen Kopfhörerwiedergabe der Fall ist. Jede Hörumgebung kann er zudem über die Software variieren – als stünde er etwa in einer Kirche oder in einem Kino. Dazu kann auch normale Stereomusik eingespielt werden.

Lautsprecherklang per Kopfhörer

Die Grundlage für den Höreindruck liefern Audiokodierverfahren wie „MP3 Surround“. Diese neue Technik komprimiert die sechs Kanäle des 5.1-Surround-Sounds so effizient, dass MP3-Surround-Dateien nur fünf Prozent mehr Speicherplatz als herkömmliche MP3s benötigen. „Bereits bei der kommenden Generation tragbarer MP3-Geräte sollte der Nutzer ein derart einhüllendes Klangerlebnis auch unterwegs genießen können“, hofft Plogsties. „Ensonido- und MP3 Surround eignen sich aber gleichermaßen für DVD-Player, mobile Radios und Handys.“

Das andere Verfahren namens Iosono wird mit Sicherheit öfters mit Ensonido verwechselt werden, zumal es sich ebenfalls mit Raumklang beschäftigt. Hier ist die Zielsetzung jedoch genau umgekehrt: Computergesteuert erzeugen ganze Lautsprecherwände eine Schallfront, die – ähnlich wie bei einem Hologramm die Lichtwellen beim Betrachten ein dreidimensionales Bild im Auge erzeugen – im Kopf des Hörers einzelne Schallquellen erzeugen, die sich teils innerhalb, teils außerhalb der Lautsprecherwände und des beschallten Raumes und wenn es sein muss sogar im Unendlichen befinden können – also „Geisterstimmen“, die sich nicht lokalisieren lassen.

Iosono-Steuerung mit der virtuellen Positionierung einzelner Musikinstrumente in- und außerhalb des Hörraums (Bild: W.D.Roth)

Dies ist das neue Raumklangverfahren des Kinos der Zukunft, das der „MP3-Erfinder“ Dr. Karlheinz Brandenburg seit einiger Zeit angekündigt hatte. Der Hardwareaufwand ist zwar ziemlich hoch – neben Dutzenden oder Hunderten von Lautsprechern ist eine entsprechend aufwendige DSP-Einheit von Nöten –, die Effekte jedoch erstaunlich: Neben Hörspielen, bei denen die Zuhörer von Geistern und Stimmen im Kopf geplagt werden, gibt es bereits Musik-Tanzabmischungen von Diskjockeys, bei denen einzelne Musikinstrumente klar hörbar quer über die Tanzfläche wandern. Diese computergesteuerte Wand von Lautsprechern könnte also auch die Diskothek der Zukunft sein, in welchen es bekanntlich nie zu viele Lautsprecher geben kann.

Kopfhörerklang per Lautsprecher

Im Kino gibt es oft nur wenige Plätze, auf denen man den Zuschauern eine optimale Hörqualität bieten kann – im Heimkino ist es nicht anders. Zu erklären ist dieser Nachteil bisheriger Audio-Wiedergabetechniken damit, dass nur ein kleiner Bereich in der Mitte des Kinos den richtigen Abstand von allen Lautsprechern hat. Diese optimale Hörposition ist in Normen festgelegt und für diese Position mischt der Tonmeister den Film oder die Musikaufnahme ab. Außerdem ist die Anordnung der Lautsprecher bei bisherigen Techniken zwar standardisiert, oftmals ist eine korrekte Aufstellung im Kino jedoch nicht möglich. Auch die räumliche Schallwiedergabe natürlicher und virtueller Umgebungen gelingt bisher nur in unbefriedigendem Maße.

Iosono-Lautsprecherwand (Bild: W.D.Roth)

Kommt Iosono zum Einsatz, so sitzt jeder Hörer inmitten einer eigenen Klangsphäre, in der er Dialoge und Effektgeräusche immer aus der richtigen Richtung und Entfernung wahrnimmt. Filmproduzenten können mit der auf der Klangfeldsynthese beruhenden Technik völlig neue Gestaltungswege beschreiten. Darsteller werden zukünftig im Kino akustisch den Mittelgang hinunterlaufen und plötzlich auf der Leinwand erscheinen oder Geister in Horrorfilmen durch den Raum fliegen, so dass der Zuschauer erschrocken in den Sessel rutscht und den Kopf einzieht. Für diese Zwecke werden neue Software- und Hardwaretools zur Bedienung entwickelt (Authoring-Tools), die die Palette der künstlerischen Möglichkeiten für Toningenieure deutlich erweitern.

Selbst bei der Wiedergabe von herkömmlich aufgezeichnetem Stereo- oder Dolby-Surround-Filmmaterial lassen sich deutliche Qualitätsverbesserungen erzielen. Der optimale Klangeindruck ist hier nicht wie bisher auf einen kleinen Teil des Kinosaals, den so genannten "Sweet Spot" beschränkt. Die Schallquellen werden stattdessen virtuell so berechnet, als wären sie viel weiter vom Publikum entfernt als die realen Lautsprecher. Dadurch wird der "Sweet Spot" vergrößert und umfasst nun den gesamten Kinosaal.

Seit Februar 2003 kann man in Ilmenau das weltweit erste Kino mit Iosono-Installation erleben. In einem mit 89 Sitzplätzen ausgestattetem Kinosaal der "Lindenlichtspiele" wurden insgesamt 192 Lautsprecher installiert und sorgen hier für einen beeindruckenden Sound. Noch in diesem Jahr sollen weitere Filmtheater in Deutschland, Europa und Übersee mit dem neuen System ausgestattet werden. So wurde mittlerweile an der McGill University in Montreal/Kanada ein System aufgebaut, mit dem zukünftig Audioproduktionen in neuem Tonformat produziert werden sollen. Und auch Hollywood zeigt Interesse für das Iosono-Soundsystem. George Massenburg, einer der berühmtesten Tonmeister Hollywoods, hat sich in Ilmenau persönlich von der neuen Klangdimension überzeugt und sich von Sound und Technik beeindruckt gezeigt.

Dr. Karlheinz Brandenburg bewegt sich im Iosono-Schallfeld (Bild: W.D.Roth)

Die Anwendung von Iosono bleibt nicht nur Filmtheatern vorbehalten. Vielmehr soll der Sound der Zukunft auch bei Konzerten, Theateraufführungen, Open-Air-Veranstaltungen und Multimedia-Installationen Anwendung finden. Ein wichtiger Forschungsschwerpunkt ist dabei, Iosono auch für den Heimbereich nutz- und finanzierbar zu machen. Die Fraunhofer-Forscher arbeiten diesbezüglich bereits an der "Stereoanlage der Zukunft".