Le Pen: "Nicht für Fehler bezahlen, die Deutschland gemacht hat"

Stillgelegtes Ural-AKW Fessenheim, das Le Pen wieder zurück ans Netz holen will. Bild: Florival fr / CC BY-SA 3.0

Die Gegenkandidatin zu Macron will aus dem europäischen Energiemarkt aussteigen. Die deutsche Haltung zur französischen Atomindustrie gefällt ihr gar nicht

Sollte Marine Le Pen zur französischen Präsidentin gewählt werden, kommt auf Europa die nächste schwere Krise zu, so die Prophezeiungen, die zu hören sind. Einen Vorgeschmack, was an Veränderungen auf das deutsch-französische Verhältnis zukommen wird, gab die Kandidatin selbst.

Gestern berichteten deutsche Medien darüber, dass Le Pen die deutsch-französische Zusammenarbeit bei Verteidigungsprojekten beenden will: "Wegen unvereinbarer strategischer Differenzen werden wir die gesamte Zusammenarbeit mit Berlin beenden, sowohl beim künftigen Kampfjet (FCAS) als auch beim künftigen Kampfpanzer."

Besonders die deutsche Kritik an französischen Waffenexporten stößt Le Pen sauer auf. Macron sei blind gegenüber den deutschen Interessen. Das wolle sie ändern. Ein weiterer Punkt ist die Kritik Deutschlands an den französischen Atomkraftwerken. "Ich werde es nicht zulassen, dass Deutschland unsere Atomindustrie zerstört", so Le Pen.

Bei der Klimapolitik setzt die Kandidatin auf den Ausbau der Atomkraft. Windkraftwerke sollen abgebaut werden, der Atompark verstärkt, sogar das abgestellte Uralt-AKW in Fessenheim soll nach Vorstellungen Le Pens wieder ans Netz gehen. Kritiker halten dies für unmöglich. Aber in Frankreich kann die Zweitplatzierte des ersten Wahlgangs auf einen anderen Konsens bauen als hierzulande. Auch ihr Konkurrent Macron setzt bekanntlich auf den Ausbau der Atomkraftanlagen.

"Raus aus dem europäischen Energiemarkt"

Im Wettbewerb darüber, wer von den beiden Kandidaten in der Stichwahl noch stärker auf Atomkraft setzt, hat Le Pen einen weiteren Vorschlag in petto. Sie will aus dem europäischen Energiemarkt aussteigen. Es gehe nicht an, dass Frankreich, dessen Stromversorgung zu 70 Prozent auf billigem Atomstrom basiert, die teuren Marktpreise zahlt, die ihm der europäische Energieverbund durch sein System oktroyiert, wonach der teuerste Stromlieferant den Preis nach oben treibt.

Dieses System bräuchte auch dringend eine Veränderung, wie auch an dieser Stelle Artikel von Ralf Streck nahegelegt haben (vgl. Strompreise: Vom Himmel fallende Milliardengewinne). Nur plädiert Le Pen nicht für eine Umgestaltung des Systems des europäischen Energiemarkts, vielmehr plädiert sie – zumindest im Wahlkampf – für einen Ausstieg Frankreichs aus dem Markt:

Wir haben keine sehr niedrigen Strompreise, weil wir in einen europäischen Strommarkt eingetreten sind, wo wir für die Fehler bezahlen, die von Deutschland gemacht wurden. Ich will ihn (den Markt; Einf. d.A.) nicht reformieren, ich will aus ihm aussteigen.

Marine Le Pen

Das hätte dramatische Folgen, so die Zeitung Le Monde, die Le Pens energiepolitische Absichten in einem Bericht mit dem unmissverständlichen Titel "Das katastrophale Projekt von Marine Le Pen zur Senkung der Strompreise zerlegt.

Die Ausstiegsstrategie Le Pens sei teuer, dramatisch für das Klima und für den Platz Frankreichs in der EU gewertet, so die Grundlinie des Artikels. Argumentativ wird vor allem eine Schwachstelle akzentuiert, die vielen Leserinnen und Lesern schon bekannt sein dürfte: die Abhängigkeit Frankreichs von Stromimporten in Zeiten der unsicheren Versorgung über den Atomstrom. Wie werden sich die europäischen Länder in solchen Notfällen gegenüber dem Land verhalten, das aus dem gemeinsamen Projekt ausgestiegen ist?

In den letzten dreißig Jahren wurden die Verbindungsleitungen in Europa ausgebaut und sorgen dafür, dass Angebot und Nachfrage zwischen den verschiedenen Ländern ausgeglichen sind. Bei diesem Austausch ist Frankreich häufig Exporteur - was jedes Jahr mehrere Milliarden Euro einbringt -, hat aber auch einen Importbedarf, vor allem im Winter.

Dies gilt insbesondere für die kommenden Jahre: Der französische Park der Kernkraftwerke altert und hat eine besondere Phase der Wartung vor sich, die Behinderungen mit sich bringt. Im Jahr 2022 wird die Produktion der französischen Kraftwerke auf einem historischen Tiefstand sein (wie 1991), und Importe sind notwendig.

Le Monde

Da Le Pen zudem die Windkraft-Anlagen, die sieben Prozent der Stromversorgung beitragen, abbauen will ("démonter"), hätte, so argumentiert die Zeitung, Frankreich keine andere Wahl als "Kohle- und Gaskraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen" (vgl. Frankreich: Zurück zur Kohle, um Blackout zu vermeiden). Das koste den Steuerzahler sehr viel Geld und würde darüber hinaus nicht ausreichen.

Angesichts dessen, dass vor 2040 keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden, wird man in den Bau neuer Gaskraftwerke investieren müssen, was die Zahlungen der Haushalte für die Energieversorgung erhöhen wird.

Angereichert wird der Artikel der Zeitung, die Macron nähersteht als seiner Gegenkandidatin, mit einer Warnung Macrons, der den Populismus Le Pens mit der finsteren Aussicht auf "40 Tage ohne Licht" kontert. Woher er diese Zahl nimmt, weiß niemand.

Bestärkt wird die Aussicht auf unangenehme Konsequenzen mit der Aussage des früheren Präsidenten von RTE, der das französische Übertragungsnetz für Elektrizität betreibt, François Brottes – aus dem Jahr 2019 - , wonach Frankreich jährlich an durchschnittlich zehn bis zwanzig oder sogar mehr Tagen über Strom-Importen aus der Malaise gerettet worden sei.

Auch in jüngster Zeit gab es Warnungen vor einem Ausfall der Stromversorgung (Frankreich droht "Katastrophe" bei der Stromversorgung).