Leben im Klimawandel: Die Zeit der Zerstörung
Was kommt nach dem Klimawandel - Teil 4
Einige Prozesse sind für die Zeit des Klimawandels ziemlich sicher, auch wenn hinsichtlich ihres Tempos und ihres Ausmaßes noch Unsicherheiten bestehen, die insbesondere davon abhängen, wann es in welchem Ausmaß gelingt, die Verbrennung fossiler Energieträger in Heizungen, Fahrzeugen und in der Industrie einzudämmen und die Landwirtschaft sowie die Ernährungsgewohnheiten der Menschen so umzugestalten, dass weniger Methan in die Atmosphäre entweicht. Dazu kommen Unsicherheiten über die so genannten positiven Rückkopplungen: Durch das Auftauen der Permafrostböden wird weiteres Methan in die Atmosphäre entweichen, das bisher im gefrorenen Boden gebunden ist. Das führt zu einer weiteren Erwärmung, was wiederum zu weiterem Auftauen gefrorener Böden beiträgt. Ähnliche Rückkopplungseffekte sind möglich, wenn aufgrund der Erwärmung eine zusätzliche Versteppung von Waldgebieten einsetzt, hier würde CO2, welches heute in der Biomasse der Wälder gebunden ist, in die Atmosphäre gelangen und den Treibhauseffekt weiter verstärken, was wiederum zu weiterer Erwärmung und weiterer Versteppung und Wüstenbildung führt.
Teil 1: Klimawandel: Verhinderung der Katastrophe ist kaum noch vorstellbar
Teil 2: Was wandelt sich im Klimawandel?
Teil 3: Zukunft des Klimas: Vom Wandel über die Katastrophe ins Chaos
Über das genaue Ausmaß und die Zeiträume dieser Prozesse herrscht Unsicherheit. Das IPCC geht insbesondere davon aus, dass es für die Wirksamkeit dieser selbstverstärkenden Effekte wesentlich ist, ob die globale Erwärmung in den nächsten Jahrzehnten auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau beschränkt werden kann oder ob sie 2 Grad überschreitet. Im Moment deutet allerdings nichts darauf hin, dass das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden könnte. Die dafür notwendigen Reduktionen in der Erzeugung von Treibhausgasen scheinen weder in den Industrieländern noch in den Entwicklungsländern erreicht zu werden.
Unsere Zukunft im schlechten Fall
Im Folgenden wird ein Bild von der Zukunft gezeichnet, dass einem eher pessimistischen Ansatz folgt. Es werden keine Hoffnungen bestärkt, dass die Menschheit durch neue technische Verfahren den Gefahren der Klimakatastrophe begegnen könnten. Auch die Möglichkeit, dass die Menschheit durch Verzicht auf klimaschädliches Handeln den Schaden begrenzen könnte, dass ein weltweites Umdenken und ein Umbau der auf Wachstum ausgelegten Wirtschaftssysteme möglich wäre, wird als unrealistisch verworfen. Das mag von Optimisten als zu schwarzmalerisch angesehen werden. Aber auch sie werden kaum den Gedanken zurückweisen können, dass das Risiko besteht, dass es keine rettende Technologie schnell genug schafft, praxisreif und im Weltmaßstab den Ausstoß von Treibhausgasen zu beenden oder gar die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre wieder zu reduzieren.
Was also kann passieren, wenn sich der Umgang der Menschen mit ihrem Lebensraum so weiter entwickelt, wie es sich aus den letzten anderthalb Jahrhunderten heraus andeutet? Was kann es bedeuten, wenn die Mahnungen wahr werden, die von einem möglichen Ende unserer Zivilisation innerhalb von einigen Jahrzehnten sprechen? Ein solches Geschehen erscheint ja zunächst unvorstellbar, die Gedanken schrecken davor zurück, sich auszumalen, wie es zugeht, wenn alles, was in den letzten 2-3 Jahrtausenden an technischen Infrastrukturen, alltäglichen Lebensweisen, politischen Institutionen und kulturellen Regeln entstanden ist, erodiert und zugrunde geht. Genau das einmal vorstellbar zu machen, ist aber das Ziel dieser Serie.
Gehen wir die verschiedenen Prozesse, die unseren Lebensraum bedrohen, einmal durch und durchdenken wir ihre zerstörerischen Konsequenzen. Beginnen wir mit denen, die zwar die langfristigsten sind, zugleich aber wissenschaftlich am meisten gesichert und gegenwärtig bereits beobachtbar.
Langfristig, aber kaum aufzuhalten: Der Anstieg der Meeresspiegel
Durch das Abschmelzen der kontinentalen Eismassen (Antarktisches Festlandseis, Grönlandeis, Gletscher in den meisten Gebirgen) wird es zum wesentlichen Anstieg der Meeresspiegel kommen. Modellrechnungen zeigen, dass im Falle eines vollständigen Abschmelzens des antarktischen Eises große Teile des nördlichen Mitteleuropas z.B. überschwemmt werden. Die Nord- und die Ostsee werden sich weit über die Niederlande und die norddeutsche Tiefebene hin ausdehnen. Schmilzt das gesamte Eis der Antarktis, dann steigt der Meeresspiegel global um ca. 66 m. Das bedeutet, alle Regionen, die heute nicht mehr als 66 m über dem Meeresspiegel liegen, werden überschwemmt. Dazu würden Berlin, Düsseldorf und Köln gehören, einige Gegenden des heutigen Norddeutschlands würden noch als Inseln aus der See herausragen. Das liegt allerdings noch in weiter Ferne, das vollständige Abschmelzen des Antarktischen Eises wird nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen einige Jahrhunderte dauern. Dieser Prozess zieht sich also noch über Jahrzehnte, insgesamt nach heutigen Prognosen über Jahrhunderte hin, aber am Ende wird viel Flachland unter Wasser stehen, und Gegenden, die nie an einer Küste lagen, werden von Überschwemmungen heimgesucht werden. Allerdings könnte diese Entwicklung schon bald unumkehrbar sein. Auf Grund der relativ langsamen Entwicklung können sich die Menschen aber durchaus auf einen solchen Prozess einstellen.
Verstärkt wird der Effekt wiederum dadurch, dass die Erwärmung der Ozeane zur Ausdehnung des Wassers und damit ohnehin zu einem Anstieg des Meeresspiegels führt. Dieser Anstieg kann in den nächsten Jahrzehnten bereits bis zu zwei Metern betragen. Das IPCC hält einen Anstieg des mittleren Meeresspiegels von etwa einem Meter bis Ende des Jahrhunderts für wahrscheinlich. Das klingt zunächst nicht viel und man kann sich vorstellen, dass es durch Küstenschutzmaßnahmen gelingen kann, die Städte und Infrastrukturen entlang der Küsten vor der Zerstörung zu bewahren.
Es gibt Inselgruppen und Küstenregionen, für die bereits einer Erhöhung des Wasserspiegels von einigen dutzend Zentimetern oder gar zwei Metern katastrophale Zerstörungen hervorrufen wird, insbesondere, wenn diese Erhöhung durch Sturmfluten und Flutwellen temporär verstärkt wird - und das ist zu befürchten, wie weiter unten noch beschrieben wird. Bekanntlich gehören diese Weltgegenden zu den ärmeren Regionen, ein effizienter und zügiger Hochwasserschutz wird dort also oft nicht möglich sein. Wir müssen also in diesen Regionen schon bald, in den nächsten Jahrzehnten, mit Katastrophen rechnen, die die schwache Infrastruktur und die Landwirtschaft der betroffenen Länder weitgehend zerstören wird.
Für andere Gegenden erscheint eine Erhöhung des Meeresspiegels von bis zu zwei Metern verkraftbar. Das Problem ist aber, dass die Küstenstreifen der Kontinente besonders dicht besiedelt sind und dass die Infrastrukturen dieser dicht besiedelten Gebiete durch Überschwemmung zerstört werden. New York liegt nur 10 m über dem Meeresspiegel, Hamburg sogar nur sechs, London im Schnitt 15 m. Teile dieser Ballungsräume werden ebenfalls bereits in den nächsten Jahrzehnten mit zerstörerischem Hochwasser zu kämpfen haben. In den stark vernetzten Energieversorgungs- und Kommunikationsnetzen wird sich das jedoch bis tief in die Regionen bemerkbar machen, die von den Überschwemmungen selbst nicht betroffen sind. Auf die Konsequenzen kommen wir später zu sprechen.
Jahrhundertfluten im Jahrestakt
Allerdings weisen die Wissenschaftler in ihrem neuesten Bericht auch darauf hin, dass die zerstörerischen Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs durch verschiedene Wechselwirkungen verstärkt werden. Dazu gehört zum einen, dass der Anstieg des Meeresspiegels nicht in allen Regionen der Ozeane gleichmäßig erfolgt, er variiert mit der Meeresdynamik, der Küstenstruktur und auch mit den Maßnahmen zum Küstenschutz. Dazu kommt, dass der höhere Meeresspiegel im Zusammenhang mit anderen Auswirkungen der globalen Erwärmung gesehen werden muss, insbesondere mit dem häufigeren Auftreten von Extremwetterereignissen. Das kann, so schreiben die Forscher in ihrem zusammenfassenden Bericht, schon Mitte des Jahrhunderts dazu führen, dass etwa Überflutungen, die in einigen Küstenregionen früher höchstens alle paar hundert Jahre auftraten, schon 2050 jährlich wiederkehren können. Das kann Gegenden unbewohnbar machen und die Infrastrukturen von ganzen Ländern empfindlich treffen, die ihre wichtigsten zivilisatorischen Zentren entlang der Ozeanküsten aufgebaut haben. Wenn extreme zerstörerische Wetterereignisse, die früher als Jahrhundertfluten bezeichnet wurden, bald alle paar Jahre und dann jährlich auftreten, dann hat eine Gesellschaft keine Möglichkeit mehr, die Schäden zu beseitigen, bevor die nächste Katastrophe über sie hereinbricht. Selbst hochentwickelte Industrienationen müssen unter solchen Bedingungen enorme finanzielle und technische Ressourcen für die Erhaltung eines gefährdeten Lebensraums einsetzen, Ressourcen, die der Gesellschaft anderswo fehlen werden.
Die Auswirkungen des Abschmelzens der Eismassen sind allerdings nicht auf den Anstieg des Meeresspiegels begrenzt. Der neueste IPCC-Sonderbericht zu diesem Thema fasst Forschungsergebnisse zusammen, die weitere Gefahren betreffen und die bereits in den nächsten Jahrzehnten Risiken für die Zivilisation weit weg von den Küsten der Ozeane bedeuten.
Durch das fast vollständige Verschwinden der Gletscher in Europa, Indonesien, den Anden und Ostafrika bis zum Ende dieses Jahrhunderts hat für die Bewohner in und in der Nähe dieser Bergregionen katastrophale Auswirkungen. Die Wasserversorgung und die Landwirtschaft, die Energieversorgung und vor allem auch der Tourismus, von dem die Menschen in diesen Gegenden abhängig sind, werden tiefgreifend gestört. Es wird zu mehr und zu zerstörerischen Lawinen und Bergstürzen kommen. Schon heute kann in den Alpen beobachtet werden, was die Auswirkungen des Auftauens der Permafrostböden sind: Felsstürze zerstören Verkehrswege und machen das Betreten der Berge immer unsicherer. Auch hier gilt: Was früher ein Jahrhundertereignis war, wird zur Regel. Die zerstörten Wege und Straßen wieder herzurichten wird zum Wettlauf mit dem nächsten und übernächsten Bergsturz.
Gletscherschwund: Gefahren für die Bergregionen
Die Wasserversorgung der Bergregionen hängt von der Verstetigung des Abflusses in den Bergflüssen ab, die durch die Gletscher bisher gewährleistet waren. Schnee fiel zunächst auf das kalte Gletschereis und wurde erst allmählich in die Täler abgegeben, dadurch werden Überflutungen von Bergflüssen in den Frühlingsmonaten abgeschwächt und auch in trockenen warmen Sommern war die Versorgung mit sauberem frischem Gletscherwasser gewährleistet. Wenn die Gletscher immer kleiner werden und schließlich am Ende dieses Jahrhunderts verschwunden sein werden, wird diese kontinuierliche Wasserversorgung nicht mehr da sein. Ein riesiger Aufwand wird in den Bau von Stau- und Rückhaltebecken investiert werden müssen, damit die Gefahren von Überschwemmungen reduziert und die Wasserversorgung sichergestellt werden können - Mittel, die wiederum woanders fehlen, ganz zu schweigen davon, dass durch solche Anlagen wiederum Ökosysteme gefährdet und Lebensräume vernichtet werden.
Auch hier gilt: hochentwickelte Industrienationen werden womöglich in der Lage sein, diese Investitionen aufzubringen, auch wenn es sie viel Kraft kosten wird, die anderswo fehlt. Und auch in Österreich und in der Schweiz, in Italien und in Deutschland wird man sich fragen, mit welchem Ziel diese Investitionen zu rechtfertigen sind. Aber in Ländern, die nicht über die wirtschaftliche Kraft verfügen, wird es nicht möglich sein, Bergregionen vor der Zerstörung von Infrastruktur, Landwirtschaft und Lebensraum zu schützen.
Auswirkungen des Verschwindens des Eises am Nordpol
Eine weitere Konsequenz des Abschmelzens der Eismassen der Erde ergibt sich aus dem Verschwinden des Eisschildes im Nordpolarmeer. Ziemlich sicher sind die Wissenschaftler, dass es schon bald normal sein wird, dass das Eis am Nordpol im Sommer vollständig verschwindet. Das hat Auswirkungen auf den Wetterverlauf in den mittleren Breiten, also z.B. in Mitteleuropa, weil das Eis großen Einfluss auf die Rückstrahlung der Sonnenenergie, auf den Niederschlag, die Versorgung der Atmosphäre mit Wasserdampf und die großen Luftströmungsmuster in der atmosphärischen Zirkulation hat. Allerdings sind die genauen Auswirkungen hier noch ungewiss, weil noch nicht alle physikalischen Wechselwirkungen verstanden und in den Klimamodellen abgebildet sind.
Gerade dieser letzte Effekt zeigt aber sehr deutlich: globale Erwärmung bedeutet nicht, dass es einfach überall etwas wärmer wird. Die globale Mitteltemperatur, die heute als einfaches Maß zur Bestimmung und zur Kommunikation des Fortschreitens des Klimawandels berechnet wird, ist selbst eine wissenschaftlich-theoretische Konstruktion. Sie beschreibt genau genommen den Gesamtzuwachs an Wärmeenergie in bestimmten Schichten der Atmosphäre. Wie diese höhere Energie sich auswirkt, ist jedoch lokal und jahreszeitlich sehr unterschiedlich und hängt von vielen weiteren Bedingungen ab: die Verteilung von Land, Eis und Meer sowie die Anordnung der Gebirge und der großen Vegetationsflächen. All das sorgt für die Ausprägung und Stabilisierung bestimmter Strömungsmuster und Witterungsverläufe, und eine Erhöhung der Energiezufuhr in dieses System, welche selbst durch die Wechselwirkungen an der Erd-, Wasser- oder Eisoberfläche sehr unterschiedlich erfolgt, hat vor allem eine Destabilisierung der bekannten normalen Strömungsmuster und Wetterprozesse zur Folge.
Ein Beispiel soll das erläutern: Auf Grund der Erwärmung der Luft und des Oberflächenwassers der Ozeane verdunstet mehr Wasser als zuvor aus den Ozeanen, die wärmere Luft kann auch mehr Wasserdampf aufnehmen als kältere Luft. Dieser Wasserdampf kann ohne jede Wolkenbildung über weite Strecken transportiert werden und dann z.B., wenn die Luftmasse auf ein Gebirge trifft, wieder kondensieren, Wolken bilden, erhebliche Niederschläge, in den Bergen auch Schneefälle verursachen. Die Bergbewohner werden womöglich nichts von einer "globalen Erwärmung" merken, vielmehr klagen sie über starke Schneefälle im späten Frühjahr und verregnete Sommer - die auf Grund geringerer Sonneneinstrahlung sogar kühler ausfallen können als gewohnt. Dennoch ist das verstärkte Auftreten solcher Wetterereignisse ein Element des globalen Klimawandels.
Die Beispiele zeigen, warum es richtig ist, hier vom Klimachaos zu reden: Das Klima wird unvorhersehbar und in einem Maße variabel, wie wir es uns mit den gewohnten Schwankungen von Jahr zu Jahr nicht vorstellen können. Die Veränderungsprozesse laufen in unterschiedlichen Zeitmaßstäben ab und beeinflussen sich auf komplexe Weise gegenseitig, sodass es kaum möglich ist, durch entsprechende Investitionen vorzusorgen.