Leben in Biosphäre II

Ein Gespräch mit Bernd Zabel

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Biosphäre II wurde als abgeschlossene Lebenswelt in der Wüste von Arizona gebaut, um zu erforschen, wie sich ein autonomes, von der Außenwelt abgeschlossenes Ökosystem bauen ließe, in dem auch Menschen leben können. Nach einigen Versuchen und heftiger Kritik wurde Biosphäre II jetzt zu einem wissenschaftlichen Projekt zur Untersuchung der irdischen Ökologie. Bernd Zabel, technischer Leiter von Biosphäre II, war eine Zeitlang selbst Versuchskaninchen. Über das Leben in einer informationsoffenen, aber ansonsten geschlossenen Lebenswelt der Zukunft, sprach Florian Rötzer mit ihm.

BIOSPHÄRE II

Das Projekt Biosphäre II wurde zwar neu ausgerichtet, begonnen hatte man aber auch als Versuch, eine abgeschlossene und autonome Überlebenskapsel zu konstruieren, die man überall, auch im Weltraum, ansiedeln könnte. Welche Intentionen standen denn zu Beginn hinter Biosphäre II, hinter dem Bau einer zweiten, künstlichen Biosphäre?

Bernd Zabel: Als das Konzept von Biosphäre II in den 80er Jahren entworfen wurde, war der Wettkampf im Weltraum noch im vollen Gange. Es gab Pläne, bis zum Jahr 2004 eine permanente Raumstation auf dem Mars zu bauen. Zu dieser Zeit wurde viel über Überlebenssysteme geforscht, die allerdings größtenteils mechanisch waren. Es gab nur wenige andere Untersuchungen die sich mit Biologischen Lebenssystemen befaßt haben. Die Russen haben während der 70er Jahre mit dem Project Bios3 zwar mit Algen und Weizen experimentiert, aber ein 100 Prozent biologisches recycelbares System wurde nicht entwickelt. Das war der Ausgangspunkt für die Gründer der Biosphäre II. Die Frage war, was passiert, wenn man Erde, Pflanzen, Tiere und Menschen in eine Glasflasche steckt und diese dann verschließt. Gibt es einen selbstregulierenden Mechanismus, der das Lebenssystem erhält?

Um diese Frage zu beantworten, wurde hier in der Wüste von Arizona ein riesiges Glashaus gebaut. Man steckte Erde, Pflanzen, Tiere und Menschen hinein, um zu sehen, ob sich diese künstliche Welt stabilisiert und wohin es sich eventuell weiter entwickelt.

Sie verwendeten die schöne Metapher von einer Glasflasche. Welche Verbindungen zur Außenwelt gab es denn noch? Auf was konnte man in dieser anfänglichen Phase des Projekts nicht verzichten?

Bernd Zabel: Biosphäre II ist materiell geschlossen. Es ist ein luft- und wasserdichtes Gebäude, bei dem der Austausch von Molekülen und Atomen minimalisiert wurde. Es ist aber energieoffen. Es gibt außen ein kleines Kraftwerk für Elektrizität, außerdem wurde Hitze und Kälte von außen in sie eingeführt. Auch das Sonnenlicht konnte durch das Glas eindringen, was ebenfalls eine Energieform ist. Und Biosphäre II war informationsoffen. Es gab vom Rundfunk über Video, Satellitenverbindung, Telefon bis hin zu Email alles. Information kam also in jeder erdenklichen Form aus ihr heraus und in sie hinein.

Sie haben auch selbst eine Zeitlang in Biosphäre II gelebt. Welche Schwierigkeiten gab es, mit wenigen Menschen über längere Zeit in einer solchen materiell abgeschlossenen, wenn auch informationsoffenen Kapsel mit einer künstlichen Natur zu leben?

Bernd Zabel: Das Schwierigste für uns waren wohl die unterschiedlichen atmosphärischen Bedingungen. Es gab einen höheren Kohlendioxidgehalt. Wir hatten Probleme mit Lachgas und der Sauerstoffgehalt war geringer. Weil wir uns nur von dem ernährt haben, was wir in der Biosphäre angebaut haben, war das Essen anders als unter normalen Bedingungen. Es war sehr viel fettarmer und kalorienreduzierter, als wir es gewohnt sind.

Haben Sie sich vegetarisch ernährt?

Bernd Zabel: Wir hatten auch Tiere in Biosphäre II. Jede Woche gab es einmal Fleisch, Fleischsuppe oder ähnliches. Es gab auch Eier und Milch, allerdings nur sehr wenig. Die Ernährung war kalorienarm ( 2500 Kalorien am Tag), der Kohlendioxidgehalt höher, der Sauerstoffgehalt niedriger. Das wirkte sich natürlich auf den Körper aus. Man fühlte sich viel müder, alles fiel schwerer. Das hatte sich natürlich auch auf das Verhalten ausgewirkt.

Biosphäre II scheint ein, wenn auch noch sehr vorläufiges Modell zu sein, wie man zukünftig Lebenssphären als Ersatz für die gewohnte Umwelt bauen könnte: abgeschlossen vom Außen, mit einem genau kalkulierten und überwachten biologischen Kreislauf, verbunden mit anderen Kapseln nur durch Telekommunikationsverbindungen. Vielleicht ist Biosphäre II die technische Variante der Gartenstädte, die seit dem letzten Jahrhundert als Alternative zum urbanen Raum und als Heimat für kleine Gemeinschaften erträumt und gebaut wurden. Wie lebt es sich denn, wenn man mit der Außenwelt nur durch den Cyberspace verbunden ist? Reicht das aus? Welche grundsätzlichen Mängel spürt man?

Bernd Zabel: Ich bin verheiratet und interessanterweise hatte ich zu dieser Zeit einen weitaus intensiveren Telefonkontakt zu meiner Frau als jetzt. Ich gehe jetzt am Morgen zur Arbeit und komme am Abend zurück. Man trifft sich dann zwar, aber während der Zeit, die ich in Biosphäre II verbracht hatte, habe ich sie jeden Morgen um fünf Uhr angerufen. In der Mittagszeit haben wir telefoniert und bevor ich ins Bett gegangen bin. Ganz allgemein haben alle in der Biosphäre mehr Zeit am Telefon verbracht und waren mehr über Email mit anderen in Kontakt gestanden, die woanders leben. Draußen hat man mehr persönliche Kontakte, aber sehr viel weniger mit Menschen, die weit entfernt wohnen.

Die Kontakte waren aber doch immer auf Sprache und Text beschränkt. Da vermißt man doch sicher etwas?

Bernd Zabel: Der persönliche Kontakt, die herzliche Umarmung, der Geruch, das fehlt natürlich. Wir konnten auch über Video mit anderen kommunizieren. Aber kann man die kleinen Zeichen wie zwinkernde Augen oder überhaupt die ganze Körpersprache nicht gut wahrnehmen. Man hat also viel weniger Informationen darüber, was die andere Person denkt, ob sie einen verstanden hat usw.

Sie waren nur sehr wenige in Biosphäre II ...

Bernd Zabel: Ja, die erste Gruppe bestand aus acht Mitgliedern. Wir waren zu siebt, fünf Männer und zwei Frauen.

Wenn Sie sich einmal vorstellen, Biosphäre II würde funktionieren und man könnte sie irgendwo installieren. Was müßte denn gegeben sein, um in einer solchen Kapsel einigermaßen zufriedenstellend leben zu können? Wie groß müßte beispielsweise ein solche Gruppe sein? Würden Sie sich eher eine kleine Gemeinschaft, ein Dorf, eine Stadt vorstellen?

Bernd Zabel: Das ist schwer zu sagen. Acht Menschen bilden eher so etwas wie eine Familie, 20 bis 30 Leute eine Sippe. Wahrscheinlich müßte es verschiedene solche Gruppen geben, die untereinander Kontakt haben, also so etwas wie kleine Dörfer, die sich in einem Tal befinden, so daß man gelegentlich von Dorf A zu Dorf B gehen kann. Als Arbeitsgruppe war unsere Größe aber schon ganz gut. Sozial war es ein bißchen spannungsreich. Man sieht sich ja immer, es ist immer dasselbe. Das wird nach einer gewissen Zeit langweilig oder gereizt.

Es ist ja auch ein bißchen ein Gefängnis.

Bernd Zabel: Man könnte auch sagen, Biosphäre II war ein Kloster. Es gab sehr viel mehr Arbeit, als die sieben oder acht Leute bewältigen konnten. Es gab also viel Streß. Andererseits war es auch sehr friedlich, weil das Leben so organisiert war. Es gab keine Überraschungen. Niemand kam unerwartet vorbei. Man mußte nicht zur Bank oder zum Einkaufen gehen. Das Frühstück war immer um sieben Uhr morgens, das Abendessen um 19 Uhr 30. Diese Ordnung, dieser Rhythmus bringt auch eine gewisse Stabilität mit sich.

Wäre das dennoch ein Traum für Sie, den Sie weiter verfolgen würden?

Bernd Zabel: Ich war sehr froh, als ich wieder herausgekommen bin. Aber im Grunde genommen wäre ich schon daran interessiert, ein solches Experiment für ein paar Jahre auf dem Mars zu machen. Das würde ich mir jedenfalls überlegen, auch wenn ich nicht weiß, ob ich es wirklich machen würde.

Biosphäre II ist seit einiger Zeit kein Projekt mehr, das primär die Konstruktion künftiger Überlebenskapseln in einer fremden Umgebung verfolgt. Warum diese Umorientierung? Und was ist die neue Zielrichtung?

Bernd Zabel: Jetzt geht es vor allem darum, Biosphäre als wissenschaftliches Projekt zu realisieren. Zuvor gab es viel Kritik, daß das keine Wissenschaft sei, sondern nur eine Spinnerei. Was wir zuvor gemacht haben, war dennoch wichtig. Es hat gezeigt das Biosphäre 2 funktioniert, wenn auch nicht problemfrei, und daß es als eine wissenschaftliche Apparatur verwendet werden kann. Seit Januar 1996 sind wir ein Teil der University of Columbia, The Earth Institute. Biosphäre II ist ein nicht-kommerzielles Projekt. Es ist daher nicht nur ein Platz, an dem geforscht wird, man bietet auch Bildungsmöglichkeiten an und das Projekt steht interessierten Besuchern offen. Die Idee ist, mit den Mitteln der Biosphäre zu erforschen, wie unsere Erde funktioniert. Dafür ist Biosphäre II ideal, weil man hier die Atmosphäre verändern und das Verhalten von Pflanzen und Tieren beobachten kann.

Wir können beispielsweise die Ökosphäre unter Bedingungen untersuchen, die wir für das 2005 erwarten. Falls die Wissenschaftler recht haben, wird der Kohlenstoffgehalt in den nächsten Jahren anwachsen. Das kann man hier herstellen und dann untersuchen, wie sich etwa Pflanzen unter diesen Bedingungen verhalten, die in der Landwirtschaft eine Bedeutung besitzen. Beispielsweise geht darum herauszubekommen, welche Pflanzen die Gewinner der Zukunft sein werden.