Lebensgefährliches Internet

In Tunesien kann nicht genehmes Surfen offenbar das Leben kosten: Ein junger Mann ist nach seiner Verhaftung unter mysteriösen Umständen verstorben, nachdem er angeblich verbotene Sites aufgerufen hatte

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Das Internet und seine schwer kontrollierbaren Informationsquellen scheinen der tunesischen Regierung zunehmend Kopfzerbrechen zu bereiten: Nachdem der Webmaster des regierungskritischen Online-Magazins tunezine.com letzten Sommer zu 28 Monaten Haft verurteilt wurde (Tunesischer Webmaster zu Gefängnis verurteilt), läuft laut tunesischen NGOs zur Zeit eine regelrechte Verhaftungswelle überwiegend jugendlicher Internetuser. Wahrscheinlich um den Zugang zum Netz besser kontrollieren zu können, sollen nun sämtliche Cybercafés des Landes unter staatliche Obhut gestellt werden.

Die tunesische "Internationale Organisation zur Unterstützung politischer Gefangener" (AISPP) meldete am 27.April den "Verdacht erregenden Tod" des 24-jährigen Maher Osmani, kurz nach seiner Verhaftung aufgrund "seiner Aktivitäten am Internet und seines Zugriffs auf unabhängige und in Tunesien verbotene Sites". Laut der AISPP wurde die Familie des jungen Telecombeamten nicht einmal von seiner Verhaftung informiert, noch wurde man darüber unterrichtet, was den gegen Maher Osmani nun eigentlich vorliege.

Die Verwandten seien nicht dazu autorisiert worden, den Körper des Verstorbenen zu sehen. Nur ein kurzer Blick auf das Gesicht sei genehmigt worden, ehe Maher unter starker Polizeipräsenz beerdigt werden konnte. Über den Verbleib von fünf weiteren jungen Leuten, allesamt Freunde des Verstorbenen und ebenso passionierte Internetuser, herrsche nach wie vor Unklarheit. Ein weiterer Freund befinde sich zur Zeit im internationalen Transit eines Pariser Flughafens, wo er um Asyl angesucht habe.

"In der letzten Zeit sind in Tunesien ca. 30 junge Leute verhaftet und gefoltert worden. Diesmal dreht es sich allerdings nicht um die Veröffentlichung von systemkritischen Informationen, sondern nur um den Zugriff auf von der Regierung zensierten Sites. Man unterstellt den jungen Internetusern ein Naheverhältnis zu terroristischen Aktivitäten, aber das ist völlig absurd", erklärt Sophie Elwarda, Freundin des nunmehr über 10 Monate inhaftierten Tunezine-Gründers, Zouhair Yahahoui.

Sie betreibt von Paris aus eine Site zur Befreiung des tunesischen Cyberdissidenten, der bereits mehrere Hungerstreiks unternommen hat, um auf die prekären Haftbedingungen aufmerksam zu machen (In der Hölle). Den letzten Hungerstreik musste Yahahoui auf Grund mangelnder medizinischer Versorgung trotz akuter Hals- und Magenentzündungen am 24.April aufgeben. Er sei stark abgemagert und müsse hinnehmen, dass die wenigen Lebensmittel mit denen die Gefangenen versorgt würden, regelmäßig von den Wärtern verschmutzt würden. Auch ein Leseverbot und die Streichung des täglichen Spazierganges seien ihm auferlegt worden.

Wie "Reporter ohne Grenzen" (RSF) berichten wurde Yahahoui bei den Verhören nach seiner Verhaftung wegen angeblicher "Verbreitung von Falschmeldungen" im letzten Juni sogar gefoltert, indem er stundenlang mit kaum Bodenkontakt unter den Füssen an den Armen aufgehängt wurde. Dreimal wurde Yahahoui dieser Folterprozedur unterzogen.

Möglicherweise sind es diese nicht gerade zartbesaiteten Verhörmethoden die Maher Osmani am 22.April nun das Leben gekostet haben. RSF berichtet, dass der tunesische Präsident Ben Ali, eine regelrechte "Informationspolizei" ins Leben gerufen hat, um jeden Zugang zu als gefährlich eingestuften Sites zu blockieren, was selbstverständlich auch ausländische Informationsquellen betrifft. Offiziell handelt es sich dabei um pornographische, terroristische oder islamistische Sites, "deren Inhalt nicht den erzieherischen und wissenschaftlichen Notwendigkeiten entsprechen". Nun sollen die Betriebsgenehmigungen der 280 Cybercafés des Landes einer "minutiösen Revision" unterzogen werden, wohl um den Zugang zum Internet auf die staatlich kontrollierten Zentren zu limitieren, wie transfert.net berichtet. Was einer Verstaatlichung der tunesischen Internetcafés gleichkommt.

Will ich wirklich wissen, wie Maher Osmani gestorben ist? Will Tunesien wirklich wissen, wie ein kaum 24-Jähriger stirbt, dessen Familie man verweigert hat, seinen Körper zu sehen? Will man sich wirklich die Gewalt der erlittenen Hiebe und Folterungen vorstellen? (...) Aber Internetuser sterben weiterhin durch Polizeigewalt, andere verschwinden, ein anderer wird bald seit einem Jahr im Gefängnis einsitzen (...) Ben Ali ist für diese Toten verantwortlich, und wir sind es für die Lebenden. Wir alle zusammen.

"hasni" in einem verzweifelten Hilferuf auf der unabhängigen Informationssite Tunesien erwache!