Lebensmittelpreise weltweit auf Rekordhöhe
Die Gründe für Preissteigerungen sind vielfältig. Ob Missernten wegen Wetterextremen, coronabedingte Lieferengpässe oder kriegerische Konflikte – die Ärmsten leiden weltweit am meisten
Um bis zu sieben Prozent könnten die Lebensmittelpreise in diesem Jahr steigen, befürchten die Experten des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts ifo. Demnach soll es bei zwei Drittel der Nahrungsmittelhersteller weitere Preisanhebungen geben. Im Sommerhalbjahr 2022 werde es immerhin eine "kräftige Erholung und Normalisierung der privaten Konsumausgaben" geben, so die Prognose. Produktionsbehinderungen infolge von Lieferengpässen werden sich allmählich auflösen.
Dem aktuellen Bericht der FAO zu Folge erreichten die weltweiten Lebensmittelpreise im Januar den höchsten Stand seit 2011, als explodierende Lebensmittelpreise neben Korruption und Vetternwirtschaft zu politischen Aufständen in Ländern Nordafrikas wie Ägypten und Libyen geführt hatten.
Gerade bei landwirtschaftlichen Produkten waren die Preise zuletzt rasant gestiegen. Dementsprechend korrigierte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Konjunkturprognose deutlich nach unten. So soll die globale Wirtschaft in diesem Jahr nur um geschätzte 4,4 Prozent wachsen, 0,5 Prozentpunkte weniger als noch im Oktober angenommen.
Auch wegen hoher Energiepreise und Lieferschwierigkeiten war die Inflation in vielen Branchen zuletzt sprunghaft angestiegen. Laut Destatis lag die Inflationsrate in Deutschland − gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex zum Vorjahresmonat – im Januar 2022 bei 4,9 Prozent. Im Laufe des Jahres soll sich die wirtschaftliche Lage allerdings schrittweise verbessern.
Bereits im Dezember waren die Erzeugerpreise im Schnitt um 22 Prozent geklettert. Tierische Produkte legten um 17 Prozent, pflanzliche Produkte sogar 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zu.
Die Verteuerung von pflanzlichen Produkten sei vor allem auf die seit Juli 2020 steigenden Getreidepreise zurückzuführen, hieß es. Relativ geringen Erntemengen stehe eine hohe Nachfrage gegenüber. Dies gelte besonders für Raps, der auch als Energiepflanze genutzt wird. Dies ist wohl der Grund, warum er sich gleich um 68 Prozent verteuerte. Wegen Angebotsknappheit und steigender Nachfrage erhöhten sich vor allem die Preise bei Raps-, Sonnenblumen- und Palmöl.
Der Preis für Sojabohnen erhöhte sich innerhalb der letzten eineinhalb Jahre um 52 Prozent, bei Mais und Weizen um 80 Prozent. Wegen anhaltender Dürren in Südamerika erhöhten sich die Exportpreise für Mais im Laufe des Januar um 3,8 Prozent. Die Preise für Weizen hingegen waren wegen reichlicher Ernten in Australien und Argentinien weltweit um 3,1 Prozent gesunken. Der Preis verteuerte sich wegen niedriger Ernten und hoher Nachfrage um 3,1 Prozent.
Bei den Milchprodukten erhöhte sich der Preisindex um 2,4 Prozent, wobei sich Magermilchpulver und Butter am meisten verteuerten. Auch die Rindfleischpreise erreichten einen neuen Höchststand, auch die Notierungen für Schweinefleisch waren leicht erhöht.
Die ärmsten Haushalte werden am stärksten belastet
Am meisten spüren die Teuerungen Menschen in Ländern, die von importierten Lebensmitteln abhängig sind. Wegen der Globalisierung hat sich diese Abhängigkeit noch erhöht. Allein in Afrika seien derzeit mehr als hundert Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen, schätzt Joseph Siegle, Forschungsdirektor am Africa Center for Strategic Studies der National Defense University.
Nicht selten müssen Menschen in Afrika, im Nahen Osten und Lateinamerika 50 bis 60 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, weiß der US-Ökonom Maurice Obstfeld, der als Professor für Ökonomie an der Universität Berkeley unterrichtet.
In Mexiko zum Beispiel erreichte die Teuerung der Lebensmittel im November den höchsten Stand seit mehr als 20 Jahren. So müssen einfache Hausangestellte in Mexiko-Stadt rund die Hälfte ihres monatlichen Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Und die Ärmsten unter den Armen wenden ihr gesamtes Einkommen für Nahrungsmittel auf.
"Die Welt nähert sich einer globalen Nahrungsmittelkrise", fürchtet Christian Bogmans. Der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds macht ein langsameres Wirtschaftswachstum und hohe Arbeitslosigkeit für die Krise verantwortlich, aber auch Regierungen, die viel Geld zur Bekämpfung der Pandemie ausgaben.
Bereits vor der Krise tendierten die weltweiten Lebensmittelpreise nach oben. So erkrankten 2019 in China mehr als 100 Millionen Schweine an der Schweinepest. Millionen Tiere verstarben oder mussten gekeult werden.
Generell können auch wegen sich verschärfender Handelsstreitigkeiten zwischen den Ländern Lieferungen behindert bzw. gestoppt werden. So wurden im selben Jahr im Handelskrieg zwischen den USA und China chinesische Güter im Wert von 300 Milliarden Dollar mit Zöllen belegt. Darauf reagierte China, indem es den Kauf von US-Agrarprodukten aussetzte.
Häufig führen auch Kriege zu Teuerungen, so wie im Norden von Mosambik: Bewaffnete Konflikte waren die Ursache dafür, dass sich der Preis von Maniokmehl von März bis Mai 2021 um 45 Prozent erhöhte. Darunter hatten vor allem jene Familien zu leiden, deren Einkommen ohnehin durch die Pandemie und deren Maßnahmen stark geschwächt wurde. Bewaffnete Konflikte wie der in der Ukraine können sich ganz aktuell ebenfalls auf die Lebensmittelpreise auswirken, denn das Land ist ein wichtiger Getreideproduzent.
Hamsterkäufe wegen Versorgungsengpässen
In den USA waren nach Angaben des Bureau of Labor Statistics die Lebensmittelpreise im Dezember um 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, die Preise für Fleisch, Geflügel, Fisch und Eier sogar um 12,5 Prozent. Vor allem Schweinemäster waren von Last-Minute-Stornierungen, fehlenden Lastwagen und Kühlhäusern und durchschnittlich 170 Prozent höhere Versandcontainerpreisen betroffen.
Neben steigenden Transportkosten wirkten sich auch Unterbrechungen der Lieferketten auf die Versorgung der Supermärkte aus, so dass es innerhalb der letzten zwei Jahre teilweise zu Hamsterkäufen kam. Zudem haben Landwirte mit steigenden Kosten für Düngemittel, Ernteversicherungen und Agrochemikalien zu kämpfen, betont Chris Edgington, Präsident der National Corn Growers Association und Maisanbauer.
Ein Großteil des Maises, den der Mais- und Sojabauer in Nord-Iowa produziert, wird zu Ethanol verarbeitet, wobei ein Nebenprodukt zurückbleibt, das üblicherweise in Chicago in einen Container geladen und als Tierfutter ins Ausland verschifft wird.
In letzter Zeit jedoch mangelte es immer öfter an Containern. Statt im Mittleren Westen der USA landwirtschaftliche Produkte abzuholen, werden die Container von den Reedereien zurück nach Asien versandt, um lukrativere Frachten zu transportieren. Laut Edgington ist der Anstieg von Kosten und Verkaufspreisen etwa gleich hoch. Dennoch gefährden große Preisschwankungen die Finanzen der Landwirte, so dass ihre Rendite im Vergleich zu der Zeit vor einigen Jahren nicht steigen wird, so heißt es.
Abnehmende Artenvielfalt gefährdet die Ernährungssicherheit
Mehr als drei Viertel der weltweiten Nahrungsmittel hängt von nur noch zwölf Pflanzen- und fünf Tierarten ab. Der genetische Pool bei Nutzpflanzen und -tieren wird immer enger. Die zunehmend vereinheitlichte und genormte Lebensmittelproduktion verstärkt den Trend einer abnehmenden Vielfalt. Dazu kommt, dass die landwirtschaftliche Produktion sich auf wenige Standorte konzentriert, allen voran USA und China, gefolgt von Indien, der EU und Brasilien, Argentinien, Australien, Russland und der Ukraine.
Infolge des Klimawandels kommt es in diesen Regionen jedoch immer öfter zu Dürreperioden, Überschwemmungen und der Ausbreitung von Pflanzenkrankheiten. Die Folgen davon sind enorme Ernteausfälle, die die globale Ernährungssicherheit künftig noch stärker gefährden, warnen Experten. In einigen Weltregionen könnte dies zu noch stärkeren sozialen Unruhen führen.
Lebensmittel, die in der Tonne landen
Kürzlich blockierten Menschen, die sich zum "Aufstand der letzten Generation" zählen, Straßen und Zufahrtswege in deutschen Großstädten. Mit ihren Aktionen wollten sie den "fossilen Alltag" stören, auf Gefahren für die Nahrungsmittelsicherheit und den steigenden Meeresspiegel hinweisen. Bereits eine Woche davor hatten Aktivisten der "Letzten Generation" Pferdemist im Landwirtschaftsministerium verteilt und ein "Essen-Retten-Gesetz" sowie mehr Tempo für eine klimagerechte Agrarwende gefordert.
Nicht überall stoßen derartige Aktionen auf Verständnis. Ausgebremste Autofahrer etwa reagieren darauf eher genervt. Doch wie sagte eine Blockade-Teilnehmerin sinngemäß? All diese Störungen seien nichts im Vergleich zu den künftigen Störungen durch Fluten, Orkane, Dürren und Waldbrände oder anderen Auswirkungen des ungebremsten Klimawandels.
Wenn wir so weitermachten wie bisher, werde 2050 etwa ein Drittel unserer Ernte ausfallen, befürchtete Carla Hinrichs im Interview mit dem Nachrichtenportal von t-online. Es werde keine 30 Jahre dauern, dann würden immer mehr Menschen wegen zunehmenden Ernteausfällen und wachsender Weltbevölkerung hungern.
Im krassen Gegensatz dazu landen aktuell allein in Deutschland jedes Jahr 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll – eine Lkw-Ladung pro Minute. Dies sei respektlos gegenüber den Menschen, die jetzt schon Hunger leiden, kritisiert die Pressesprecherin der "Letzten Generation". Und nicht nur das.
Warum essen wir nicht einfach diejenigen Produkte, die noch in Ordnung sind, anstatt sie wegen abgelaufener Haltbarkeitsdaten in den Müll zu werfen? Durch effizientere Nutzung vorhandener Lebensmittel könnte die Teuerungen wenigstens zum Teil kompensiert werden. Das gilt übrigens auch für "krummes Gemüse". Denn auch wenn es äußerliche nicht der Norm entspricht, kann auch solches Gemüse Menschen ernähren.
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