Legale Konzert-Bootlegs

Musikalische Erinnerungen: 30 Jahre alte legendäre Rock-Konzerte restauriert, Bootleg-Tauschbörsen und Erinnerungsmitschnitte zum Mitheimnehmen aus dem Automaten

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Konzerte sind vergänglich – ob Rock, Pop oder Klassik. Man kann sich deshalb von besonders gelungenen Konzerten eine DVD kaufen – doch was, wenn es gar keine DVD vom gewünschten Konzert gibt?

Beim Eintritt in die Konzerthalle oder das Stadion wird alles durchsucht. Keine Flaschen, aber vor allem: keine Tonbandgeräte und keine Kameras. Während die Kameras vor allem des Nervfaktors wegen unerwünscht sind – die Nase von Mick Jagger um 22 Uhr mit Blitz aus 30 Meter Entfernung mit der Billigkamera geknipst ergibt ganz bestimmt kein irgendwie verwendbares Bild, doch auf der Bühne blickt Mick statt in die Gesichter des Publikums nur noch in ein andauerndes Blitzlichtgewitter –, geht es bei der Tonaufnahme um Bootlegs – Live-Raubkopien sozusagen, Mitschnitte durch die Konzertbesucher. Diese finden auch bei schlimmster Qualität noch Abnehmer, denn sie sind authentisch – und auch als Erinnerung wertvoll, wenn man sie selbst aufgenommen hat.

Leicht verändertes Ärzte-Cover auf der Bootleg-Tauschbörse"kill-them-all"

Bruce Springsteen ist beispielsweise live ein Genuss: Er spielt nicht nur bis zu vier Stunden, sondern erzählt auch noch auf der Bühne die Geschichten zu seinen Songs. Jahrelang konnte sich seine Plattenfirma dennoch nicht dazu durchringen, ein Livealbum zu veröffentlichen. Prompt wurden die von den Fans getauschten Bootlegs mehr und mehr, doch zum Anhören empfahl sich in den meisten Fällen ein besonders billiger Walkman oder Kassettenrekorder – auf einer guten Anlage hätte die Tonqualität enttäuscht. Doch dann tauchte auch ein Bootleg-Mitschnitt aus Mailand in ausgezeichneter Qualität als italienische Schwarz-Plattenpressung auf und die CBS musste handeln, wenn sie das Geschäft nicht verlieren wollte: Sie kam mit der lange erwarteten und damals 5 LPs umfassenden Box "Live 1975-85" mit den besten professionellen Konzertmitschnitten aus 10 Jahren heraus.

Bootlegs und professionelle Liveaufnahmen sind sehr gefragt

Mögen die Plattenfirmen auch die Bootlegs hassen – für die Musiker sind sie ein Zeichen treuer Fans. Der eigene Mitschnitt kann ja auch nie die Qualität eines professionellen Konzertmitschnitts am Mischpult erreichen und ist daher keine wirkliche Konkurrenz zu einer Live-CD oder heute auch Live-DVD. Manche Bands haben das Bootleggen deshalb auch ganz offiziell erlaubt, so beispielsweise die Grateful Dead und die Ärzte. Für letztere gibt es sogar eine extra Website, auf der die Fans ihre Bootlegs ganz offiziell tauschen dürfen, solange dies ohne kommerzielle Absichten geschieht.

Als Hardware zum Aufnehmen sind MD-Recorder durchaus gut geeignet, da sie klein und robust sind und oft mit gut geeigneten Stereomikrofonen geliefert werden. Noch mehr haben sich jedoch trotz etwas geringerer Tonqualität MP3-Flash-Recorder verbreitet, da sie erschütterungsunempfindlich und so klein sind, dass sie auch Kontrollen bei Konzerten, in denen Bootleggen nicht erwünscht ist, überstehen.

Reinstecken, raufladen, rausziehen: Fertig ist der Konzertmitschnitt

Und während das Establishment Bootlegger immer noch als Live-Raubkopierer einstuft, sind sie in der Independent-Szene bereits so akzeptiert, dass die Clubs inzwischen das Bedürfnis nach einer Aufnahme des gerade besuchten Konzertes unterstützen, ohne sich das Geschäft entgehen zu lassen, indem sie selbst die Konzerte in dann natürlich besserer Qualität mitschneiden und die Aufnahmen anbieten: Durch Verkaufsstände, an denen man für 20 Dollar einen MP3-Speicher für den Schlüsselbund erwerben kann und sich für weitere 10 Dollar das gerade eben gelaufene Konzert aufspielen lassen kann, will der Independent-Rockclub Maxwells im Staat New York beispielsweise seine Kundschaft locken. Zuhause steckt man dann den Speicher am Schlüsselbund an den PC, verschiebt die Dateien auf die Festplatte und kann sich nun eine CD brennen oder seinen Freunden per E-Mail von dieser gerade gehörten tollen neuen Band berichten und die MP3-Datei gleich anhängen.

Wer keinen Stick vor Ort hat, kann sich auch von zuhause noch beim Anbieter E-Music Live, einem Ableger von E-Music, mit den Aufnahmen versorgen. Bislang bot man an, direkt nach dem Konzert von den Liveaufnahmen CD-Rs zu brennen, doch gab das bei großem Interesse trotz schneller Brenner nicht nur Warteschlangen, sondern es zeigte sich auch, dass die meisten Käufer die CDs sowieso zuhause in den PC steckten und rippten. Also spart man sich den teuren und zeitraubenden Zwischenschritt über die Silberscheibe nun. Der MP3-Stick mit 128 MB speichert bis zu 110 Minuten Musik, geladen wird er von Touchscreen-Terminals, die mit der in Amerika allgegenwärtigen Kreditkarte gefüttert werden.

Interessant: Live-Replika historischer Rock- und Popkonzerte

Was aber, wenn das Konzert, an das man sich gerne erinnern würde, schon vor 30 Jahren stattfand, die Band in der damaligen Form längst nicht mehr existiert und außer Fotos, Zeitschriftenartikeln und ein paar Filmaufnahmen mit schlechtem Ton auch sonst nichts mehr von der besonderen Optik der legendären Konzerte geblieben ist? Ja, auch dann gibt es die Möglichkeit der völlig legalen Raubkopie: Man spielt das Konzert anhand der Platten- und Filmaufnahmen originalgetreu nach! Genau dies tut die kanadische Band "The Musical Box" – ihr Name entstammt ebenfalls einem Genesis-Stück dieser Ära – seit über zehn Jahren mit drei legendären Genesis-Konzerten der Progrock-Konzeptalben-Ära: "Foxtrot", "Selling England by the Pound" und "The Lamb lies down on Broadway". Sie sind dazu von Peter Gabriel und Genesis offiziell lizenziert.

Am 6. Mai konnte Telepolis die Aufführung der Foxtrot-Show im Münchner Zirkus Krone besuchen und obwohl die bei der späteren "The Lamb lies down on Broadway"-Show eingeblendeten Dias – es war eine der ersten "Multimedia-Shows" – hier noch fehlten, war das Ergebnis optisch und musikalisch so überzeugend, dass auch Besucher, die Genesis nur noch von Platten kennen und aus heutiger Sicht deshalb für eher langweilig halten, begeistert waren.

Die Deutschlandtour der Musical Box läuft noch und Tickets sind beim Veranstalter WIV Entertainment auch online erhältlich, sofern das Konzert noch mehr als eine Woche in der Zukunft liegt. In 2005 wird die Truppe dann mit "The Lamb lies down on Broadway" erneut nach Deutschland kommen. Auch andere "originalgetreue Konzert-Replikas" dieser Zeit bietet WIV Entertainment an, so beispielsweise "The Machine" als Pink-Floyd-Coverband.

Die sogenannte "Black Show" mit dunkler Bühnendekoration von "Selling England by the Pound" wird "The Music Box" nur ein einziges Mal aufführen – in Gersthofen bei Augsburg