"Lehrjahre sind keine Herrenjahre" in Zeiten des Fachkräftemangels?
Ausbildungsmängel trotz Fachkräftemangel: Weniger Stellen, sinkende Qualität. Betriebe sehen Azubis oft als ungeeignet. Doch wer wächst wirklich mit seinen Aufgaben?
Derzeit starten viele junge Menschen in das Arbeitsleben. Sie beginnen eine Berufsausbildung. In Zeiten des Fachkräftemangels überraschen die Probleme: Mängel gibt es in der Qualität der Ausbildung und bei fehlenden Angeboten an Ausbildungsplätzen.
Im Juli 2024 waren bundesweit 491.834 Ausbildungsstellen gemeldet. Das ist ein Rückgang von 4,3 Prozent gegenüber Juli 2023. Seit Jahren bilden große Unternehmen weniger aus. So gab es im vergangenen Jahr 26.400 Bewerber, die gerne eine Ausbildung angetreten hätten, aber unversorgt blieben. "Das waren 16,3 Prozent mehr als noch im Vorjahr 2022 und 7,6 Prozent mehr als 2019", meldet die dpa.
Wir werden den Fachkräftemangel nicht lösen, wenn es uns nicht gelingt, alle Potenziale für die berufliche Ausbildung zu heben.
Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende
Oft bezeichnen Betriebe junge Menschen als ungeeignet für das Lernen im Betrieb. Dabei wird übersehen: Selbst wenn am Ende der Schulzeit das Leistungsvermögen vermeintlich unzureichend ist, benötigen junge Menschen eine Chance auf Ausbildung. Denn die meisten wachsen mit ihren Aufgaben. Ihr Leistungsvermögen kann erweitert und in der Ausbildung entwickelt werden.
Die Realität sieht jedoch oft anders aus: Unternehmer sehen die Ausbildung fast nur noch unter Kostengesichtspunkten. Kosten für die Ausstattung der Ausbildungsabteilungen werden oft zulasten Auszubildender reduziert, die Ausbilder-Tätigkeiten in der Personalplanung kaum eingerechnet. Es bleibt daher immer weniger Zeit, sich auch um schwächere Auszubildende zu kümmern.
Ausbildungsgarantie besteht auf dem Papier
Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) hat die sozialliberale Bundesregierung 1969 beschlossen – auch in Reaktion auf Lehrlingsproteste. Ziel war eine Qualitätsanhebung der Ausbildung. Die Lehrlinge sollten fortan nicht nur Auszubildende heißen, sondern auch sein.
Schon in den 1960er-Jahren wurde ein Rückgang der Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen befürchtet. Gegensteuern sollte eine überbetriebliche Finanzierung der Berufsausbildung, indem ein Ausbildungsfonds konzipiert wurde. Gesetz wurde diese Idee nicht.
Die Gewerkschaftsjugend fordert seitdem eine Ausbildungsplatzabgabe – "wer nicht ausbildet, soll zahlen", indem Unternehmen ohne Auszubildende die Ausbildung mitfinanzieren sollen.
Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung heißt es dazu:
Mit den Ländern bauen wir die Berufsorientierung und Jugendberufsagenturen flächendeckend aus. Wir wollen eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb. In Regionen mit erheblicher Unterversorgung an Ausbildungsplätzen initiieren wir bedarfsgerecht außerbetriebliche Ausbildungsangebote in enger Absprache mit den Sozialpartnern.
Die von der Bundesregierung beschlossene Ausbildungsgarantie ist aber an zahlreiche Bedingungen geknüpft, sodass man kaum noch von einer "Ausbildungsgarantie" sprechen kann. Die Garantie soll sich keineswegs auf alle Jugendlichen erstrecken, sondern neben dem Nachweis "hinreichender Bewerbungsbemühungen" nur für diejenigen gelten, die "in einer Region wohnen, in der die Arbeitsagenturen eine erhebliche Unterversorgung an Ausbildungsplätzen festgestellt haben".
Qualität der Ausbildung als großes Problem
Das Berufsbildungsgesetz beinhaltet Schutzbestimmungen für Auszubildende. Nach § 14 Abs. 1 Zif. 1 BBiG ist der Ausbildungsbetrieb verpflichtet, dafür zu sorgen, dass den Auszubildenden die berufliche Handlungsfähigkeit vermittelt wird, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist.
Vor allem in kleineren Betrieben werden die Auszubildenden direkt durch Einbindung in den Arbeitsprozess ausgebildet. Diese Art der Ausbildung ist für den Betrieb häufig mit geringeren Kosten verbunden, da die Auszubildenden in der Regel auch produktiv arbeiten und zum anderen "Leerlauf" im Arbeitsprozess genutzt wird, um Auszubildende zu unterweisen.
Der Auszubildende steht – im Gegensatz zu einem ausgelernten Arbeitnehmer, der etwa einen bestimmten Auftrag zu erfüllen hat – lediglich in der Pflicht, die für die Ausbildung erforderlichen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben.
Trotz gesetzlichem Anspruch gibt es Mängel der Ausbildung in den Betrieben, wie der Ausbildungsreport des DGB zeigt: Fast jeder dritte Azubi macht Überstunden, viele müssen Aufgaben erledigen, die nichts mit der Ausbildung zu tun haben und immer weniger Auszubildende würden die Ausbildung im eigenen Ausbildungsbetrieb weiterempfehlen.
Die DGB-Jugend hat bei ihrer Berufsschultour bundesweit 9.855 Auszubildende aus den 25 am häufigsten gewählten Ausbildungsberufen im dualen System befragt. Daraus ergibt sich eine repräsentative Datenbasis zur Bewertung der Ausbildungssituation.
Der Ausbildungsbetrieb hat nach § 14 Abs. 1 Zif. 5 BBiG dafür zu sorgen, dass Auszubildende charakterlich gefördert werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Ausbilder die Rolle des Erziehungsberechtigten übernimmt. Vielmehr soll sich diese Förderung auf den betrieblichen Bereich beziehen, in dem die seelisch-geistige Entwicklung des Auszubildenden gefördert wird.
Der Ausbilder hat auch Rücksicht zu nehmen, indem er eine Überforderung des Auszubildenden verhindert, die zu einem Gesundheitsschaden führen kann. Dies bedeutet konkret, der Auszubildende soll sich im technischen und organisatorischen Bereich des Betriebes zurechtfinden, gleichzeitig sollen soziale Kompetenzen vermittelt werden. Der Hintergrund: Betriebe sind häufig Veränderungen ausgesetzt, Tätigkeiten verändern sich und die Anforderungen wandeln sich.
Aber auch hier gibt es Mängel: Schwerpunkt des aktuellen Ausbildungsreports ist die "moderne Ausbildung". Vier von zehn Auszubildenden (39,8 Prozent) geben an, von ihrem Ausbildungsbetrieb nur "selten" oder sogar "nie" die benötigten technischen Geräte für eine digitale Ausstattung zu erhalten.
"Wie soll die Digitalisierung und Transformation der Arbeitswelt denn gelingen, wenn wir genau diejenigen, die sie künftig gestalten sollen, nicht modern unterrichten?", fragt DGB-Bundesjugendsekretär Kristof Becker.