Leichen im Keller

Seite 2: London 2005, Guantanamo 2001-2014

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London 2005: Terror in Europa, ungeklärt

Ebenso ungeklärt sind die mittlerweile schon neun Jahre zurückliegenden Bombenanschläge auf das Londoner U-Bahn-System vom 7. Juli 2005, die mehr als 50 Todesopfer und hunderte Verletzte forderten. Das Massaker führte direkt zu einer massiven Verschiebung der politischen Agenda.

Es ereignete sich zeitgleich zur Tagung der G8 in Schottland, auf der vor allem über Probleme der globalen Armut gesprochen werden sollte. Im Rahmen der in mehreren Weltstädten stattfindenden "Live 8"-Konzerte, organisiert eigens, um öffentlichen Druck auf die Politik aufzubauen, hatten sich in der Woche zuvor etwa im Londoner Hyde Park mehr als 200.000 Menschen versammelt. UN-Generalsekretär Kofi Annan dankte für das Engagement und betonte) "Ich glaube, dass Ereignisse wie diese wirklich dazu beitragen können, die Welt zu verändern."

Genau in dieser Situation gingen die Bomben hoch. Augenblicklich beherrschten wieder der Terror und dessen internationale Bekämpfung die Schlagzeilen.

Die Berichterstattung zur Tat nahm dabei nicht weniger überraschende Wendungen als im Fall Ghuta. Während es zunächst von Seiten der Ermittler hieß, alle drei Bomben in den U-Bahnen hätten Sprengstoff aus Militärbeständen enthalten und seien mit Zeitzündern zur Explosion gebracht worden, behauptete man später das glatte Gegenteil: die Bomben seien aus frei verfügbaren Materialien gebastelt und von den Attentätern selbst mit einem manuellen Schalter gezündet worden (Fragwürdige Aufklärung).

Ermittlungen ergaben darüber hinaus, dass einige der mutmaßlichen Täter im Visier des britischen Geheimdienstes gestanden hatten. Der Chefplaner sei den Diensten sogar seit Jahren bekannt gewesen und diese hätten eigens dessen Festnahme in den USA im Vorfeld der Anschläge verhindert.

Dass eine am Morgen der Tat stattfindende Notfallübung vergleichbare Bombenanschläge an denselben U-Bahn-Stationen parallel "geprobt" hatte, war dann manchem Beobachter zu viel des Zufalls.

Der damalige britische Premierminister Tony Blair verweigerte dennoch mehrfach eine unabhängige öffentliche Untersuchung. Diese würde "ablenken" sowie den Rückhalt für die Sicherheitskräfte "untergraben". Die wahren Hintergründe der Anschläge liegen bis heute im Dunkeln.

Guantánamo 2001-2014: Abseits allen Rechts

Die juristische Aufklärung der Anschläge von 9/11, einem Verbrechen mit bekanntlich gut 3.000 Toten und breitesten politischen Folgen bis heute, als Farce zu bezeichnen, erscheint eher noch untertrieben. Den nun schon viele Jahre auf Guantánamo anhängigen Strafprozess gegen die mutmaßlichen Hintermänner des Massenmords hätte Franz Kafka kaum grotesker ersinnen können.

Weggesperrt außerhalb der regulären Gerichtsbarkeit und abgeschottet von der Öffentlichkeit harren die Angeklagten, die zum Teil ein langdauerndes Foltermartyrium hinter sich haben, ihrem Schicksal. Das Prozessende liegt in weiter Ferne. Aufklärung bleibt ein frommer Wunsch.

Was aus dem streng bewachten Areal nach draußen dringt, unterliegt der Zensur. Pressevertreter dürfen nur von einem Nebenraum aus durch eine Glasscheibe den Prozess verfolgen. Der Ton dazu wird mit 40 Sekunden Verzögerung übertragen. Ein zwischengeschalteter "Sicherheitsoffizier" kann somit jederzeit in die Veröffentlichung der Wahrheitsfindung eingreifen. Jüngst wurde bekannt, dass das FBI sogar einen Spion in die Reihen der Strafverteidiger eingeschleust habe (9/11-Prozess: FBI soll Verteidiger bespitzeln). Anscheinend sind die Vertreter der Anklage bestrebt, dem Fall immer noch neue, absurdere Facetten hinzuzufügen.

In der medialen Öffentlichkeit kommt das Verfahren dennoch so gut wie nicht vor. Es scheint ausgeblendet, tief versunken im kollektiven Unterbewusstsein. Vereinzelte Fragen zur Schuld am 11. September werden reflexhaft mit dem Verweis auf die "9/11 Commission" beantwortet - dabei bezieht die sich, was die eigentliche Tatplanung angeht, ja selbst nur auf Geheimdienstverhöre Gefolterter (Neue Indizien legen nahe, dass den Anschlägen vom 11. September 2001 kein Selbstmordplan zugrunde lag.

Fazit: Identitätskrise?

Es ist ein schmerzhafter Blick auf diesen Teil der Identität des Westens - gravierende Lücken in der Geschichtsschreibung, die bemerkenswerterweise immer an den Kern- und Wendepunkten von politischen Entscheidungen zu finden sind. Und es gehört schon Chuzpe dazu, diese Lücken so konsequent zu leugnen, dass man anderen Ländern Vorhaltungen über deren vermeintliche und tatsächliche Rechtsbrüche zu machen wagt. Doch womöglich genügt auch eine Art Amnesie - auf deren Grundlage Politik allerdings Gefahr läuft, zum Monolog und zur Spiegelfechterei zu werden.

Abseits aller realen geopolitischen Gründe würde ein Psychologe die Anti-Russland-Hysterie der vergangenen Wochen vielleicht auch als Projektion deuten, als Übertragung von Unbewältigtem. Sünden, die man den eigenen Anführern durchgehen lässt, müssen bei als feindlich deklarierten Staaten um so heftiger verfolgt werden. Putin zu schlagen, hieße so letztlich, das Übel insgesamt vergessen zu machen. Seine "Uneinsichtigkeit" und sein Widerstand bei diesem Versuch reizen die Betroffenen um so mehr und führen zu einem Moralisieren, das rational kaum mehr fassbar scheint und das Merkmale einer kollektiven Psychose offenbart.

In jedem Fall ist Putin jedoch der falsche "Arzt". Eine Klärung der vertuschten Geschichtslücken des Westens kann, so nötig sie ist, nur von innen kommen.