Let's go East

Brüssel, Washington und Berlin setzen alle Hebel in Bewegung, um den russischen Einfluss in der östlichen Peripherie der EU zurückzudrängen

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Befinden wir uns in einer Vorkriegszeit? Die außenpolitischen Deklarationen vieler führender Politiker erinnern inzwischen frappierend an die Rhetorik, die die geopolitischen Spannungen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges begleitete, als imperiale Großmächte verbissen um Einflusssphären und Absatzmärkte kämpften.

Kanzlerin Angela Merkel etwa zeigte sich Mitte November in Sydney besorgt über den wachsenden Einfluss Russlands auf dem Balkan. Bei den Auseinandersetzungen mit Russland gehe es "ja nicht nur um die Ukraine", sagte Merkel: "Es geht um Moldawien, es geht um Georgien, wenn es so weiter geht, (...) muss man bei Serbien fragen, muss man bei den Westbalkanstaaten fragen." Es werde schwierig sein, Putin in dieser Region zu stoppen, sekundierte Spiegel Online.

Balkan-Roulette

Merkel artikulierte in Sydney die kurz zuvor dem Spiegel zugespielte Einschätzung des Auswärtigen Amtes (AA), der zufolge Russland dem "westlichen Balkan strategische Bedeutung" beimesse. Das Ziel "Putins" bestehe darin, die "Balkanstaaten so unter Druck setzen zu können, dass sie entweder von einer EU-Mitgliedschaft Abstand nehmen oder als Mitglied EU-Beschlüsse prorussisch beeinflussen", erklärte der CDU-Europapolitiker Elmar Brok.

Judy Dempsey, Mitarbeiterin des Think-tanks Carnegie Europe, zählte die diesbezüglichen Vergehen Russlands auf dem Balkan - der wieder zu einer bloßen Kampfarena geopolitischer Interessen verkommt - akribisch auf. Im Frühjahr 2013 habe Belgrad einen Vertrag über eine strategische Partnerschaft mit Moskau abgeschlossen, dem auch noch eine Vereinbarung über "militärische Kooperation" folgte. Besonderen "Verdruss" habe in Berlin der Staatsbesuch Putins in Belgrad im vergangenen Oktober ausgelöst, so Dempsey, bei dem der russische Präsident gemeinsam mit seinem serbischen Amtskollegen Nikolić der Befreiung Jugoslawiens von der deutschen Okkupation 1944 gedachte.

Doch dies stelle nur die Spitze des Eisberges dar, empörte sich Dempsey, die auf die wachsende wirtschaftliche Kooperation zwischen Russland und Serbien verwies. Die russische Staatsbahn sei gerade dabei, rund 350 Kilometer des serbischen Schienennetzes zu modernisieren. Der russische Gasmonopolist Gazprom halte inzwischen eine Mehrheit der Anteile des serbischen Gasversorgers, während der russische Energiekonzern Lukoil nahezu 80 Prozent an Beopetrol, dem größten Tankstellennetz Serbiens, halte. "Kein Wunder, das Serbien gezögert hat, die EU-Sanktionen gegen Russland zu unterstützen", so Dempsey.

Brüssel setzt inzwischen Belgrad verstärkt unter Druck, um Serbien zur Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland zu nötigen. Ähnlich der Ukraine unter Janukowitsch, vollführt Serbien einen geopolitischen Balanceakt, bei dem das Land die traditionell engen Bindungen an Russland gegen die angestrebte EU-Mitgliedschaft abwägen muss.

Russland bemühe sich zudem, Einfluss in Bosnien-Herzogowina zu gewinnen, warnte Dempsey - vornehmlich durch die Unterstützung der Republika Srpska. Die Annexion der Krim durch Russland habe den Präsidenten der serbischen Teilrepublik Bosnien-Herzogowina, Milorad Dodik, dazu verleitet, öffentlich eine Sezession der Republika Srpska zu erwägen. Erst eine Intervention Belgrads habe Dodik von seinem Vorhaben abgebracht. Vermittels seiner Investitionen im Energiesektor versuche Russland zudem, Einfluss auf die Politik in Montenegro und Bulgarien zu nehmen. "Die EU sollte besorgt sein über die Einmischung Russlands in ihrem Hinterhof", warnte Dempsey.

Und genau in diesem geopolitischen Großmachtdenken lässt sich die Ursache für die zunehmende Kritik der russischen Politik durch deutsche Spitzenpolitiker und Meinungsmacher verorten. Die Balkanstaaten werden in Berlin und Brüssel als ein Hinterhof der EU betrachtet, so dass russische Investitionen und Kooperationsverträge als eine Einmischung in die Einflusssphäre des "Westens" angesehen werden. Eine besonders dominante Stellung innerhalb der Ökonomien Mittelosteuropas haben insbesondere deutsche Unternehmen und Konzerne erobert, so dass etliche dieser Volkswirtschaften zu hoffnungslos abhängigen informellen Wirtschaftskolonien der deutschen Industrie zugerichtet wurden (siehe hierzu Deutsch-Mittelost).

Die Versuche etlicher dieser peripheren Länder, engere Beziehungen mit Russland aufzubauen, sollen gerade diese erdrückende Übermacht westlicher - und insbesondere deutscher - Konzerne in der Binnenwirtschaft zumindest abmildern. Verstärkt werden diese Bestrebungen einer zaghaften Neuorientierung durch die Eurokrise und das damit einhergehende deutsche Spardiktat in Europa das jegliche Illusionen einer nachhaltigen sozioökonomischen Entwicklung in der Peripherie der EU zerstört hat. Für viele Staaten an den südlichen und östlichen Rändern der Europäischen Union gleicht das "europäische Projekt" zunehmend einem elenden preußischen Kasernenhof, so dass die Versuche einer geopolitischen und ökonomischen Diversifizierung der Beziehungen Auftrieb erhalten - sehr zum Verdruss Berlins.

Tschechien als "unsicherer Kantonist"

Diskussionen über eine Neujustierung der Wirtschafts- und Außenpolitik werden nicht nur in Belgrad, sondern auch in Prag geführt. Eine bedeutende Fraktion innerhalb der tschechischen Politeliten um Präsident Milos Zeman gilt als russophil, was Tschechien inzwischen den Status eines "unsicheren Kantonisten" eingebracht habe, berichtete die Tageszeitung Die Welt. Zeman habe sich mehrmals für eine Ende der Sanktionen gegen Russland ausgesprochen, die Krim als einen Teil Russlands bezeichnet und den Konflikt in der Ukraine als einen Bürgerkrieg bezeichnet, wie er auch in Spanien am Vorabend des Zweiten Weltkrieges tobte. Deswegen seien die westlichen Sanktionen gegen Russland schädlich und ungerecht, so Zeman bei einer Staatsvisite in Moskau. Diese Äußerungen des tschechischen Staatschefs veranlassten die Regierung in Kiew, den tschechischen Botschafter einzubestellen.

Für Unmut insbesondere in Washington sorgten auch Äußerungen von Regierungschef Sobotka und Verteidigungsminister Stropnicky, die eine eventuelle Stationierung von NATO-Truppen in Tschechien energisch mit dem Hinweis ablehnten, man habe damit "Probleme aus Erfahrung". Damit spielten die Prager Spitzenpolitiker auf die langjährige Stationierung sowjetischer Truppen in der Tschechoslowakei an. Der "Konsens" über eine prowestliche tschechische Außenpolitik sei in Prag nicht mehr gegeben, bemerkte Die Welt. Die tschechische Politikelite wolle ihre Politik verstärkt an "harten Wirtschaftsinteressen" ausrichten.

Ende November zeigte Zeman anlässlich seiner Staatsvisite in Kasachstan, was er unter dieser Neuausrichtung tschechischer Außenpolitik versteht: Wirtschaftsaufträge in Höhe von 450 Millionen Dollar wurden im Verlauf der zweitägigen Visite in der rohstoffreichen zentralasiatischen Republik abgeschlossen:http://www.praguepost.com/world-news/42836-zeman-calls-kazakhstan-a-priority-for-czech-business, die Teil der vom Kreml forcierten "Eurasischen Union" sein soll.

Washington reagierte mit massiver öffentlicher Kritik, etwa durch den republikanischen Hardliner John McCain, auf diese zaghaften Versuche einer politischen Umorientierung. Bei einer Staatsvisite in den Vereinigten Staaten ist Premier Sobotka zudem massiv unter Druck gesetzt worden, den neuen außenpolitischen Kurs zu revidieren, wie Die Welt berichtete:

Dieser neue Kurs wird jetzt im tschechischen Außenamt durch den 1. stellvertretenden Minister Petr Drulák fortgesetzt. Premier Sobotka, unter dem Eindruck der offenen Kritik seiner amerikanischen Gastgeber, rief aus Washington per Interview den in Prag sitzenden Drulák zur Ordnung. Drulák habe sich "als Angestellter der Regierung" auch an die Beschlüsse dieser Regierung zu halten. Sobotkas Vorgehensweise ist höchst ungewöhnlich. Welcher Premier rüffelt schon aus dem Ausland einen stellvertretenden Ressortchef im fernen Prag? Am Ende, so spottete die konservative "Lidové noviny", habe der USA-Aufenthalt Premier Sobotka zu einem "Havelianer" gemacht.

Die Welt

Am 21. November hat Sobotka sogar den tschechischen Staatschef öffentlich wegen seiner prorussischen Äußerungen kritisiert. Der Präsident hätte einige seiner öffentlichen Äußerungen zuvor mit der Regierung absprechen sollen, so der zum prowestlichen "Havelianer" bekehrte Ministerpräsident.