Lettische Nationalkonservative und ukrainische Faschisten träumen vom "Intermarium"

18. November Fackelzug der "Nationalen Allianz" mit über 15.000 Teilnehmern in Riga (2015). Bild: Statistiķis / CC-BY-SA-3.0

Politiker der Nationalen Allianz geben sich als demokratische Saubermänner, doch ihre Kontakte zu britischen und ukrainischen Rechtsextremisten entlarven das allzu fragile Image

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1. Die Nationale Allianz und der britische Gast vom 16. März

Der 16. März hat im Veranstaltungskalender der lettischen "Nationalen Allianz" (NA) seinen festen Platz. Es ist der Tag der SS-Legionäre, an dem alljährlich die letzten hoch betagten Veterane und deren Anhänger nach einem Gottesdienst im Dom durch Rigas Altstadt bis zum Nationaldenkmal ziehen, auf den letzten Metern durch ein lettisches Fahnenspalier, das jugendliche Mitglieder der politischen Gruppierung "Visu Latvijai" (Alles für Lettland) bilden, des radikalsten Teils des rechten Bündnisses, das seit 2011 Teil der lettischen Regierung ist.

Die NA stilisiert die Legionäre, die meistens zwangsrekrutiert, aber auch freiwillig an der Seite von SS und Wehrmacht kämpften, als antibolschewistische Freiheitskämpfer, die die erneute Besatzung durch die Rote Armee verhindern wollten. Dass sich unter ihnen auch Angehörige der Polizeibataillone befanden, die Mordaktionen und Brandschatzungen der deutschen SS-Täter flankierten, passt nicht in die Erinnerungskultur der Rechtsradikalen. Die Kollaboration mit den deutschen Besatzern ist in weiten Teilen der lettischen Gesellschaft tabu.

Vertreter der Exilorganisation "Daugavas Vanagi", die den Marsch der Legionäre organisiert, weisen die internationale Kritik zurück und sehen sich als Opfer russischer Propaganda. Die wenigen Antifaschisten, die gegen den Aufmarsch protestieren, haben in der lettischen Öffentlichkeit das Ansehen von Störenfrieden, die von Moskau bezahlt werden. In diesem Jahr wird der fragwürdige Umzug durch die Innenstadt wohl nicht stattfinden - nicht wegen eines plötzlichen antifaschistischen Gesinnungswandels der Verantwortlichen, sondern weil dank Corona-Virus` auch hierzulande größere Veranstaltungen ausfallen.

Die Politiker der Nationalen Allianz sind trotz ihrer Beteiligung am 16. März um ein gemäßigtes Image bemüht, doch das hat beträchtliche Risse. Im November 2019 berichtete das LTV-Magazin "De Facto" über die Kontakte des jungen NA-Generalsekretärs Raivis Zeltits zu einem britischen Rechtsextremisten. Der Hitler-Verehrer, Antisemit und Rassenkrieger Benjamin Raymond besuchte im Frühjahr 2015 seine lettischen Gesinnungsfreunde. Auf der inzwischen verbotenen Neo-Nazi-Plattform "Iron March" hatte er die "National Action" gegründet, die von britischen Behörden als terroristische Organisation eingestuft wird. Nach seiner Reise in die lettische Hauptstadt veröffentlichte Raymond ein Foto, das ihn im Parteibüro der NA zeigt. Doch davon will Zeltits erst später erfahren haben.

Die De-Facto-Redaktion fand allerdings ein weiteres Foto, das Raymond und Zeltits zeigt, wie die beiden Seite an Seite am Marsch der SS-Legionäre teilnehmen. Die Journalisten recherchierten zudem, dass Zeltits seit 2012 auf "Iron March" registriert war und sich darauf mit Raymond austauschte. De-Facto zitiert aus einem Text, den Zeltits in dieser virtuellen Begegnungsstätte für Neonazis hinterließ. Die Sätze des Generalsekretärs entlarven die Strategie der NA: "Einige Prominente haben sich unserer Partei angeschlossen - Sportler, Sänger, Journalisten. Viele von ihnen sind keine Nationalisten, einfach Patrioten, doch sie nützen unserem Image. Denn wir werden oft als Faschisten dargestellt, als ob das was Schlechtes wäre." Vor der Kamera distanzierte sich Zeltits von seinen damaligen Auffassungen, er sei damals jünger und radikaler gewesen.

Raivis Dzintars, Gründer von Visu Latvijai und NA-Fraktionsvorsitzender, verteidigte Zeltits und beschwerte sich, dass die LTV-Journalistin das Thema aufgegriffen hatte: "Sie reden gerade über eine Frage, die aktuell für niemandem von Belang ist und die keinen Einfluss auf das politische Geschehen hat. Sie behandeln ein sinnloses Thema. Weder ich noch der Vorstand der Nationalen Allianz kennen diesen Menschen, es interessiert nicht, wie er ins NA-Büro geraten konnte." In einem eigenen Beitrag beklagte sich Dzintars über vermeintliche Medien-Manipulationen, die gegen die eigene Partei gerichtet seien: "Jene, die mit der NA kleine Kinder erschrecken, benötigen gar keine Wahrheit, sie sind sich ebenso gewiss, dass 'sie alle Faschisten, Terroristen, Insovenzverwaltermafia1 usw. Sind". Falls sie sich wirklich für die Ansichten von Raivis Zeltits interessierten, würden sie in einem von ihm geschriebenen Büchern nach ihnen suchen."

2. Zeltits' Auffassungen

Tatsächlich hat sich auch der Autor dieser Zeilen nicht dazu bequemt, Zeltits' Bücher zu lesen; er weiß aber, welche Sachbücher anderer Autoren der Generalsekretär seinen Anhängern zur Lektüre empfiehlt. Neben den Publikationen seines Parteichefs Dzintars, "Positiver Nationalismus" und "Viertes Erwachen" sowie Samuel P. Huntingtons "Kampf der Kulturen" auch Oswald Spenglers "Untergang des Abendlands", ein Standardwerk der Neuen Rechten. Der junge Politiker gibt seine Überzeugungen auch in einer Vielzahl von Artikeln preis, die im Internet zu finden sind.

Am Jahresende 2019 gab Zeltits einen Ausblick auf die bevorstehenden zwanziger Jahre: "Damit das kommende Jahrzehnt unseres ist!", so betitelte er seinen Beitrag auf der NA-Webseite. Dabei sind schon die Zehner-Jahre, die die NA politisch mitbestimmte, seitdem sie der heutige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis 2011 in sein Kabinett bat, ganz nach Zeltits' Geschmack verlaufen: Der lettische Patriotismus sei sichtbar gewachsen, sowohl in der Musik, im Kino, beim alltäglichen Gebrauch lettischer Symbole und natürlich auch in Taten.2 Doch für Zeltits ist der Kampf der Nationalisten noch nicht gewonnen. Die ideologische Offensive der "Globalisten" halte an, also jener, die die traditionelle Familie und das "natürliche Verständnis" von Geschlechtlichkeit angriffen, jener, die er für die "Welle der Massenimmigration" verantwortlich macht. Als Reaktionen seien der Brexit, die Wahl Trumps und die Stärkung nationaler Bewegungen erfolgt.

Im Interview seiner Parteifreundinnen Dace Kalnina und Laila Ozolina beschreibt Zeltits die vermeintlichen Feinde Europas konkreter. Geschickt vermischt er - nachvollziehbare - Globalisierungskritik mit migrationsskeptischen Positionen. In Brüssel gebe es Personen, die die Interessen bestimmter "Unternehmen, transnationaler Organisationen und auch einzelner Großmächte" vertreten und die den Politikern entsprechende Angebote machten. Jene, die sich für die Aufnahme von Migranten einsetzen (Das Wort "begli", Flüchtlinge, lässt Zeltits in Anführungszeichen setzen, als gäbe es keine wirklichen), hält der NA-Generalsekretär für wenig tiefsinnig und für gekauft. Denn jene, die über Migration tatsächlich nachgedacht hätten, könnten sich nicht auf das Niveau fanatischer "Welcomisten" begeben.

Er nennt Peter Sutherland als Beispiel, den im letzten Jahr verstorbenen UN-Sonderberichterstatter für Migration. Zeltits beschreibt ihn als einen Vertreter des großen Geldes. Sutherland, der Migration für einen wichtigen Wirtschaftsfaktor einzelner EU-Länder hielt, sei als Aufsichtsratsvorsitzender von Goldman Sachs und für British Petroleum tätig gewesen.

Dieselbe Person äußerte die Ansicht, dass die EU-Staaten zu homogen sind und mit Immigranten 'verdünnt' werden müssten. Den Zusammenhang zwischen dem großen Business und Immigration kann niemand übersehen, der beginnt, sich in die Sache zu vertiefen. Natürlich ist allen George Soros bekannt, der erklärte, dass nationale Staatsgrenzen ein Hindernis, Immigration hingegen das Ziel ist. Hinter dem Ganzen steckt ein sehr zynisches Kalkül. So soll man in Europa billigere Arbeitskräfte einführen, um mit der Dritten Welt zu konkurrieren, die Standards für den Arbeitsschutz vermindern und im Durchschnitt derart entlohnen, das - natürlich - die Mittelschicht und Europas Jugendliche Schaden nehmen. Kein Journalist oder Experte - klar doch - verliert seine Arbeit - die Immigranten bedrohen ja nicht deren Arbeitsplätze.

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Hier beginnt ein lettischer Ethnopluralist jene Fragen auf seine Weise zu behandeln, die sich eine europäische Linke, falls sie denn existierte, hätte selber stellen müssen - ohne sie mit jener inhumanen Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal Fremder, die dem eigenen Volk und Kulturkreis als angeblich nicht zugehörig betrachtet werden, zu beantworten, jene Indolenz gegenüber den vermeintlich Andersgearteteten, die allen rechtsradikalen Texten, auch jenen Zeltits', anhaftet: Grenzüberschreitende Migration kann (müsste bei entsprechender internationaler Regulierung aber nicht) die Konkurrenz unter Lohnabhängigen vermehren, Brain Drain und Lohndumping bewirken.

Die vordergründige Kapitalismuskritik ist allerdings nur ein Vehikel, um das zu formulieren, um was es Zeltits eigentlich geht:

Klar, es gibt auch die Idee, die ethnische Homogenität der Staaten zu verringern, denn die nationale Identität und jegliche wirkliche Identität ist allgemein ein Hindernis für die Gestaltung einer idealen Konsumentengesellschaft, deren einziger Wertmaßstab das Kaufen und Verkaufen und deren einzige empfohlene Beziehung jene zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wäre. Es lässt sich über 'Vielfalt' reden, doch eine wahre globale Vielfalt und ein gesunder Austausch der Kulturen benötigt lokale Homogenität und deren eigenen Raum, in der die Identität sich entwickeln kann und selbst ihre einzigartige Art der Selbstbekundung findet. Doch dem Kapital sind die Hürden für den freien Geldverkehr und den Zustrom von Arbeitskräften nicht genehm.

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3. Osteuropäische Rechtsradikale träumen vom "Intermarium"

Zeltits sieht die EU nach dem Brexit in einer noch nicht dagewesenen Krise: Die Wirtschaft stagniere, die Elite sei ideologisch aggressiv und leugne die Werte, die zu den Grundlagen der europäischen Zivilisation gehörten.

Der 'Islamische Staat' führt seine Rachefeldzüge und unternimmt unzählige Angriffe. Deutschland und Frankreich schauen in die Richtung Russlands und ihre geopolitische Strategie steht im Gegensatz zu unseren Interessen. Litauer und Esten sind unsere Brudervölker. Die Visegrad-Staaten sind die Stimme der Vernunft im heutigen Europa. Die Ukraine ist Europas Schutzweste. In diese Richtung muss die Zusammenarbeit gestärkt und gestaltet werden!

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Um in diese Richtung voranzuschreiten schreibt Zeltits für die englischsprachige Webseite "thenewnationalism.com". 2017 frohlockte er auf dieser Plattform, die die osteuropäische Rechte vereinen soll, dass die liberale und sozialistische Hegemonie des Westens mit dem Brexit und der Wahl Trumps einen Schlag erhalten habe, von dem sie sich nicht mehr erholen werde. Es sei gewiss keine Frage, ob der Nationalismus zurückkehren werde, denn er sei schon da.

Er warnt davor, dass ein neuer europäischer Nationalismus zur Geisel geopolitischer Akteure werden könnte. Russland benutze ihn in seinem Kampf gegen die USA und Europa. Für Putin, der eine Art Neo-Stalinismus betreibe, sei ein taktischer Nationalismus ein notwendiges Übel, ein Werkzeug im Kampf um die globale Hegemonie. Dabei scheint für Zeltits das multiethnische Russland zu einem wahrhaftigen Nationalismus gar nicht fähig zu sein: "Das schafft zugleich eine schizophrene Situation für ein Land, das von zuhause aus multikulturell ist und das den Nationalismus seiner Nachbarländer als 'Faschismus''bekämpft. Leute des Regimes wie Dugin sind bemüht, diese Schizophrenie zumindest in den Augen ausländischer Rechter mit der Ideologie des Eurasianismus zu verbergen."

Hinter Putins taktischem Nationalismus steckten keine realen Werte und er vertrete nicht die Interessen europäischer Nationen, die auf dem ethnischen Prinzip, auf dem Werteprinzip der Bürger und auf dem Erbe der europäischen Kultur basierten. Europäischer Nationalismus müsse von den Europäern selbst angeführt werden, nicht von außen (damit sieht Zeltits Russland außerhalb von Europa). Da der Westen Europas der Spenglerschen Dekadenz preisgegeben ist, bleiben nur die Mittelosteuropäer als Bannerträger eines zukünftigen Bollwerks europäischer Kultur und Zivilisation.

Da kommt eine Idee zupass, die sich vor hundert Jahren der polnische Politiker und Diktator Jozef Pilsudski ausgedacht hatte und die der derzeit amtierende Staatspräsident und PiS-Politiker Andrzej Duda bei seinem Amtsantritt als "Drei-Meere-Initiative" (Ostsee, Adria, Schwarzes Meer) wieder aufwärmte: Ein Intermarium unter polnischer Führung, eine militärische und wirtschaftliche Allianz der nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten osteuropäischen Staaten als Nachfolger der alten Union Polen-Litauens der frühen Neuzeit, die sich bis zum Schwarzen Meer erstreckte und die auch die übrigen baltischen Provinzen, die Gebiete Weißrusslands und der Ukraine umfasste.

Ein solcher "Cordon Sanitaire" gegen das Deutsche Reich und gegen die Sowjetunion wäre von Frankreich in den zwanziger Jahren unterstützt worden; doch derartige Allianzen scheiterten nicht zuletzt an Polen selbst, weil es sich während der Zwischenkriegszeit mit den neu gegründeten Nachbarländern Grenzstreitigkeiten lieferte.

Zeltits stellt sich ein solches Intermarium als zukünftigen Kern Europas vor. Die mittelosteuropäischen Länder hätten lange Erfahrungen mit den vermeintlichen "Werten" des Ostens [=Russlands]. "Daraus ergibt sich eine Vitalität, die Westeuropa vollständig fehlt und eine Tradition des nationalen Widerstands, den wir nun in der Politik Polens und Ungarns gegen die europäischen Kommissare beobachten können."

Für das Intermarium sei eine "freie" Ukraine entscheidend: "Die Ukraine-Frage ist eine fundamentale - ohne eine freie Ukraine, die Ukraine als ein geopolitischer Spieler - das Ziel ukrainischer Nationalisten - gibt es kein freies Intermarium und keine Hoffnung für Europas Zukunft." Die freie Ukraine ist selbstverständlich eine antirussische, ganz nach dem Geschmack des faschistischen Asow-Bataillons, das an der Seite der ukrainischen Armee gegen die von Russland unterstützten Rebellen im Osten kämpft.

4. Lettische Nationalkonservative und ukrainische FaschistInnen

Die investigative Webseite "re:baltica.lv", die u.a. von Soros' Open Society finanziert wird, recherchierte die Kontakte von NA-Politikern zu den ukrainischen Rechtsextremisten des Asow-Bataillons. Diese Truppe geriet 2014 in die deutschen Schlagzeilen, als sie in einem ZDF-Bericht unverfänglich als "ukrainische Miliz" bezeichnet wurde, den Zuschauern dabei allerdings nicht entging, dass deren Kämpfer vor der Kamera Uniformen mit Nazi-Abzeichen trugen. Mittlerweile hat sich Asow zu einer politischen rechtsextremistischen Bewegung mit Tausenden von Anhängern weiterentwickelt. Deren faschistische Aktivisten halten Kontakt zu ausländischen Gesinnungsfreunden, auch zu deutschen Gruppierungen.

Die Re:Baltica-Journalisten berichten, dass NA-Politiker im Sommer 2017 in der lettischen Botschaft in Kiew eine Ausstellung über das Leben und die geopolitischen Ansichten des Generals Peteris Radzins (1880-1930) organisierten. Radzins wurde als lettischer Befürworter der Intermariums-Idee präsentiert. Der lettische General kämpfte nach der Oktoberrevolution in der Armee des ukrainischen Nationalisten und Militärs Pawlo Skoropadsky, der mit Unterstützung der Mittelmächte und im Kampf gegen die Sowjetunion erstmals einen ukrainischen Staat gegründet hatte.

Die Webseite thenewnationalism.com zitiert aus Zeltits' Grußwort zur Ausstellung:

Was sollen die baltischen Staaten tun? Euroföderalisten zögern bei der Idee, dass die Ukraine der EU beitreten könnte - dem Staat der eine Revolution anführte und im Namen Europas Blut vergoss. Wir müssen der Ukraine helfen, weil das moralisch ist und in unser aller Interesse liegt. Wir müssen auch Visegrad helfen, weil es eine Europäische Union verteidigt, in der nationale Identität respektiert wird. Wir wollen nicht blindings den Brüsseler Föderalisten folgen, denn wir sind selbst Europäer, nicht weniger als jene in Brüssel. Und wir können das kommende Europa schaffen. Wir wollen weder den Turm von Babel [=Westeuropa] noch die Türme des Kremls. Wir wollen nur Letten sein und es bleiben.

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Thenewnationalism.com nennt zudem die illustre Runde, die sich zur Eröffnung der Radzins-Ausstellung in der lettischen Botschaft einstellte: Neben dem Hausherrn, dem Botschafter Juris Poikans, Vertreter der Internationalen Initiative zur Unterstützung der Ukraine, des Verbandes ukrainischer Offiziere, des Kongresses der Ukrainer in Lettland, ukrainischen Historikern und Kulturschaffenden auch die Riege des ukrainischen Rechtsextremismus: Mitglieder des Asow-Partei National Corps, Swoboda und des Kongresses Ukrainischer Nationalisten sowie ein lettischer Freiwilliger des Rechten Sektors. Hauptorganisator der Ausstellung war das NA-Mitglied und Vorsitzender der General-Peteris-Rudzins-Gesellschaft, der lettische Offizier Agris Purvins. Die Kontakte zum politisch rechten Rand der Ukraine hatte das NA-Mitglied Dace Kalnina hergestellt.

Purvins und Kalnina unterhalten enge Kontakte zur ukrainischen Historikerin Olena Semenyaka. Die Asow-Aktivistin firmiert als internationale Sekretärin der National Corps. Sie sieht ihr Land in einer Reconquista, also in einem Befreiungskampf, der an die christliche Rückeroberung Spaniens gegen den Islam erinnert. Laut Re:Baltica betrachten Asow-Aktivisten die Ukraine als neues Andalusien, wo die Befreiung Europas von Migranten, Liberalen und Kosmopoliten beginnt. Im Asow-Radio "Reconquista Live" stellte sich Semenyaka einen Befreiungskrieg vor, der nicht auf die Ukraine begrenzt stattfinden soll: "Die Parole der Reconquista lautet - Ukraine heute, Russland und den Rest Europas morgen."

Mit den Kontakten zu Asow-AktivistInnen verlassen die sich in der lettischen Öffentlichkeit harmlos und gemäßigt gebenden NA-Politiker den demokratischen Sektor und knüpfen auf Kongressen, Konferenzen, Konzerten und wechselseitigen Visiten fragwürdige Kontakte zwischen Rechtsextremisten, offiziellen lettischen Vertretern und lettischen Militärs. Semenyakas enger Kampfgefährte ist Aleksey Levkin. Re:Baltica beschreibt ihn als Exilrussen, der wegen einer Mitgliedschaft in einer Nazi-Gang, die zentralasiatische Migranten ermordete, in seiner Heimat eine Haftstrafe verbüßte. Levkin gründete die Plattform "Wotanjugend", auf der er eine russische Übersetzung vom "Manifest" des Christchurch-Attentäters veröffentlichte. Nach Protesten der neuseeländischen Regierung verschwand es wieder von Levkins Webseite.

Die Regierung Putins hält der Hitler-Freund für neobolschewistisch und russophob. 2014 schloss er sich wie Dutzende anderer russischer Rechtsradikaler dem Asow-Bataillon an. Semenyaka beschreibt ihren Gesinnungsgefährten als "russischen Freiwilligen des Asow-Regiments", der für dessen "ideologische Schulung" verantwortlich sei.

Levkin ist zudem Mitglied der Rechtsrock-Band "М8Л8ТХ", die sich laut Wotanjugend dem Lobgesang auf den esoterischen Hitlerismus widmet. Levkin und Semenyaka organisieren jährlich das nationalsozialistische Black-Metall-Festival "Asgardsdrei" in Kiew. 2016 fand im Rahmen dieses Nazi-Rock-Spektakels die Konferenz "Stahlpakt" statt, benannt nach dem Bündnis Hitlers und Mussolinis im Jahr 1939. Europäische und us-amerikanische Rechtsradikale konferierten, um das zukünftige Intermarium zu erörtern. Laut thenewnationalism.com beteiligte sich auch der NA-Politiker Agris Purvins, der einen Vortrag zum Thema "Intermarium - Die zivilisatorische Festung Europas" gehalten habe - Purvins bestreitet jedoch gegenüber den Re:Baltica-Journalisten, selbst auf der Konferenz geredet zu haben. Dafür habe er keine Zeit gehabt, nur am Festival teilgenommen, seinen Text von Semenyaka vorlesen lassen.

Nach der Sympathie der ukrainischen Veranstalter für den deutschen Nazismus befragt, meinte Purvins, man könne Nazi-Deutschland nicht einfach schwarz-weiß zeichnen: "Sogar in der Sowjetunion war nicht alles schlecht - sie hatte die beste Eiscreme. Gleiches gilt für Deutschland." Die Asow-Truppe erinnert ihn an die eigene Jugend in der Zemessardze, der lettischen Nationalgarde.

Zwar zeigte sich der NA-Politiker über den Antisemitismus der Asow-Bewegung entsetzt, doch nach seinen politischen Einschätzungen befragt, entpuppt sich so manches in seiner sozialdarwinistischen Weltanschaung mit Ganz-Rechtsaußen vereinbar. In der Geschichte habe es ständig Streit zwischen Nationen und Religionen gegeben: "Es ist der Stärkere, der gewinnt. Dies ist die Essenz der menschlichen Natur. Gehe in den Wald und du siehst wie die Bäume und Büsche um einen Platz an der Sonne kämpfen." Und gemäß Björn Höckes "afrikanischen Ausbreitungstyps" fürchtet Purvins die rasche Vermehrung von Afrikanern und Muslimen; auch die Migration nach Europa betrachtet er als Teil des Lebenskampfes, der zu einem brutalen "interrassischen Konflikt in naher Zukunft" führen könne. "Wenn es nicht genug Lebensmittel und Ressourcen gibt, wird es einen entsetzlichen Krieg geben."

Leute verschiedener Rassen sollten getrennt leben. In der lettischen Kleinstadt Dobele habe er sich schlecht gefühlt, als er neben Romas wohnte. Für Neonazismus macht er jene verantwortlich, die die Immigration von Farbigen in den westlichen Ländern befürworten. "Die schwarze Rasse hat sich in großer Zahl angesiedelt, und sie sehen nun, wie der Nazismus in Ostdeutschland aufkommt, wie sie beginnen, über Hitler zu sprechen." Und auch den rechtsextremistischen Terror verantwortet für ihn die Pro-Immigranten-Politik des Westens: "Das wird vom System verursacht. Ich erinnere mich, an Militärübungen in Norwegen am Ende der 90er Jahre teilgenommen zu haben. Damals betrug der Anteil der Fremden unter zwei Prozent, doch nun gibt es ganze Ladungen von ihnen. Breivik ist die Folge."

Re:Baltica berichtet von einem weiteren Rechtsrockfestival in Kiew im September 2018, auf denen Kalnina und Semenyaka Ansprachen hielten. Dort trat die ukrainische Band Sokyra Peruna auf, die ein Hakenkreuz im Logo und die Songs wie "Helden der weißen Rasse" oder "Ehre den Skinheads der Großen Rus" im Repertoire hat. Ein paar Tage später lud Kalnina ihre Gesinnungsgefährtin Semenyaka nach Riga ein und zeigte ihr das lettische Parlament. Im südlettischen Bauska hielt der ukrainische Gast einen Vortrag über eine Militärdoktrin, die osteuropäische Staaten unabhängig von EU und Nato beschließen sollten.

Zu den lettischen Gastgebern gesellte sich Offizier Purvins, der Semenyaka Hilfe anbot, um Kontakte zwischen Asow und dem lettischen Militär in die Wege zu leiten. Purvis pflegte schon zuvor Beziehungen zur ukrainischen Rechten. Er hatte einer Asow-Basis in der Ostukraine und der Yevhen-Konovalets-Schule in Kiew, an der Asow seine Offiziere ideologisch unterweist, einen Besuch abgestattet. Im Mai 2018 lud Purvins wiederum eine Konovalets-Delegation, die Schulleiter Kyrillo Berkal anführte, nach Lettland ein.

Die ukrainischen Gäste trafen sich zum Kaffeplausch mit dem lettischen Generalstab, besuchten eine Basis der lettischen Nationalgarde und sprachen mit deren Befehlshaber Arturs Maksis. Vor der Rigaer Burg, dem Sitz des lettischen Staatspräsidenten, enthüllte lettisch-ukrainische Runde eine Gedenktafel für General Radzins. Berkal appellierte an Balten und Ukrainer, gemeinsam eine machtvolle militärische und wirtschaftliche Allianz nach dem Modell des mittelalterlichen Großfürstentums Litauen zu schaffen. Gegenüber Re:Baltica zeigte sich Purvins selbst überrascht, dass der lettische Generalstab keine Einwände erhob und er den Besuch leicht organisieren konnte.

Martthew Kott beschreibt in einem Beitrag, der die historische Entwicklung des Intermarium-Konzepts und dessen Beschlagnahmung durch die extreme Rechte skizziert, die Funktion von Lettlands Rechtsradikalen im europäischen Zusammenhang: Lettlands rechtsradikale Gruppen könnten trotz ihrer zahlenmäßig geringen Bedeutung eine unverhältnismäßg große Rolle in der Übertragung radikaler Ideologien vom Osten in den Westen haben und umgekehrt.

Außerdem macht Letttlands geopolitische Lage und kulturelle Verfassung es zu einem idealen Einfallspunkt für ideologische Konflikte, die aus dem ferneren Osten importiert werden und seine Mitgliedschaft in der EU und Nato erlaubt es ihm, als Trojanisches Pferd zu agieren, um die Schlagkraft der Rechtsradikalen in der euro-atlantischen Gemeinschaft zu erhöhen. Die Sache des Intermariums ist ein anschauliches Beispiel, wie tief rechte Elemente in Lettlands politischem Establishment verankert sind, die auf europäischer Bühne einigen der extremsten Gruppen der ukrainischen Politik Raum geben und legitimieren.Martthew Kott

Nähren kann sich dieser Rechtsextremismus an den Versäumnissen der europäischen Sozialdemokratie, die ins Progressiv-Neoliberale, also unkritisch Globalisierungsfreundliche, mutierte und daher berechtigte Fragen der früheren linken Anhängerschaft nicht mehr zu stellen wagte. Nun werden sie von Rechtsradikalen gestellt und sie finden ihre eigenen Antworten.

Konstatins Pupurs war ein lettischer Nationalist der ersten Stunde, der landesweit bekannt wurde, als er Ende der 80er Jahre die lettische Nationalflagge, die zur Sowjetzeit verboten war, vom Nationaldenkmal zum Ehrenfriedhof der lettischen Hauptstadt getragen hatte. Dann führte er ein wechselvolles Leben als Student, Burschenschaftler der Korporation Fraternitas Lataviensis, politischer Aktivist, Jobber, Matrose in einer Handelsflotte; er wechselte seinen Wohnort mehrmals zwischen den USA und Lettland. Ab 2004 diente er sich in der US-Marine bis zum Rang eines Leutnants hoch. Nach seiner erneuten Rückkehr nach Riga wurde er 2011 Dozent an der Rigaer Schifffahrtsakademie und trat der damals noch selbstständigen rechtsradikalen Partei Visu Latvijai bei.

Kurz vor seinem Tod fuhr Pupurs im März 2017 nach Budapest, um an einer Konferenz der antisemitischen Jobbik-Partei teilzunehmen, deren pro-russische und Putin verehrende Ausrichtung im krassen Gegensatz zu den ukrainisch orientierten Rechtsradikalen Osteuropas steht. Pupurs unterzeichnete eine Erklärung, der sich auch rechte Parteien aus Estland und Bulgarien, ein Vertreter der polnischen Gewerkschaft Solidarnocs und Einzelpersonen anschlossen. Ob Pupurs stellvertretend für die Nationale Allianz unterzeichnete, ist umstritten. Laut Lsm.lv-Journalisten Aleksejs Dunda will er die NA-Führung informiert haben, was der Mitvorsitzende Dzintars bestreitet. Die Kooperation mit einer "Pro-Kreml-Partei" ist für lettische Nationalkonservative eigentlich undenkbar.

Aufschlussreich für die politischen Verhältnisse in Europa ist, was Pupurs in Budapest auf der Jobbik-Konferenz unterzeichnete: Eine Protestdeklaration gegen die krassen Lohnunterschiede zwischen West- und Osteuropa, also eine Forderung, die dem Gewerkschaftsmotto "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" folgt.