Libanon vor einem Bürgerkrieg?

Nach dem Aufruf zu einem Generalstreik für einen höheren Mindestlohn brachen die Kämpfe aus

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Es begann mit einem Streik für höhere Löhne und endete mit brennenden Barrikaden, Straßensperren und Schusswechsel. Seit zwei Tagen bestimmen bürgerkriegsähnliche Zustände Beirut und Teile des Libanon.

Am vergangenen Mittwoch wollte die libanesische General Labor Confederation (GLC) mit einem Generalstreik ihrer Forderung nach einem höheren Mindestlohn Nachdruck verleihen. Statt der bisher 200 Dollar will man 600 Dollar im privaten wie öffentlichen Sektor. Der Streik, der hauptsächlich von Arbeitnehmern und Firmen in schiitischen Stadtteilen befolgt, mündete bald in gewalttätigen Auseinandersetzungen. Sympathisanten von Hisbollah sperrten die Zufahrtsstrasse zum internationalen Flughafen Beirut und bauten Barrikaden in anderen Vierteln Beiruts. Danach eskalierte die Situation und Milizen verschiedener politischer Parteien beschossen sich gegenseitig.

Seit zwei Jahren können sich die Opposition aus Hisbollah und christlicher Freier Patriotischer Bewegung nicht mit der Regierungskoalition von Premierminister Fouad Siniora auf nationales Einheitskabinett einigen. Die Lage ist so verfahren, dass nicht einmal ein neuer Staatspräsident gewählt werden konnte, obwohl Emile Lahoud bereits im November 2007 aus dem Amt schied (Der starke Staat im schwachen). Dass sich die Regierung bereit erklärte, die Löhne auf 330 Dollar zu erhöhen, ist unter diesen Umständen völlig untergegangen.

Nach dem ersten Tag der Auseinadersetzungen erklärte Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah auf einer Pressekonferenz, die Regierung habe seiner Organisation den Krieg erklärt. Das Kabinett hatte beschlossen, das Telekommunikationssystem von Hisbollah zu verbieten und zu demontieren. In seiner Ansprache erklärte Nasrallah, jede Organisation brauche in einem bewaffneten Konflikt ein Kommunikationssystem. Das sei zum Überleben erforderlich. „Drahtlose Systeme sind nicht abhörsicher, deshalb bauen wir auf konventionelle Kabelverbindungen, über die wir im Krieg 2006 mit unseren Kommandos kommunizieren und den Sieg sichern konnten. Kommunikationssysteme sind wie Waffen und wer uns das Netzwerk wegnehmen will, dem hacken wir die Hände ab“.

Nasrallah nannte die Regierung eine „kriminelle Bande“, die im Auftrag der USA und Israel arbeitete. Als Beweis nannte er den Vorschlag der Regierung, die angeboten hatte, sobald Hisbollah das Protest-Zeltlager im Zentrum Beiruts abbaue, würde man die Sache mit dem Kommunikationsnetzwerk vergessen.

Wer gegen wen kämpft, ist nicht klar

Nach der Rede Nasrallahs intensivierten sich die Kämpfe in Beirut, aber auch im Norden Libanons, im Bekaa-Tal. Mindestens sechs Menschen wurden, laut dem Nachrichtenkanal Al-Dschasira getötet und 15 verwundet. Wer genau gegen wen kämpft, ist nicht klar. Büros und Wohnungen von Politikern sind Angriffsziele. Milizen liefern sich, wie schon im libanesischen Bürgerkrieg (1975 -1990), Straßenschlachten. Hauptkampfgebiet ist das hauptsächlich von Muslimen bewohnte Westbeirut.

Saad Hariri von der Zukunftsbewegung, die zur Regierungskoalition angehört, sprach von sektiererischen Konfrontationen zwischen Schiiten und Sunniten. Er forderte Hassan Nasrallah auf, sofort alle Blockaden aufzuheben, einen Präsidenten zu wählen und bei einem Treffen in einen nationalen Dialog zu treten. Eine Position, die wenig später Walid Jumblatt von der Progressiven Sozialistischen Partei in einer Erklärung unterstützte. Für Beobachter der libanesischen Politik alles nichts Neues und ziemlich wenig, wenn vor der Tür auf den Straßen gekämpft wird.

Mit Sicherheit ist die Miliz Saad Hariris an den Kämpfen beteiligt. Der Sohn des 2005 ermordeten Ex-Premier und Multimilliardär Rafik Hariri ist nicht der einzige führende Politiker, der den letzen beiden Jahren eine ihm treue Truppe aufstellte. Auch Drusenführer Walid Jumblatt hat, wie einst schon im Bürgerkrieg, erneut eine Miliz, von denen einige Wenige in Beirut sein Haus bewachen und der Grossteil in den Chouf-Bergen bereitsteht. Offensichtlich hat man sich bereits seit einiger Zeit auf einen bewaffneten Konflikt eingestellt (Im Libanon sind die Fronten verhärtet)..

Michel Aoun, der Führer der Freien Patriotischen Bewegung und Bündnispartner von Hisbollah in der Opposition, gab der Regierung die Schuld an der Eskalation. Er sprach von einem „nationalen Konflikt“ und wies jede sektiererische Komponente ab. „Es gibt keine Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten“, sagte der christliche Politiker, der als Gegner Syriens 15 Jahre in Paris im Exil verbringen musste. Die Regierung sei einfach stur und verlasse sich auf ausländische Mächte, meinte Aoun im libanesischen Fernsehen.

Für Nasrallah geht es um das Überleben von Hisbollah

Mit Anspielungen ließ es Hassan Nasrallah, wie schon erwähnt, nicht bewenden. Der Generalsekretär der Hisbollah nannte die libanesische Regierung Handlanger der USA und Israels. Seine Haltung ist letztendlich wenig überraschend. Nasrallah weiß, dass es ums Überleben seiner Organisation geht.

Seit dem Kabinettsboykott der Opposition setzt die Regierung um Premier Fouad Siniora auf die Einhaltung der Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrats, die die Entwaffnung von Hisbollah und aller anderen Milizen vorsieht. Das Verbot des militärischen Telekommunikationsnetzwerks der Hisbollah wird als erster Schritt zur vollkommenen Entwaffnung verstanden. Ein Indiz für die Haltung der Regierung gilt auch die Bereitschaft, sämtliche Daten der Überwachung am Beiruter Flughafen der CIA oder dem FBI zugänglich zu machen. Hintergrund der andauernden Hisbollah-Blockade des Flughafens.

Nicht zu vergessen die Kriegsschiffe der US-Marine, die vor der libanesischen Küste stationiert sind.

Ein Nachgeben kann es für Hisbollah nicht geben. Entsprechend wurden die Forderungen von Saad Hariri alle abgelehnt. Die Blockaden des Flughafens und der Verbindungstrasse aus der syrischen Hauptstadt Damaskus nach Beirut werden beibehalten und schneiden so die libanesische Hauptstadt vom Rest der Welt ab.

Die Frage ist nun, wer kann eine weitere Eskalation verhindern? Werden erneut Vermittler aus arabischen Ländern versuchen, der Pattsituation ein Ende zu bereiten? Wird Hisbollah alle ihr zur Verfügung stehendes Menschen und Waffen einsetzen oder es bei einem kalkulierten, kleinen Konflikt lassen? Wird die Regierung um ausländische Hilfe bitten und die USA in das Szenario eingreifen?

Saad Hariri hätte es bei seiner Ansprache in der Hand gehabt, alle diese Ungereimtheiten auszuschließen. Er hätte nur alle Milizionäre auffordern müssen, sofort und bedingungslos die Waffen niederzulegen. Wenn es keine Gegner gibt, dann kann auch niemand beschossen werden. Oder er hätte Verhandlungen anbieten können, wie man das Verbot des Hisbollah-Netwerks friedlich regelt. Nichts davon ist geschehen. Es scheint, als stehen die Zeichen auf Krieg.