Libyen im Proxy-War-Milizen-Schlamassel
Inhaftierte Migranten sollen dazu gezwungen worden sein, Waffen für Milizen zu säubern und zu reparieren. Der libysche Innenminister kündigt erneut an, dass drei Migranten-Haftzentren geschlossen werden
Ruanda will Migranten, die in libyschen Haftanstalten eingesperrt sind, aufnehmen. In Zusammenarbeit mit internationalen Hilfsorganisationen und der EU wird derzeit ein Notfallplan erarbeitet. Er geht zurück auf ein Angebot des ruandischen Präsidenten Paul Kagame, das dieser 2017 gemacht hat, wonach er bis zu 30.000 afrikanische Migranten aus Libyen im Verlauf mehrerer Jahre aufnehmen will.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind es 500 Migranten aus Libyen, die Ruanda aus den Lagern mit den inakzeptablen Bedingungen aufnehmen will, wie die Financial Times aus dem Außenministerium in Ruanda erfahren hat. Den Rahmen dafür bildet der sogenannte Notfall-Transit-Mechanismus (emergency transit mechanism), der von der Eu und der UN finanziert wird. Das wäre ungefähr ein Zehntel der etwa 5.000 Migranten, die nach Schätzungen der UN in den libyschen Lagern zum Teil gewaltsam und unter Todesdrohungen festgehalten werden.
70 Prozent unter ihnen, so übermittelt es die britische Zeitung, sind Flüchtlinge und Asylsuchende. Ein Teil von ihnen sei für ein Resettlement-Programm vorgesehen.
Dem Bericht über das Angebot aus Ruanda ist eine für Libyen typische Not bei der Suche nach Problemen aus einer verzweifelten Lage anzumerken. Vincent Cochetel, der Sondergesandte des UNHCR für Libyen, steht unter dem Druck, eine schnelle Lösung dafür zu finden, dass Migrantenlager geschlossen werden. Zumindest hat dies vor ein paar Tagen der Innenminister der international anerkannten libyschen Regierung, Fathi Bashagha erneut, angekündigt, nachdem das UNHCR gefordert hatte, möglichst alle Lager zu schließen und die festgehaltenen Migranten auf freien Fuß zu setzen.
Der Treuhandfonds der EU für Afrika und die Milizen
Anlass war ein Luftangriff Anfang Juli, der ein Migranten-Haftzentrum in einem Vorort von Tripolis traf und mindestens 40 Menschen tötete. Die internationale Empörung war groß. Die Forderung nach Schließung der Haftzentren für Migranten und der Freilassung der inhaftierten Migranten (UNHCR) kam schnell auf die Tagesordnung.
Zumal diese mit den dort herrschenden unmenschlichen Bedingungen ein erbärmliches Bild der Migrationspolitik in Libyen abgeben, für das auch die EU mitverantwortlich gemacht wird und viel Geld über den Treuhandfonds der EU für Afrika nach Libyen fließt.
Für den Luftangriff wurde der LNA-Miliz unter Befehl von Feldmarschall Khalifa Hafter verantwortlich gemacht. LNA-Vertreter schoben die Verantwortung allerdings auf ihre Gegner ab, da diese in der nächsten Umgebung Munitionslager unterhalten, auf die gezielt worden sei. Tatsächlich liegen in der Nähe des Migranten-Haftlagers Tajoura in der Peripherie von Tripolis mehrere Baracken der Miliz "Dhaman Brigade", die sich der Front des Regierungslagers, den Gegnern Haftars, angeschlossen hat.
In den Baracken sollen Waffen und Munition lagern. Nach Angaben von Migranten des Lagers Tajoura wurden sie von der Miliz dazu gezwungen, Waffen zu säubern und zu reparieren.
Geht es nach der Ankündigung des libyschen Innenministers Bashagha sollen neben dem Haftzentrum Tajoura auch zwei weitere Zentren in Misrata und Khoms geschlossen werden. Allerdings ist der - wiederholt geäußerten - Ankündigung eine Wirklichkeit entgegenzuhalten, in der das Lager Tajoura schneller repariert wurde, als dass die Migranten sämtlich in eine sichere Umgebung gebracht wurden (die Gefahr der Angriffe bleibt ja, solange in der Nähe Kriegsgerät hergestellt wird), und sich zum Beispiel bei der Schließung des Haftzentrums in Zintan, wo TBC-Fälle aufgetreten sind, trotz UN-Appellen, nichts tut.
Bei dem ganzen Schlamassel spielt, wie es Berichte immer wieder hervorheben, eine große Rolle, dass die Milizen, die teilweise schon unter Gaddafi eine halbstaatliche, sicherheitspolitische Funktion hatten, in ihrer Position gestärkt wurden. Sie sind letztlich Adressaten von lokalen Vereinbarungen, die etwa Italien unter der Vorgängerregierung getroffen hat, und sie profitieren - in Ermangelung starker institutioneller Kräfte - auch von Vereinbarungen, die etwa die EU mit der Nationalen Konsensregierung (GNA) schließt.
Der Schlüssel liegt bei den USA?
Wie man bei den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Haftars LNA-Miliz und der GNA sehen kann, hängt auch die Regierung hauptsächlich von einem Milizenverband ab, deren Loyalität der Libyen-Kenner Jalel Harchaoui treffend mit "merkurial" umschreibt. Harchaoui macht derzeit darauf aufmerksam, dass die Kämpfe zwischen Haftar und der Serradsch-Regierung derzeit auffällig oft über Luftangriffe ausgetragen werden. Ein Beispiel ist der Luftangriff auf die südlibysche Oase Mursuk, bei dem am Sonntag mindestens 43 Menschen ums Leben kamen.
Khalifa Haftar sollen den Angriff bestätigt haben und dabei vom Einsatz einer Drohne gegen "tschadische Rebellenführer" gesprochen haben. Laut einem taz-Bericht wird dem aber von Toubou-Führern widersprochen, deren Versammlung getroffen wurde. "Die Toubou im Süden und Osten Libyens sind die einzige Volksgruppe dieser Wüstenregion, deren Milizen sich der LNA-Autorität verweigern", heißt es dazu in der taz.
Für den oben erwähnten Libyen-Beobachter Harchaoui ist auch ein andere Punkt bemerkenswert. Seiner Einschätzung nach haben weder die LNA noch ihre gegnerischen Milizen die Kapazitäten solche Luftschläge auszuführen, stattdessen, so seine Einschätzung, würden "ausländische Staaten die Luftangriffe ausführen, deren Zeuge Libyen gerade ist".
Bestätigt wird diese These im Ansatz von Arnaud Delalande, der den "Luftkrieg über Libyen" verfolgt. Seinen Beobachtungen nach zerstören die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate gegenseitig ihre Waffen für den Luftkrieg, die sie nach Libyen geschickt haben. Das Stichwort dazu lautet "Proxy War". Solange dieser anhält - und ein Ausgang ist derzeit nicht absehbar - hat, wie man dies bei anderen "Proxy Wars" erfahren hat, die militärische Lösung den Vorzug. Für eine geordnete und humane Migrationspolitik sind das sehr schlechte Voraussetzungen.
Für Harchaoui, der kürzlich eine gut lesbare, relativ knappe Arbeit über die Dynamik des Stellevertreterkrieges in Libyen veröffentlicht hat - wo für Interessierte auch die wesentlichen Milizenakteure dargestellt werden -, liegt der Schlüssel für den Weg zu geordneteren Verhältnissen bei den USA.
Die etwas überraschende These wird damit begründet, dass die auswärtigen Staaten, die sich am Krieg zwischen Haftar und den Milizen der Gegenseite beteiligen, Verbündete der USA sind, so die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei. Russland legt nach wie vor Wert darauf, sich in Libyen zurückzuhalten.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Inhalt geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.