Libyen: Tote bei Angriff auf Migranten-Haftzentrum
Migranten dorthin zurückzubringen, setzt sie lebensbedrohlichen Risiken aus. Wer stoppt die Kriegsparteien? Russland?
Mehr als 40 Insassen eines Flüchtlingslagers in einem Vorort der libyschen Hauptstadt Tripolis wurden bei einem Militär-Angriff getötet, mindestens weitere 80 Menschen wurden verletzt. Wer für den Angriff verantwortlich ist und warum er das Haftzentrum für Einwanderer (Immigration detention centre) in Tajoura traf, wurde noch nicht geklärt.
Bestätigt wird mit diesem Angriff, was sich aus unterschiedlichen Gründen schon seit längerem aufdrängt: Wenn die libysche Küstenwache Migranten, die sie vor der Küste gerettet oder aufgegriffen hat, ins Land zurückbringt, setzt sie sie lebensbedrohlichen Risiken aus. Libyen hat keine sicheren Häfen.
Die ins Land zurückgebrachten Migranten kommen meist, wenn sie "Glück" haben, in Haftzentren, die dem libyschen Ministerium für die Bekämpfung der illegalen Migration (DCIM) unterstehen. Derzeit sollen dort 6.000 Menschen untergebracht sein. Wie die relativ kleine Zahl gegenüber den Zehntausenden, die häufig als Schätzung der Zahl der Migranten in Libyen zu lesen sind, schon andeutet, gibt es darüber hinaus auch Lager, die ohne ein Minimum an offizieller Aufsicht von privaten Milizen geführt werden, welche die Situation der Migranten gnadenlos ausbeuten.
"Fehler der Internationalen Gemeinschaft"
Geht es nach der irischen Journalistin Sally Hayden, von der die genannte Zahl stammt, so liegt auch in den von der DCIM-geführten Lagern vieles im Argen. Sie schildert unerträgliche, krankmachende Zustände. Hayden steht über Mobiltelefon in direktem Kontakt zu Migranten, die in libyschen Haftzentren untergebracht werden, so auch in Tajoura, wo kürzlich auf Migranten geschossen wurde, weil sie dem Lager entkommen wollten, wie ihr ihre Quellen berichteten (Eintrag vom 26.Juni hier).
Ihre Informationen aus dem Tajoura-Lager zum Angriff sprechen von einer schlimmeren Opfer-Bilanz als der bisher veröffentlichten, von mindestens zwei Angriffen statt nur einem, dass es zum "Beten fürchterlich und zum Verzweifeln" sei und dass auch die EU wie das UNHCR Verantwortung an diesem Massaker tragen.
Das sei gar nicht so sehr der Fehler der Libyer, sondern mehr der Internationalen Gemeinschaft, die es versäume, sie zu schützen. Vorwürfe in Richtung EU oder UNHCR kommen nicht nur von Migranten und nicht nur von Haftar-Kritikern, sondern auch von anderer Seite, die der UN-Flüchtlingsorganisation vorwerfen, dass sie keine Maßnahmen zur Evakuierung des Lagers angestoßen habe. Schließlich sei man "gewarnt" gewesen, da es schon Anfang Mai einen Angriff gab, der in unmittelbarer Nähe des Haftzentrums für Migranten in Tajoura erfolgte.
Haftzentren als "Lagerstätten für Waffen und Militärgerät" genutzt
Am Ende des seinerzeitigen UNHCR-Berichts steht die bemerkenswerte Äußerung, wonach sich die UN-Flüchtlingshilfe Sorgen mache, weil die Haftzentren als "Lagerstätten für Waffen und Militärgerät" genutzt würden.
Das spräche dafür, dass der oder die Angriffe, die das Haftzentrum trafen, von der LNA-Miliz unter dem Kommando von Khalifa Haftar durchgeführt wurde, wie es die Nationale Konsensregierung (GNA) vorwirft. Auch Verantwortliche des Lagers, die, wie oben erwähnt, mit der Regierung verbunden sind, "vermuten die Truppen des abtrünnigen Generals Chalifa Haftar hinter der Attacke" (Spiegel).
Der Innenminister der von der UN anerkannten GNA-Regierung unterlegte den Vorwurf mit der Äußerung des LNA-"Luftwaffen"-Kommandeurs Muhammad al-Manfour, der vor zwei Tagen die Operation "Ende des Verrats" ankündigte: Da man die traditionellen Mittel erschöpft habe, um die Kontrolle in Tripolis zu gewinnen, werde man nun "starke und entschlossene Luftangriffe" gegen ausgewählte Ziele durchführen.
In der Nähe des von mit etwa 600 Inhaftierten belegten Migrantengefängnisses in Tajoura sollen sich mehrere Militärlager von Milizen befinden, die als GNA-Verbündete Gegner von Haftars LNA sind. Laut Reuters dementierte ein Vertreter der LNA jedoch, dass Streitkräfte aus ihren Reihen das Haftzentrum angegriffen hätten.
Vielmehr hätten Milizen, die "mit Tripolis" (gemeint ist die GNA-Regierung und alliierte Milizen) verbündet sind, mit Granaten auf das Inhaftierungslager geschossen, nachdem die LNA einen Präzisionsschlag gegen ein Milizen-Camp durchgeführt habe.
Ob das Haftzentrum der Migranten einem F-16-Kampfjet angegriffen wurde, wie vorgebracht wird, oder mit Granaten aus den Reihen der Anti-Haftar-Milizenallianz beschossen, müsste sich eigentlich herausfinden lassen. Unübersehbar war zuletzt, dass die Kriegsparteien in Libyen deutlich aufgerüstet wurden (viel Anschauungsmaterial dazu findet sich immer wieder bei Oded Berkowitz).
Russland spricht sich für politische Lösung aus
In den vergangenen Tagen hatte sich auch die Spannung zwischen der Türkei und Feldmarschall Haftar durch dessen Festhalten von sechs türkischen Matrosen aufgeschaukelt - das türkische Außenministerium warnte davor, dass die LNA bei Nichtfreilassung zu einem militärischen Ziel werden könnte.
Auch das ist ein Zeichen für die Verschärfung des militärischen Konfliktes zwischen Haftars LNA-Allianz und den mit der GNA verbündeten Milizen. Durch den Erfolg der Gegner der "Libyschen Nationalarmee" in Gharyan, das für die Versorgung von Haftars Truppen essentiell ist, steht der Feldmarschall unter Zugzwang. Seine Position ist auch dadurch nicht stärker geworden, dass Russlands Regierung zuletzt ihre Position deutlicher darauf abgestellt hat, dass man beiden Seiten zuhört und Haftars Terroristen-Narrativ nicht unbedingt zu teilen gewillt ist.
Auch Moskau tritt für ein Ende der Waffenhandlungen und eine politische Lösung ein - es wäre der erste Schritt auf dem sehr langen und mühsamen Weg, aus Libyen wieder einen stabileren Staat zu machen. Bisher überwiegt eher die Sorge, dass der failed state auf dem gegenteiligen Weg ist, der zur Verschlimmerung der Situation führt.
Ähnlich wie in Syrien gibt es eine ganze Reihe von auswärtigen Staaten, die hier ihre Fäden ziehen. Auffallend ist, dass gerade in Libyen der machtpolitische Ehrgeiz der Vereinigten Arabischen Emirate sich immer deutlicher zeigt.