Licht- und Schattenspiele

Kalypsos "Disciples III" für PC

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die „Disciples“-Serie stand stets im Schatten von Heroes of Might And Magic („HoMM“). Disciples III: Renaissance erscheint acht Jahre nach dem direkten Vorgänger und immerhin noch vier Jahre nach HoMM V. Zu den wichtigsten Änderungen gehört ein Kampfsystem, das sich dem des Konkurrent nähert und ein deutlich verstärkter Rollenspielanteil.

Dunkel und einsam ist es. Jede Mission – sei es nun das Kapitel einer der drei umfangreichen Kampagnen, eine Einzelkarte oder eine (Hot-Seat)-Multiplayer-Partie – startet mit einer größtenteils schwarzen, weil noch unerforschten, Karte und einem Helden, der nahezu auf sich alleine gestellt ist und nur die schwächsten Unterstützer des Reiches an seiner Seite hat.

Der Anfang ist recht typisch für eben jene Art von rundenbasierten Strategie-Rollenspielen, zu denen neben den „Disciples“- und „HoMM“-Titeln (vgl.: Rollenspiel-Puzzles) auch King’s Bounty gehört. Die Entdeckung neuer Gebiete und der langsame Aufstieg vom schwächlichen Trupp, der sogar ein größeres Wolfsrudel lieber meidet, zur schlagfertigen Gruppe, die es auch mit Drachen aufnehmen kann, gehört zum Reiz dieser Spiele.

Im Wesentlichen beginnt jede Mission ähnlich: Der Spieler verfügt typischerweise über einen Anführer, dem ein paar einfache Mitstreiter folgen. In einer Hauptstadt errichtet er Gebäude, die ihm Zugang zu Magie und stärkeren Kämpfern verschaffen. Auch kann er in der Stadt neue Anführer und deren Truppen anheuern.

Die Anführer bewegt der Spieler über die Karte, auf der sich zahlreiche Monster, aber auch Schätze und Rohstoffe befinden. Schließlich hat alles vom Anheuern über das Errichten von Gebäuden bis zum Erwerb der Zaubersprüche seinen Preis. Die Ressourcen sind deutlich überschaubarer als in ähnlichen Spielen und bestehen aus Gold, Steinen und magischer Energie.

Die direkt verfügbaren Rohstoffe sind begrenzt. Der Spieler muss seinen Einflussbereich erweitern, um Produktionsstätten zu kontrollieren. Dazu nimmt er bestimmte Punkte auf der Karte ein, die darauf von magischen Wächtern vor gegnerischen Angriffen verteidigt werden. Anders als im Vorgänger Disciples II: Dark Prophecy kann jeder Anführer auf diese Weise einen Landstrich für sich beanspruchen, womit der „Rod Bearer“ als eigene Heldenklasse zur Kontrolle von Ressourcen verschwindet.

Alleine mit Gold lässt sich freilich kein Sieg erkaufen. Die Kämpfe machen einen Großteil des Spielgeschehens aus. Trifft ein Held auf Monster oder Gegner oder wird umgekehrt angegriffen, wechselt das Spiel in den Kampfbildschirm.

Hier stößt derjenige, der den Vorgänger kennt, auf eine entscheidende Neuerung: In „Disciples II“ gab es auf Seiten der Kontrahenten nur jeweils zwei Kampfreihen. Üblicherweise standen somit die Nahkämpfer vorne, Heiler, Magier und Bogenschützen dagegen in der zweiten Reihe. „Disciples III“ verwendet dagegen eine kleine Karte, die – rundenstrategietypisch – aus sechseckigen Feldern besteht. Nach wie vor sind die einzelnen Einheiten pro Runde einmal am Zug, wobei ein Initiative-Wert die Reihenfolge bestimmt. Der Zug setzt sich aus einer Bewegung und einem möglichen Angriff oder einer charakterspezifischen Aktion zusammen. Einige Einheiten können beispielsweise in der aktuellen Runde auf den Angriff verzichten und dafür in der nächsten doppelt zuschlagen.

Bestimmte Felder wie Felsen oder Baumstämme können von keiner Einheit besetzt werden, andere bringen demjenigen, der sie besetzt, einen Bonus und verdoppeln den Angriffswert für magische Attacken. Insgesamt sind die strategischen Möglichkeiten jedoch zu gering, was sich besonders bei den Fernkämpfern zeigt. So kann auch ein von feindlichen Nahkämpfern eingekreister Bogenschütze jede gegnerische Einheit angreifen und wird auch bei einem Schuss über das komplette Spielfeld nicht mit einem Entfernungsmalus bestraft. Für Fernangriffe spielen die genannten Blockaden keine Rolle.

Die computergesteuerten Gegner verhalten sich – zumindest auf dem normalen Schwierigkeitsgrad – oft dumm und konzentrieren sich beispielsweise gerne auf vorgerückte, verteidigungsstarke Nahkämpfer, statt den Durchbruch zu den Heilern und Magiern im Hintergrund zu versuchen. Auch bleiben sie dem nächsten Gegner gerne treu, statt ihre Kräfte zu bündeln.

Der Spieler darf auch im Kampf Magie einsetzen. Dazu verwendet er jedoch nicht die Sprüche aus seinem Zauberbuch, die wie im Vorgänger nur auf der Weltkarte zum Einsatz kommen, sondern greift auf magische Runen zurück. Diese sind wie Heiltränke Verbrauchsgegenstände, kommen also jeweils nur einmal zum Einsatz. Neue Runen finden die Helden als Belohnung nach Kämpfen oder kaufen sie bei Händlern. Zudem gibt es die Möglichkeit, sie aus bekannten Zaubersprüchen zu erstellen.

Ein großer Unterschied zur „HoMM“-Reihe besteht darin, dass jeder Heldentrupp klein ist. Anfangs befehligt ein Anführer maximal drei Einheiten, die jeweils aus einer einzelnen Figur bestehen. Bei den „HoMM“-Spielen kann eine Einheit durchaus aus einer Hundertschaft bestehen. Dafür erhalten nicht nur die Helden, sondern auch ihre Gefolgschaft Erfahrungspunkte. Damit eine Einheit zu einer stärkeren Klasse aufsteigt, benötigt sie zum einen genügend Erfahrung, zum anderen muss das entsprechende Gebäude in der Hauptstadt stehen.

Der Spieler kann und muss sich gelegentlich zwischen unterschiedlichen höheren Klassen entscheiden. So steigt eine erfahrene Heilerin entweder zur Klerikerin auf, die alle eigenen Einheiten ein wenig kuriert, oder zur Priesterin, die eine Einheit stärker heilt. Das System des Klassenaufstiegs der unterstützenden Einheiten ist im Wesentlichen dasselbe wie in „Disciples II“. Die Klassenwahl erfolgt nicht direkt beim Aufstieg, sondern der Spieler gibt den Pfad durch das Errichten des passenden Gebäudes vor. Auch die Klassen sind dieselben wie im Vorgänger.

Mehr an herkömmlichen Rollenspielen orientiert sich die Entwicklung der Anführer. Sie erhalten beim Aufstieg zum einen Punkte, die der Spieler auf die Grundattribute wie Stärke und Geschicklichkeit verteilt. Zum zweiten darf der Spieler noch Spezialfähigkeiten auswählen. Dazu dient ein System, das an Final Fantasy XII erinnert: Auf einer Art Spielbrett schaltet der Spieler neue Fertigkeiten frei, wobei er immer nur diejenigen auswählen darf, die an bereits zuvor aktivierte angrenzen. Die besonders wertvollen, mit denen der Anführer beispielsweise mehr Mitstreiter befehligt, liegen dabei exponiert am Rand des Brettes.

Obwohl „Disciples III“ nicht wie die ersten beiden Teile von Strategy First, sondern von dem russischen Studio Akella entwickelt wurde, bleibt es den Grundlagen der Serie weitgehend treu. Wer den zweiten Teil gespielt hat, findet sich schnell zurecht. Neulinge sind allerdings erst einmal verloren. Zwar gibt es ein Tutorial, das aber sehr dürftig ist. Es zeigt lieblose Videos, statt den Spieler interaktiv zu leiten. Je nachdem, wie sich dieser verhält, kommen die Anleitungen zudem noch zum unpassenden Zeitpunkt.

Überhaupt ist das Interface das größte Manko. So sind die im Kampf verfügbaren Aktionen nicht gut erkennbar. Grundlegende Tastenkürzel fehlen überall und die Bedienung per Maus ist oft unnötig umständlich und inkonsistent. Das Inventar ist schnell unübersichtlich und einfache Einblendungen wie die Werte der aktuellen Ausrüstung beim Erwerb einer neuen fehlen. Hinzu kommen lange Wartezeiten beim Wechsel der Bildschirme und einige Bugs. Auch der Sound ist schlicht misslungen: Die Musik wiederholt sich zu offensichtlich, die spärliche englische Sprachausgabe wirkt hölzern. Die Soundeffekte sind brauchbar, aber schwanken zu stark in der Lautstärke. Die Grafik ist – von einigen Ausnahmen wie dem Aufbau der Stadt –ansprechend, wenn auch nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Der Weg von der zweidimensionalen Grafik des Vorgängers zur Verwendung einer 3D-Enginge ist ebenso geglückt wie seinerzeit bei „HoMM V“. Die Landschaft wirkt lebendiger. Dass sie gelegentlich unübersichtlich wird, hat nichts mit der dreidimensionalen Grafik, sondern der Überfrachtung mit teils nützlichen, teils nur zierenden Objekten zu tun. Die insgesamt düstere Optik passt zum Setting.

Insgesamt ist „Disciples III: Renaissance“, das in Deutschland von Kalypso vertrieben wird, passend zu dieser Optik eine Mischung aus etwas Licht mit deutlichem Schatten. Das grundsätzliche Spiel baut grundsätzlich gelungen auf dem zweiten Teil auf. Es erweitert die bewährte Grundstruktur um ein flexibleres, wenn auch leider an vielen Punkten nicht zu Ende gedachtes, Kampfsystem und einen interessanten Rollenspielanteil.

Die verschiedenen Anführer haben im dritten Teil dafür leider ihre individuellen Stärken verloren. Der Dieb gleicht sich den anderen Anführern an und ist kein einsamer Schattenkämpfer und Saboteur mehr. Der Magier verliert an Reiz, da er nicht mehr der einzige mit Zugriff auf die mächtigsten Zaubersprüche ist, auch wenn er nach wie vor als einziger zwei Zauber pro Runde einsetzen darf.

Die Bedienung ist eine mittlere Katastrophe. Anfangs erschließen sich dem Spieler viele Möglichkeiten einfach nicht, später verliert er die Übersicht über sein Inventar und ärgert sich über umständliche und überflüssige Mausklicks und unverständlich lange Wartezeiten.

Wer sich damit arrangieren kann, bekommt eine gute Portion davon geboten, was die Serie oder auch die „HoMM“-Spiele ausmacht: Das Entdecken, Aufbauen und Kämpfen macht Spaß – und süchtig – wie immer. Die Kampagne bietet viele Stunden Spielzeit mit einem angenehm ansteigenden Schwierigkeitsgrad. Die meisten Missionen sind aber zu geradlinig und ziehen sich jeweils gegen Ende einer Karte, wenn die Entdeckung und Entwicklung ausgereizt ist, aber noch Aufgaben auf ihre Abarbeitung warten.

Auffallend ist die geringe Zahl der spielbaren Fraktionen. In der Grundversion von „Disciples II“ gab es vier, die mit der dritten Erweiterung „Rise of the Elves“ um eine fünfte ergänzt wurden. Diesmal beschränken sich die Entwickler gar auf drei Fraktionen, die aus dem zweiten Teil bekannt sind. Offensichtlich ist das Spiel auf die genretypischen Add-ons ausgelegt.

Wer eigene Karten erstellen oder im Netzwerk mit anderen zusammen spielen möchte, muss ebenfalls auf zukünftige Entwicklungen – sei es als Add-on oder kostenloses Update – hoffen. Das Grundpaket beinhaltet lediglich den Hot-Seat-Modus mit mageren fünf Karten und keinen Map-Editor.

„Disciples III: Renaissance“ macht eine Weile Spaß, kann aber auf Dauer weder mit den eigenen Vorgängern noch mit den Wettbewerbern „Heroes of Might And Magic“ und „King’s Bounty“ mithalten. Wer auf den großen Wurf gewartet hat, wird enttäuscht. Wer die alten Spiele durch hat und auf Nachschub wartet, darf gerne zugreifen.