Lieber den Dreckspatz in der Hand als die Killertaube im Anflug

Briten wollten nach dem zweiten Weltkrieg Tauben mit Biowaffen bestücken

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Kein Witz (Lieber die Taube in der Hand als eine Abmahnung im Netz) ist so blöd, dass er nicht doch ein Körnchen Taubenfutter, Verzeihung, Wahrheit enthalten kann: Englische Brieftauben sollten ernsthaft von Post- zu militärischen Angriffsfliegern umtrainiert werden. Doch am Schluss wollte keiner das Futter zahlen.

Die Taubenzucht gilt heute als noch angestaubteres Hobby als das Briefmarkensammeln, zumal die Viecher in den letzten Jahren schwer an Sympathiefaktor eingebüßt haben – in ausgewilderter Form übervölkern sie die Städte und sch… einfach auf alles, auch wenn es sich bewegt: Sowohl historische Gebäude wie moderne Kunst, Autos ebenso wie Fußgänger sind Zielscheibe der geflügelten Kotbomber und Stadtbewohner wissen schon lange, dass der Spruch "Alles Gute kommt von oben" in einer anderen Zeit entstanden sein muss. Nur alte Omas füttern die "Ratten der Lüfte" hartnäckig weiter.

Schaut so ein Killervogel aus? (Bild: homingworld.cwc.net)

Mel Brooks hat die berühmte Vögel-Angriffsszene des Hitchcock-Klassikers "Die Vögel" in seiner Parodie "Höhenkoller" denn auch prompt entsprechend umfunktioniert: Die Vögel greifen die Menschen nun nicht mehr im Sturzflug an, sondern lassen stattdessen gesammelt ihren biologischen Ballast fallen – eine Szene, an die man zwangsweise denken wird, wenn man wieder einmal unter einer unter dem Dach gurrenden Taubenhorde am Bahnhof durchgehen muss. Militärisch ausgebaut wurde dies jedoch nie: Gegner werden im Krieg auch heute noch beschossen und nicht beschissen, dieses Erlebnis bleibt vielmehr den eigenen Soldaten vorbehalten.

Im Militärdienst waren Brieftauben bis zum zweiten Weltkrieg jedoch durchaus: Als Teil der Signalisierungs- und Fernmeldetrupps sollten sie Nachrichten übertragen, die der Feind nicht abhören konnte, wollte er nicht einen Teil seiner Zeit und Munition auf mögliche gefiederte Geheimnisträger verschwenden. Insbesondere auf Schiffen und Flugzeugen hatten die Tauben den Vorteil, bei Versenkung oder Abschuss auch allein den Weg heim zu finden und Meldung machen zu können. Um dies sicherzustellen, wurden sogar Tierversuche mit Radiowellen und radioaktiver Strahlung gemacht, um festzustellen, ob starke Funksender oder gar der Atomschlag den Orientierungssinn der Vögel beeinträchtigen. Doch solange die Tauben den Versuch überlebten, flogen sie auch brav in ihren Schlag zurück.

Ein echtes Militärtaubentelegramm in Fremdsprache (Bild: MI 5)

Nach dem Weltkrieg bestand jedoch kein Bedarf an militärischen oder zivilen Brieftauben mehr und die bisherigen professionellen Taubenhalter sannen nach einer sinnvollen Weiterverwendung ihrer gefiederten Untergebenen. Ein Grillfest oder die Belieferung einer Tierhandlung schieden aus – das Rösten militärischer Angestellter war ohne eine entsprechende Entscheidung des Kriegsgerichts nicht zulässig und man wollte auch nicht, dass das langjährige Training der Tauben nun plötzlich für die (hungrige) Katz’ war oder die Tiere gar bumeranggleich nach einigen Wochen wieder zurück in den aufgelassenen Schlag kamen – auch wenn dies eine interessante nachhaltige Geschäftsidee gewesen wäre.

Tierliebe war jedoch nicht der Grund, die Tauben im Dienst des Militärs behalten zu wollen. Wie nun nach Ablauf der Geheimhaltungsfrist von der britischen Militär-Geheimdienstabteilung MI 5 bekanntgegeben wurde, hatte "Wing Commander William Rayner" vielmehr daran gedacht, die Tauben zu – unwissenden – Kamikaze-Piloten umzuschulen, die mit Sprengstoff oder Anthrax beladen feindliche Objekte angreifen sollten. Dabei sollte es die Masse machen – eine Schiffsbesatzung, die von Tausenden solcher Sprengtauben mit je 60 Gramm schweren Bömbchen angegriffen wird, hätte weder über Hitchcocks noch Brooks Filme lachen können. Die Taubenstaffel wäre zudem nicht vom Radar zu orten gewesen.

Solch ein Schiffsmodell – hier von einem Matrosen des deutschen Schlachtschiffes Tirpitz im 2. Weltkrieg auf derselben angefertigt – hätte den Tauben als Übungszielscheibe gedient (Bild: US Naval Historical Center)

Die Tauben sollten unter anderem trainiert werden, speziell Suchscheinwerfer anzufliegen. Auf die feindlichen Schiffe sollten die Tauben mittels Modelle derselben trainiert werden – später wären sie dann zum schnellen Einsatz per Flugzeug, per Ballon oder gar per Rakete ins Zielgebiet verfrachtet worden, wie die Abteilung M 14 vorschlug. Dort arbeitete man auch an speziellen Drogen-Futterkapseln, mit denen die friedliebenden Tauben vor dem Einsatz zu angriffslustigen Falken werden sollten.

Auch eine Taubenabwehrstaffel mit – diesmal echten – Falken hatte man nicht vergessen, um selbst gegen Taubenangriffe geschützt zu sein – und wohl auch gegen die Tauben, die nach dem Aussetzen aus alter Gewohnheit direkt nach Hause in den Schlag geflogen wären statt zum Einsatzort. Wie die Falken dann allerdings die Anthrax-Ladung unschädlich machen sollten, bleibt unklar.

Militärisch geheim oder zivil geheim?

Eine Diskussion brach aus, ob das Bombertaubengeschwader nun weiter militärisch in Zucht und Ordnung gehalten werden sollten oder ob dies eher eine zivile Geheimdienstsache sei. Der Geheimdienst gewann und so durfte Captain James Caiger in seinem Garten in Surrey einen Taubenschlag mit 100 Geheimdiensttauben einrichten.

Die Sache flog jedoch wortwörtlich auf, als Caiger nach fünf Jahren Taubenzucht beim Geheimdienst die Futterrechnung einreichte: Da die Tauben in den fünf Jahren nie einen militärischen Einsatz geflogen hatten, wurden sie nun zum privaten Hobby des Captains umdeklariert.