Liebesgrüße vom Neandertaler
Hatten unsere Vorfahren Sex mit Neandertalern? Eine aufsehenerregende Untersuchung scheint das zu beweisen
Der Nahe Osten war schon immer ein Schmelztiegel der Menschheit. Hier entstanden drei große Religionen, ganze Völker machten sich von hier aus auf die Reise oder suchten und fanden hier eine neue, alte Heimat. Vor mindestens 80.000 Jahren trafen sich hier auch die Vorfahren des modernen Menschen und des Homo neanderthalensis, des Neandertalers, auf den sich in 400.000 Jahre alten Funden schon erste Hinweise finden.
Fraglich war bisher allerdings, in welcher Form sich die beiden Vertreter der Gattung Homo trafen. Wirkten die fliehende Stirn, die großen Überaugenwülste und die hervorstehende Nasen- und Gebisspartie des Neandertaler-Mannes in irgendeiner Weise anziehend auf weibliche Homo-sapiens-Exemplare oder bewunderten umgekehrt männliche moderne Menschen die starke Brust- und Rückenmuskulatur der Neandertaler-Damen? Davon ist leider nichts überliefert und auch die Genanalyse konnte bisher hier kein eindeutiges Urteil sprechen. Im Gegenteil, eine Untersuchung mitochondrialer DNA (mtDNA), die einem Forscherteam des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie unter Svante Pääbo 2008 gelang, zeigte keine Überreste von Neandertaler-Erbinformationen im Erbgut des Menschen (siehe dazu Neandertaler in der Sackgasse).
Die mtDNA zu sequenzieren, ist allerdings nicht die Königsdisziplin der Genforscher. Denn von dieser gibt es in jeder Zelle einige tausend Kopien. Zudem erfolgt die Weitergabe nach heutigem Wissensstand stets mütterlicherseits. Durch Erbgutvergleiche kann man so zwar sehr gut Verwandtschaftsbeziehungen nachweisen (erst im April machte eine rein anhand der mtDNA einer fossilen Fingerkuppe entdeckte „dritte Menschenart“ Schlagzeilen, der so genannte Denisova-Mensch - siehe Ein neuer Mensch), doch der exakte Nachweis, von welcher Art ein Fossil stammt, ist der DNA des Zellkerns vorbehalten.
Seit über vier Jahren befasst sich ein internationales Forscherteam mit eben dieser Aufgabe. Schon 2006 gab es erste Erfolgsmeldungen, die später wegen einer Verunreinigung der Proben zurückgezogen werden mussten. Im Februar 2009 berichtete Evolutionsforscher Svante Pääbo auf einer Konferenz von ersten Ergebnissen (siehe Sex ja, Kinder nein) - damals hoffte er noch auf eine wissenschaftliche Veröffentlichung „im Sommer“.
Dass nun April 2010 daraus geworden ist, zeigt, wie problembehaftet die nun im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichte Arbeit ist. Zunächst analysierten die Forscher 21 Neandertaler-Knochen aus der Vindija-Höhle in Kroatien. Jedem dieser Fossilien entnahmen sie 50 bis 100 Milligramm Knochenpulver, das auf die Anwesenheit von Neandertaler-mtDNA durchleuchtet wurde. Die drei erfolgversprechendsten Fragmente wurden schließlich für die Sequenzierung des Genoms benutzt. Was leichter klingt, als es sich in der Realität anfühlt: Schließlich hat kaum einer der Archäologen daran gedacht, die Knochen nicht mit eigenem Genmaterial zu verunreinigen. Zudem sind zwischen 95 und 99 Prozent der Genschnippsel in den Knochen Mikroben zuzuordnen, die sich in dem zerfallenden Material eingenistet haben.
Insgesamt kamen so mehr als eine Milliarde Neandertaler-DNA-Fragmente zusammen, die über 60 Prozent des Genoms abdecken. Daraus konnten die Forscher bereits ein paar spannende Schlussfolgerungen ableiten - weitere werden garantiert in den nächsten Monaten und Jahren folgen:
- Neandertaler und der frühe Mensch haben sich offenbar vermischt. Ein bis vier Prozent des Genoms heute lebender Menschen stammen offenbar vom Neandertaler.
- Die nachgewiesene Vermischung muss vor allem im Nahen Osten stattgefunden haben. Das schließen die Forscher daraus, dass das Genom von Menschen mit Vorfahren in Europa und Ostasien dem Neandertaler-Erbsatz deutlicher näher liegt als das Genom von Menschen mit afrikanischen Vorfahren. Da bisher keine Neandertaler-Funde aus Ostasien vorliegen, muss die Vermischung passiert sein, bevor sich der moderne Mensch vom Nahen Osten aus nach Europa und Ostasien ausbreitete.
Die Forscher hoffen nun, im Genom auch auf Hinweise zu stoßen, welche evolutionären Vorteile dem modernen Menschen das Überleben ermöglichten, während sein älterer Cousin ausstarb. Eine ganze Reihe solcher Kandidaten führt das Science-Paper bereits auf, deren funktioneller Nachweis steht allerdings noch aus.