Lieferkettengesetz: Mehr Menschenrechte ins Geschäft
Seite 3: Das Pflichtenheft für die Sorgfalt bei den Lieferketten
- Lieferkettengesetz: Mehr Menschenrechte ins Geschäft
- Lieferketten und die Sorge um die Menschenrechte
- Das Pflichtenheft für die Sorgfalt bei den Lieferketten
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Starten soll das Gesetz für Firmen mit mehr 3.000 Mitarbeitern, später sollen Firmen ab 1.000 Mitarbeiter mit einbezogen werden. Sie beziehen ihre Vorprodukte aus vielen Quellen, die ihrerseits ihre Teile von vielen anderen beziehen. Dies alles nachzuverfolgen, wäre eine immense Aufgabe, die der Gesetzgeber den Firmen nicht zumuten will. Er legt daher zunächst fest, wie er die Sorgfaltspflichten verstanden haben will:
(2) Die angemessene Weise eines Handelns, das den Sorgfaltspflichten genügt, bestimmt sich nach 1. Art und Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens, 2. dem Einflussvermögen des Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher der Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht, 3. der typischerweise zu erwartenden Schwere der Verletzung, der Umkehrbarkeit der Verletzung und der Wahrscheinlichkeit des Verletzungseintritts einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht sowie, 4. nach Art des Verursachungsbeitrags.
Referentenentwurf, Das Gesetz §3
Im Gesetzentwurf werden die Sorgfaltspflichten gleich relativiert und ins Verhältnis gesetzt zum Umfang der Geschäftstätigkeit. Das bedeutet: Je größer das Geschäft desto schwieriger ist es, die ganze Lieferkette zu überblicken. Je länger die Kette, desto geringer sind die Einflussmöglichkeiten. Und wo es keine Gesetze zum Schutze von Arbeitnehmern oder Umwelt existieren, können diese auch nicht verletzt werden usw.
Wie das Ganze zu verstehen ist, liefert der Kommentar gleich mit:
Die Sorgfaltspflichten begründen eine Bemühens- und keine Erfolgspflicht. Unternehmen müssen nicht garantieren, dass in ihren Lieferketten keine Menschenrechte verletzt werden. Sie müssen vielmehr nachweisen können, dass sie die in den §§ 4-10 näher beschriebenen Prozesse eines Risikomanagements eingeführt haben, die vor dem Hintergrund ihres individuellen Kontextes machbar und angemessen sind.
Referentenentwurf, Kommentar
Mit dem Gesetz formuliert der deutsche Staat einen Vorbehalt, den deutsche Unternehmen bei aller Freiheit der Benutzung von Mensch und Natur zu beachten haben. Er dringt nicht unbedingt auf die Verhinderung allen Elends und der Zerstörung der Natur. Doch weist er seine Unternehmen darauf hin, dass er Vorbehalte gegenüber der Praxis mancher Staaten kennt. Das bedeutet nicht unbedingt, dass er diese auch jedem Staat gegenüber geltend macht.
Als Rechtstitel setzt er diese aber dann ein, wenn er dies für opportun hält. Und ermahnt seine Wirtschaft, dass die Hinnahme solcher Praktiken eventuell auch für sie wirtschaftliche Risiken bedeuten kann. Sie sind ja Teil des wirtschaftlichen Einflusses, den die deutsche Regierung in der Welt ausübt. Gleichzeitig bietet er seinen Unternehmen ein Mittel für ihre Selbstdarstellung als verantwortlich Wirtschaftende bezogen auf die Achtung der Menschenrechte und den Schutz der Natur.
Dazu benötigen sie zunächst ein Risikomanagement:
(2) Wirksam sind solche Maßnahmen, die es ermöglichen, Risiken zu erkennen, Verletzungen geschützter Rechtspositionen oder Verstöße gegen umweltbezogene Pflichten vorzubeugen, sie zu beenden oder zu minimieren, wenn das Unternehmen diese Risiken, Verletzungen oder Verstöße innerhalb der Lieferkette verursacht oder dazu beigetragen hat.
Referentenentwurf, Das Gesetz §4
Damit ein Unternehmen dies erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten kann, bedarf es einer Risikoanalyse:
(1) Im Rahmen des Risikomanagements hat das Unternehmen eine angemessene Risikoanalyse nach Absätzen 2 bis 4 durchzuführen, um die Risiken in seinem Geschäftsbereich sowie bei seinen unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln.
Referentenentwurf, Das Gesetz § 5
Es geht in dem Verfahren um mögliche Gefährdungen von Menschenrechten durch das eigene Geschäft, die Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten oder falls bekannt zur Vorlieferanten zu ermitteln. Das Ganze soll angemessen, also nicht zu aufwendig erfolgen.
Dass das Unternehmen auch wirklich sich den Werten der Menschenrechte verpflichtet fühlt, dazu bedarf es zudem eine Grundsatzerklärung zu den Menschenrechten durch das Unternehmen. Und die ist leicht zu haben, noch jeder Manager beherrscht die Kunst, seine Kalkulation mit Preisen, Kosten und Gewinnen als einen einzigen Dienst an der Menschheit und ihren Rechten darzustellen.
Ergibt die Risikoanalyse eine Gefährdung oder eine Verletzung der Menschenrechte, ist das Unternehmen dazu verpflichtet, auf seine Zulieferer einzuwirken, diese abzustellen oder zu minimieren. Das hängt natürlich wieder davon ab, welche Einflussmöglichkeiten ein Unternehmen auf seine Vorlieferanten überhaupt hat und wie die staatlichen Regelungen in dem Land aussehen.
Dieses Bemühen ist in einem Bericht zu dokumentieren und einmal jährlich zu veröffentlichen.
Beispiel brennender Regenwald
Mit den Brandrodungen des tropischen Regenwalds in Verbindung gebracht zu werden, schadet dem Ansehen von Unternehmen. Deshalb hat ein namhaftes deutsches Fleischunternehmen auch ohne Lieferkettengesetz streng darauf geachtet, nur mit brasilianischen Farmern Lieferverträge abzuschließen, die nicht im Zusammenhang mit Brandrodungen stehen.1 Dieser große Fleischfabrikant diktiert nicht nur deutschen Schweinebauern die Preise, sondern auch brasilianischen Farmern bei der Abnahme von Rindfleisch.
Diese Abnahmepreise bilden die Kalkulationsgrundlage für die dortigen Farmer, die sehen müssen, wie sie mit diesen Preisen zu Recht kommen. Wie schaffen sie das? Indem sie ihre Herden vergrößern. Dafür brauchen sie aber mehr Weideland. Und das besorgen sie sich durch Brandrodung. Mit den deutschen Fleischfabrikanten hat das selbstverständlich überhaupt nichts zu tun – auch wenn diese ihnen die Bedingungen in Form von Preisen vorgeben. Wenn dann noch brandrodende Farmer hingehen und ihre Herden mit denen anderer Farmer mischen und so die Rinder auf den deutschen Markt kommen, dann kann man deutschen Fleischindustriellen natürlich nichts vorwerfen.
Sie haben ihre Einkäufer extra nach Brasilien entsandt, um zu prüfen, ob bei ihrem Lieferanten keine Brandrodung vorliegt! Den Rindern auf der Weide war nicht anzusehen, aus welcher Haltung sie stammen. Also ist dies ein Fall von Betrug und die deutsche Firma nicht Täter, sondern Opfer. Sie hat sich nichts vorzuwerfen, die Sorgfalt beachtet und billiges Rindfleisch bekommen.
Das Sorgfaltspflichtengesetz bringt dieses Verfahren zur Vollendung und macht es deutschen Großunternehmen zur Pflicht. Denn die Brandrodungen sind ein Streitpunkt, den Deutschland und Europa gegenüber der brasilianischen Regierung zum Streitgegenstand gemacht haben. Zwar werden auch hierzulande viele Bäume gefällt und müssen Wälder einer Autobahn weichen.
Jedoch reklamieren europäische Politiker den brasilianischen Regenwald als Teil ihrer Klimareserve und verfügen so über einen Titel, der brasilianischen Regierung Vorschriften zu machen, wie sie ihr Land zu nutzen hat. Wenn diese allerdings ihrerseits sich erdreisten sollten, das Gleiche von hiesigen Politikern zu verlangen, wäre das natürlich eine Anmaßung.
Geteiltes Echo
Das Gesetzesvorhaben trifft in der Öffentlichkeit auf ein geteiltes Echo. Die einen begrüßen dieses Vorhaben als einen Schritt zur Beseitigung des Elends in der Welt, die anderen entdecken in ihm einen einzigen Eingriff in unternehmerische Freiheiten:
Denn es bleibt dabei: Die deutsche Wirtschaft braucht kein Gesetz, das erfolgreiche Produktionen im Ausland behindert, starke internationale Wertschöpfungsketten einschränkt und zusätzliche Regulierungen und Bürokratie für die Unternehmen aufbaut.
Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer Gesamtmetall 10.12.2020
Zwar sind durch das Gesetz keine Einschränkungen von Produktionen im Ausland oder Unterbindung von Wertschöpfungsketten zu erkennen, doch deutsche Unternehmen sind anspruchsvoll, was Einschränkungen ihres Wirkens betrifft. Da wird jedes Gesetz sehr grundsätzlich als Eingriff in die unternehmerische Freiheit kritisiert, es sei denn, es bringt Subventionen oder Steuererleichterungen.
Dabei geht der Vorwurf ganz an der Sache vorbei. Im Referentenentwurf ist kleinlich nachgerechnet, welcher bürokratische Aufwand bei jedem Paragraphen anfällt und aufsummiert zu einem Millionenbetrag, der da auf die Unternehmen zukommt.
Die ganze Rechnung mündet jedoch in der Feststellung, dass eine entsprechende finanzielle Entlastung an anderer Stelle vorgenommen wird. Schließlich will der Staat den Erfolg seiner Wirtschaft nicht behindern, sondern fördern. Auch wenn er Titel im internationalen Verkehr kennt, die eventuell Einschränkungen bestimmter Praktiken begründen.
Manch ein Bürger hat sich vom Lieferkettengesetz eine Verbesserung für die Menschen in der Welt versprochen, die für den Reichtum hiesiger Aktionäre ihre Knochen hinhalten dürfen. Sie werden wieder mal enttäuscht werden. Aber warum sollte gerade der Staat, der alles dafür getan hat, damit seine Unternehmen auf der ganzen Welt Mensch und Natur für ihr Geschäft nutzen können, diesen Hindernisse in den Weg legen? Vielmehr ist auch dieses neue Gesetz ein Beispiel dafür, wie der Staat als "ideeller Gesamtkapitalist" alles dafür tut, damit seinen Lieblingsbürgern die Welt weiter zur Benutzung offen steht.
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