Links und rechts: Mit immer neuen Bedeutungen überfrachtet

Was ist mit der Mitte? Warum die ideologisch gewichtete Zuschreibung ins Geschichtsbuch gehört. Ein Essay. (Teil 2 und Schluss)

Im Zeitalter der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts wurde Loyalität umformuliert, nicht mehr gegenüber Monarchen, sondern nun gegenüber Sprache, Kultur und Geschichte.

Als der Gedanke zu einer Nation gesetzt war, wurde der Gegensatz Soziales/Kapital zum weiteren trennenden Versuchsfeld konstruiert. Neue Lösungen mussten her für die stark gewachsene Bevölkerung. Politik beginne, wo die Massen sind, glaubte Wladimir Iljitsch Lenin.

Politische Konstruktionen im Zeitalter der Nationen

Heute wird der Wunsch nach kleineren souveränen Verwaltungseinheiten als "rechts" tituliert, während man einen Hang zu Internationalität zu Unrecht der Linken zuordnet. Vielleicht, weil Marx Nationalismus als falsches Bewusstsein bezeichnete.

Dass die Ideologie vom Nationalismus eine rechte Zuordnung erhielt, lag an der Kaperung des Themas durch die Mächtigen.

Nationalismus als Instrument für militarisierte Macht

Otto von Bismarck bemächtigte sich der Ideen der von unten kommenden nationalen Bewegung, als ihm gewahr wurde, dass dies nicht mehr aufzuhalten war. Die freiheitliche und soziale Bewegung ließ sich ihre Themen von ihm regelrecht klauen.

Doch Bismarck machte die neue große Nation lange Zeit nicht sozialer, sondern nutzte sie in erster Linie für den Aufbau kriegstüchtiger Armeen. Mit Bismarcks "Revolution von oben" landete das linke Vehikel "Nationalismus" in der rechten Garage des militär-industriellen Komplexes der Mächtigen.

Die Geschichte zeigt, dass das Vehikel Nationalismus ein Werkzeug beider Richtungen sein kann, für Freiheit wie für Unterdrückung.

Globalisierung und Nationalismus

Für das moderne Thema "Globalisierung" stellte der Politikpsychologe Rainer Mausfeld heraus, warum auch Nationalismus und Globalisierung zueinander gehören.

Die Globalisierung baue auf dem Nationalismus "starker Staaten" auf. Gemessen an 1789 gibt es jedenfalls keinen sattelfesten Zusammenhang zwischen den Vorlieben international/national und links/rechts.

Mit den staatlichen Neuordnungen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Menschen auf den neuen Gegensatz Staat/Individuum eingeschworen. Hillary Clinton blies in solch ein Horn, der Staat möge den Platz der Familie einnehmen.

In der Bundesrepublik wird aktuell das Konzept der Staatsräson wiederbelebt: das neue Unterordnen unter das höhere Interesse der Nation. Was Staaten historisch gesehen immer willkürlich für illegale Handlungen nutzten. Und erst seit relativ wenigen Jahren kommen weitere Großthemen hinzu, wie Einwanderung und Klima.

Migration: Die Trennlinie?

Vor fünf Jahren konfrontierte ich Matteo Salvini, den derzeitigen stellvertretenden Ministerpräsidenten Italien, mit der Frage, was denn seine Lega-Nord-Partei von der links-titulierten Fünf-Sterne-Partei (M5S) Beppe Grillos trenne. Es sei die grundsätzliche Verschiedenheit der Ansichten in der Bedeutung der Flüchtlinge für die Sicherheit Italiens, so Salvini.

Das Thema Migration spielte 1789 ganz bestimmt keine Rolle, stattdessen standen Menschenrechte ganz oben auf der Agenda. So ließe sich heute ableiten, dass die Gleichberechtigung der Frauen ein linkes Thema ist. Oder dass hart arbeitende Landwirte gegen Umweltschutz sind und daher rechts wählen. Was beides sehr unpräzise ist.

Klischees, Etiketten, Platzanweisungen

Man betrachte sich nur einmal die Situation der Frauen in deutschen Fabrikbordellen wie dem Pascha in Köln und das Protegieren von Massenprostitution durch die sich selbst als links bezeichnende Partei Bündnis90/Die Grünen.

Natürlich kann jeder behaupten, dass im Geiste der Aufständischen von 1789 heutige Linke klimabesorgt sind, weltoffene Masseneinwanderungen protegieren, Großstaatkonzepte wie die Europäische Union (EU) bevorzugen, für Bargeldabschaffung und Arbeiterschutz sind, kamerabehaftete Teslas fahren und wegen ihres Hanges zur Internationalität bevorzugt in Afrika Urlaub machen.

Richtig ist diese Beschreibung aber ebenso wenig, wie sie genau ist. Müssten internationalistische Befürworter einer Großnation EU nicht auch Befürworter einer Union der sozialistischen oder nicht-sozialistischen russischen Republik (inklusive der Ukraine) sein?

Die Maoris verbinden mit dem Wort links die Zustände "schwach" und "unrein" und verweigern dem imperialen König Charles III. gleichzeitig die Treue.

Aus einem historischen Zufall heraus saßen also 1789 die Aufständischen links, während Aufständische heute als rechts denunziert werden, wie etwa bei den Demos gegen staatliche Coronamaßnahmen.

Ein Mitarbeiter des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes steckte mir einmal, dass es in seiner Behörde lange Zeit eine Ansage gab, explizit nicht dem Linksextremismus auf die Spur zu gehen, sondern nur dem Rechtsextremismus.

Inlandsgeheimdienste sehen sich dem Vorwurf regierungsgesteuerter Strafvereitelung im Amt ausgesetzt, wenn sie Bürgerwehren gewähren lassen, nur weil sie ihnen das Prädikat links zuordnen. Selbst wenn die Bürgerwehr offen propagiert, "das Gemeinwesen mit dem Hammer zu verteidigen".

Ob der Inlandsgeheimdienst bei seinen Analysen wohl quantitative Methoden anwendet?