Links und rechts: Mit immer neuen Bedeutungen überfrachtet

Seite 3: Das Phantom der Mitte

Mit der andauernden Änderung von Wählerschaft, Parteipolitik und politischen Präferenzen erhält der italienische Rechtsphilosoph Norberto Bobbio immer mehr Bestätigung für seine These, rechts/links gebe es zwar noch heute, nur die Mitte sei unerkennbar klein.

Als Nutzer der links und rechts-Sprachfalle sieht Bobbio zwar einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden, nämlich das Thema Wunsch nach Gleichheit.

Aber wenn entweder die Linke oder die Rechte so mächtig würde, dass sie "das einzige Spiel in der Stadt" zu sein scheint, dann hätten beide ihre Gründe, an der Zerstörung der Unterscheidung zwischen links und rechts beizutragen.

Die dominante Seite habe eindeutig ein Interesse an der Behauptung, dass es keine echte Alternative gebe. Man erinnert sich an Angela Merkels Alternativlosigkeit und die Gründung der Partei "Alternative für Deutschland".

Auch die britische Financial Times macht weder in Frankreich noch in Deutschland oder Italien eine politische Mitte aus und spricht von einem Phantom.

Für diesen Artikel befragte ich auch Sahra Wagenknecht, was denn für sie der Unterschied zwischen links und rechts sei. Sahra Wagenknecht antwortete nicht. Ihren öffentlichen Aussagen ist aber zu entnehmen, dass sie klar für soziale Gerechtigkeit und Frieden steht. Inhalte statt Ideologiegehabe.

Fazit

Es ist wohl so: Wir können kein Verhältnis zur Welt entwickeln, wenn wir unser Umfeld nicht in Lager einteilen. Das Lager, zu dem wir uns selber zählen, und das gegnerische Lager.

Wohlwissend, dass es Paradigmenwechsel immer schwer haben, sollten wir dennoch eine Nomenklatur aus links und rechts vermeiden. Dieses Paar ist unehrlich und lenkt ab.

Umso dringender brauchen wir einen Massenerhaltungssatz für Leute, die andere unterdrücken. Die Geschichte zeigt: Vermeintlich Rechte töteten ebenso zigtausende Menschen wie vermeintlich Linke. Neue Forschungsansätze wären ein Weg, damit die Politikwissenschaft dem Fortschritt nicht mehr im Wege steht. Denn von ihr gehen die wichtigsten Diskursimpulse aus.

Die Chemie hat vorgemacht, dass es Entwicklungspotenziale hin zu einer besseren und gerechteren Welt gibt. Der Autor schreibt dies in der Überzeugung, dass der Polit-Alchemist Bismarck Unrecht hatte. Der meinte, Politik sei keine Wissenschaft, die man lernen könne, sie sei eine Kunst.

Weil Diktator Franco tot ist, weil es weder noch einen italienischen Bund der Fasci gibt noch eine NSDAP, müssen die Begriffe Franquista, Faschist und Nazi immer ins Leere laufen. Habermas, Sartre, Zizek, Bloch, Althusser, Marcuse, Fromm, Benjamin mögen immer überzeugte Marxisten gewesen sein.

Viele Marxisten jedoch (wie Varoufakis oder Mussolini) wussten nicht, ob sie am Ende noch welche waren. Wie sollte folglich links und rechts noch aussagekräftig zuordenbar sein?

Bei allen dynamischen Themenwechseln der Zukunft sollten wir aber auf jeden Fall weiter für politische Werte wie Freiheit und Gleichheit streiten. Ohne die (Selbstverortungs-) Label "links" und "rechts". Diese ideologische Sprachfalle gehört – wie die Alchemie – ins Geschichtsbuch.

P.S. Lavoisiers chemische Revolution half ihm übrigens persönlich nicht über die politische Revolution hinaus. Weil er neben seiner Chemikertätigkeit für den Staat Steuern eintrieb, wurde er von den politischen Revolutionären enthauptet.

Für den Richter des Revolutionstribunals brauchte die Republik weder Wissenschaftler noch Chemiker, der Lauf der Justiz dürfe nicht aufgehalten werden.