Liz Truss: Ein politischer Leichnam, der auf seiner Beerdigung redet?
- Liz Truss: Ein politischer Leichnam, der auf seiner Beerdigung redet?
- Truss ist zu einem Geist mutiert
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Mediensplitter (9): Worte wie Dolche; die britische Regierungskrise ist ein Theater der Grausamkeit, aber nicht so kleinbürgerlich vereinsmeierisch wie die deutsche Politik.
Something will happen this week. The mood is such that it demands action. When the herd moves, the herd moves.
Ein ungenannter konservativer Unterhausabgeordneter am Montagabend
Der Markt hat immer recht. Es ist dieses Credo, der Glaube an die Überlegenheit des Marktes, der seit jeher die Kernüberzeugung des Neoliberalismus war, und der alle Schattierungen dieser politischen Religion verbunden hat. Insofern ist es nur gerecht, dass Liz Truss nun ein Opfer eben dieses Marktes werden wird.
Wenn die Märkte die Wahrheit sprechen, dann steht das Urteil über die britische Premierministerin fest. Auch am Montagmorgen wurde der dramatische Vertrauensverlust, den das britische Pfund und die Staatsanleihen die gesamte letzte Woche erlitten hatten, nur geringfügig aufgefangen.
Die Tories als Opfer eigener Entscheidungen
Kaum vier Wochen im Amt ist Liz Truss am Ende. Der letzten britischen Premierministerin, die noch von Queen Elizabeth II. ernannt wurde, dürften nur noch wenige Tage in der Downing Street Number 10 bleiben.
Es sind diverse Stimmen aus der Umgebung der Premierministerin, die dieses Urteil bereits gesprochen haben. Einer ihrer engsten Vertrauten, der am Freitag schroff gefeuerte bisherige Schatzkanzler (= Finanzminister), Kwasi Kwarteng, sagte Stunden danach, dass sich die Premierministerin mit seiner Entlassung allenfalls einige Wochen im Amt erkauft habe.
Man sollte sie trotzdem nicht voreilig abschreiben, denn Liz Truss hat ihre Steherqualitäten bewiesen; sie hat gezeigt, dass sie gegen alle Wahrscheinlichkeiten Erfolg haben kann – niemand hätte ihr vor einigen Monaten den Griff nach der Macht und den Erfolg im Machtkampf um die konservative Partei zugetraut.
Zugleich war ihre Wahl zur Vorsitzenden bereits ein Verzweiflungsakt der Konservativen, die längst zum Opfer ihrer eigenen Entscheidungen geworden sind. Die Geister, die sie mit dem Brexit-Votum von 2016 gerufen haben, werden sie nun nicht mehr los.
Blind und dumm
"It feels like game over." Die Unterhaus-Abgeordneten der Tories müssen erkennen, dass mit Truss die zweite Premierministerin der Partei einen herben grundsätzlichen Schlag zugefügt hat: Boris Johnson hat die moralische Integrität und die vermeintliche Wertebasis der Konservativen in den Grundfesten erschüttert. Jetzt gelang es Liz Truss in weniger als vier Wochen, gründlich mit dem Ruf der Tories, eine Partei der finanziellen Glaubwürdigkeit und des sparsamen korrekten Rechnens zu sein, aufzuräumen.
Die haushaltspolitische Glaubwürdigkeit der Tories besteht zurzeit nicht. 30 Prozent der Wähler der britischen Wähler sind davon überzeugt, dass sich Truss nicht im Amt halten kann. Sie hat es selbst verschuldet: Blind und dumm hat sie bei ihrer Kabinettsumbildung die Loyalisten bevorzugt, die Mitglieder konkurrierender Parteiflügel kaum berücksichtigt.
Sie war, eine Gefangene ihrer reaktionären Ideologien, so blind darauf fokussiert, ihre Fantasy-Wirtschaftspolitik in die Tat umzusetzen, dass sie die Ratschläge auch wohlmeinender Abgeordneter ignorierte.
Persönlich ist das eine Geschichte aus blinder Ideologie, erschreckender Unerfahrenheit, Fehlurteilen, Instinktschwäche und Gefühlsarmut. Sie muss uns nicht weiter kümmern.
Aber wie das geschieht, das ist eine Geschichte für sich.
Dramatisierung des Politischen
Politik ist nie nur Inhalt, ist immer auch Form, und in Großbritannien heißt das: Politik ist Rede, Rhetorik, glänzende Formulierung, scharfer Kommentar und pointierte Wortspitze. Während in Deutschland Politik den Stil kleinbürgerlicher Vereinsmeierei annimmt, bleibt sie in Großbritannien auch in der größten Krise herrliches Drama.
Das gilt auch für die Kommentare der Presse, die sich jetzt genussvoll auf den neuen Führungsstreit der Tories stürzt: Allein die prachtvollen Metaphern: ein Finanzminister, der "mit dem Fallschirm über Downing Street abgeworfen" wurde, eine "Regierung im Blindflug".
Die Briten gefallen sich so sehr in dieser Dramatisierung des Politischen und dem Drama der Politik, dass sie die Politik selbst darüber vergessen.
Tatsächlich ist auch die jetzige Agonie der erst gerade ins Amt gehobenen Regierung und die Choreographie des Machtballetts der Stoff aus dem ein William Shakespeare Königsdramen geschaffen hat. Denn nicht nur "Richard III.", sondern auch "Richard II." ist ein Stück von William Shakespeare.
In "Richard II." geht es um den Niedergang der Herrschaft des Königs und um den Aufstieg seines Rivalen. Es geht auch um Worthülsen, die immer leerer werden, um schöne Worte, hinter denen nichts mehr ist, um den matten Glanz vergehender Macht. Es geht um die Räte des Königs und das Immer-Einsamer-Werden des Königs.
Genau dies geschieht gerade in London.
Jeremy Hunt schreddert Truss' Wirtschaftspläne
Jeremy Hunt, der neue Schatzkanzler, ein Gefolgsmann des Truss-Rivalen Rishi Sunak, spricht in seinen ersten Erklärungen seit Freitag nun von "schwierigen Entscheidungen, die kommen" würden und von "Fehlern" der Premierministerin – womit er diese gleich öffentlich anzählt.
Mit den "Trussonomics" ist es vorbei: "Die Premierministerin hat das anerkannt. Darum bin ich jetzt hier", sagte Hunt.
Die Kommentare an diesem Montag machten klar: "Jeremy Hunt schreddert Truss' Wirtschaftspläne in einer erstaunlichen 180-Grad-Wende in der Steuerfrage."
Der Guardian nennt es "eine der erstaunlichsten Kehrtwenden in der modernen politischen Geschichte" und fährt fort:
"Der neue Kanzler demontierte fast das gesamte Programm, auf dem Truss' Wahlsieg aufgebaut war, einschließlich der meisten ihrer Steuersenkungen."
Während Hunt, im Augenblick der stärkste Mann der Regierung, und Truss innerparteiliche Rivalin Penny Mordaunt dem Unterhaus Rede und Antwort standen, wobei diese ihre Chance so nutzte wie Marc Aurel in Shakespears Julius Caesar: Sie gab sich formal loyal zu Truss, während sie sie auf freundliche Weise noch weiter zum Abschuss freigab.
Truss dagegen scheute dummerweise den Auftritt im Parlament und verlegte sich auf innerparteiliche Diplomatie: In Treffen mit den verschiedenen Parteiflügeln entschuldigte sich Truss für das Chaos der letzten Tage und bat um Vertrauen "bis 2024".
Ob all das aber ausreicht, um Truss' Regierung zu retten, darüber bestehen massive Zweifel.