Lizenzen zum Töten

Ab Januar gilt das neue Patentrecht der Welthandelsorganisation, medizinische Nothelfer befürchten Medikamentenknappheit in Entwicklungsstaaten

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Erst vor wenigen Jahren war medizinischen Hilfsorganisationen der Durchbruch gelungen. Durch den flächendeckenden Einsatz von nachproduzierten Medikamenten, sogenannten Generika, konnten die Behandlungskosten für verheerende Krankheiten wie Aids, Tuberkulose oder Malaria massiv gesenkt werden. Im Fall von Aids-Therapien gelang durch den Einsatz der preisgünstigen Nachahmerpräparate eine Preissenkung von 10.000 US-Dollar pro Person und Jahr auf gut 150 US-Dollar. "Nur so können wir und andere Hilfsorganisationen unsere Programme ausbauen", sagt Tobias Luppe von den Ärzten ohne Grenzen.

Doch nun ist der Erfolg in Gefahr: durch das internationale Handelsregime der WTO. Ab dem ersten Januar verpflichtet die Weltorganisation eine Reihe von Entwicklungs- und Schwellenländern dazu, das internationale Patentrecht in ihre nationale Gesetzgebung aufzunehmen.

Eine neue Untersuchung, die Luppe für die "Ärzte ohne Grenzen" erstellt hat, zeigt nun auf, "dass die Generikaproduktion dadurch immer weiter zurückgedrängt wird". Fallen diese Präparate nun weg, droht die Medikamentenversorgung in weiten Teilen der sogenannten Dritten Welt zusammenzubrechen, weil dort schlichtweg keine Mittel für die teuren Originalpräparate zur Verfügung stehen.

Generika-Produktion in Gefahr

Hintergrund der fragwürdigen WTO-Politik ist das sogenannte Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS). In ihm wurden 1995, im Gründungsjahr der WTO, Fristen für die Umsetzung der Patentrichtlinien gesetzt. Während das internationale Patentrecht in Industriestaaten einheitlich seit Anfang des Jahres 2000 gilt, müssen Schwellen- und Entwicklungsländer den Vorgaben spätestens ab dem 1. Januar 2005 folgen. Nur die ärmsten Entwicklungsstaaten haben bis Anfang des Jahres 2016 Zeit, das internationale Patentrecht zu etablieren.

Dabei geht es keineswegs um die Vereinheitlichung eines fairen und weltweiten Handelsrechtes, wie die Fürsprecher des TRIPS-Papiers glauben machen wollen. Zahlreiche Konzerne aus Industriestaaten haben sich in den vergangenen Jahren die Rechte über bekannte Marken gesichert. Der Ansturm auf die Patente betraf nicht nur die Pharmaindustrie, auch Nahrungsmittel (wie etwa die Reissorte Basmati) sind inzwischen Exklusivprodukte bestimmter Unternehmen. Mit Hilfe der WTO können sie die Preise künftig in immer weiteren Weltregionen auf einem entsprechend hohen Niveau festlegen (Pillen und Patente).

Besonders betroffen von den neuen WTO-Verpflichtungen im medizinischen Bereich ist die indische Pharmaindustrie (Gewonnen hat: Die Pharmaindustrie). Gleich drei Unternehmen hatten sich hier in den vergangenen Jahren auf die Produktion von Nachahmerpräparaten für die Aids-Behandlung mit sogenannten antiretroviralen Medikamenten spezialisiert. Möglich wurde dies allein durch das indische Patentrecht aus dem Jahr 1970, das zwar Produktionsschritte unter Urheberschutz stellte, nicht aber die Produkte an sich. Nach der chemischen Analyse der Originalmedikamente stellten die indischen Pharmaunternehmen den Produktionsablauf daher um und konnten so die teuren Medikamente zu einem Bruchteil der Kosten nachproduzieren - ohne gegen geltendes Patentrecht zu verstoßen.

Am ersten Januar wird diesem Vorgehen ein jähes Ende gesetzt. Zwar können auch dann noch Medikamente als Generika kostengünstig nachproduziert werden, jedoch nur in Fällen, in denen das Patent vor dem Jahr 1995 angemeldet wurde. Bei Medikamentenentwicklungen aus den vergangenen zehn Jahren können von den ursprünglichen Entwicklern dann jedoch rückwirkend Patentrechte oder exklusive Vermarktungsrechte eingefordert werden.

Medikamente werden unbezahlbar

Vor allem für die Aids-Bekämpfung entstehen erhebliche Probleme. Wie bei vielen anderen Infektionskrankheiten bilden die Patienten nach Ausbruch der Immunschwächekrankheit nach einem gewissen Behandlungszeitraum Resistenzen oder Unverträglichkeiten gegen die anfänglich eingesetzten Wirkstoffe. Geschieht dies, werden neue Medikamente eingesetzt.

"Die erste Therapielinie werden wir künftig noch abdecken können, weil dabei Präparate zum Einsatz kommen, die sich schon seit geraumer Zeit auf dem Markt befinden", erklärte Luppe im Gespräch mit Telepolis. Wenn diese Stoffe aber in ihrer Wirkung nachließen, würden einzelne bislang eingesetzte Austauschpräparate für die antiretrovirale Therapie künftig schon nicht mehr als Generika zur Verfügung stehen. "Spätestens in der dritten Therapielinie werden wir ab dem kommenden Jahr voraussichtlich keine Medikamente mehr bezahlen können", so der Aids-Experte. Dabei hatte die Generikatherapie der medizinischen Hilfsorganisationen noch einen weiteren Vorteil: Präparate verschiedener Hersteller konnten in eine Tablette gepresst werden.

Ein Beispiel hierfür ist das Kombinationspräparat Triomune des indischen Herstellers Cipla. Dieses Präparat ist von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) qualitätsgeprüft. Es wird zweimal täglich eingenommen. Als Originalpräparate müssten die Patienten sechs Tabletten täglich einnehmen. Gerade in infrastrukturschwachen Regionen ist dies eine wichtige logistische Erleichterung bei der Behandlung und fördert die Therapieadhärenz der Patienten erheblich. Die Patentrechte für die drei enthaltenen Wirkstoffe liegen bei drei Pharmaunternehmen und einer Universität. Die Patenhalter konnten sich bisher nicht auf eine Zusammenarbeit einigen.

Aus der Studie "Patentschutz und die Zukunft des Medikamentenzugangs in ärmeren Ländern" von Tobias Luppe und Stephan Kreischer (Ärzte ohne Grenzen)

Druck auf produzierende Unternehmen notwendig

Zweifelsohne steht die Bundesregierung in der Handlungspflicht. "Zugangsrechte zu (...) medizinischer Versorgung für alle Menschen weltweit sind wesentliche Voraussetzungen für Entwicklung und müssen deshalb (...) gesichert werden", heißt es in den Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und Bündnis90/ Die Grünen.

Die "Ärzte ohne Grenzen" fordern daher, Unternehmen der forschenden Arzneimittelindustrie "durch Dialog und Einmischung seitens der Bundesregierung verstärkt zu transparenten Preisnachlässen, Patentverzichten in ärmeren Ländern, zur Vergabe von freiwilligen Produktionslizenzen und zu verstärkter Forschung an vernachlässigten Krankheiten" zu bewegen. Schließlich lässt auch die WTO die Verhängung von sogenannten Zwangslizenzen für Pharmazeutika in besonderen Härtefällen zu. Die Hürden dafür sind aber hoch gesetzt. Möglich, so heißt es immer wieder, sei auch die Verhandlung zwischen betroffenen Staaten und den Produzenten.

Als medizinische Hilfsorganisationen im vergangenen Jahr die Pharmakonzerne GlaxoSmithKline und Boehringer Ingelheim zu einer solchen freiwilligen Lizenz für Südafrika bewegen wollten, war deren Unwille jedoch groß. Erst durch "erheblichen politischen Druck, eine informierte Öffentlichkeit und die glaubwürdige Drohung mit einer Zwangslizenz" hätten die Unternehmen eingelenkt, sagt Luppe. Das war aber wohl erst ein Vorgeschmack auf die ab Januar bevorstehenden Auseinandersetzungen, wenn es heißt: Geld oder Leben.