Lobbyismus: König Bertelsmann

Seite 3: Piraten gegen Arvato

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Die Große Anfrage der NRW-Piraten war die bislang umfänglichste Prüfung, der Parlamentarier die Regierenden hierzulande bezüglich ihrer Bertelsmann-Hörigkeit unterzogen.

Den Anfang hatte die Linkspartei gemacht: Schon 2007 nahm die Kleine Anfrage von der Linken im Berliner Bundestag "die informellen Einflüsse der Bertelsmann-Stiftung im Bundeskanzleramt im Rahmen der Initiative Bürokratieabbau" unter die Lupe und fragte nach personeller Verquickung des beim schwarzgelben Kanzleramt eingerichteten "Normenkontrollrats" (NKR).

Dass die Urheberschaft einer Blaupause für das Gesetz zum NKR bei Bertelsmann lag, bestritt die Regierung Merkel zwar. Doch die Antwort brachte ans Tageslicht, dass der offenbar für ein nettes Zubrot von 15.000 Euro per Anno im NKR sitzende erz-neoliberale Eucken- und Rüstow-Preisträger Hans D. Barbier nicht nur in der Naumann-, Erhard- und Hayek-Stiftung, sondern von 1996-2004 auch im "Beirat/Kuratorium der Bertelsmann-Stiftung" saß, was bislang selbst Lobbypedia verborgen blieb (die Suchfunktion der Bertelsmann-Website kennt H. D. Barbier zumindest heute auch nicht mehr).

Arvato: Große Datenbank, wenig Transparenz

2013 startete der Pirat Martin Delius im Berliner Landesparlament die Kleine Anfrage: Datenhandel mit Hilfe Berliner Schulen - Verkaufen wir unsere Kinder an Bertelsmann und Co.?. Delius wies damit auf das Hauptfeld der Bertelsmann-Lobbyisten, die Bildungspolitik, hin sowie auf den wachsenden Konzernzweig Arvato (Internet/Logistik/Outsourcing), der es versteht, noch unauffälliger zu bleiben als der Rest des sich mit vielen Labels schmückenden, um nicht zu sagen tarnenden Konzerns.

Arvato sorgt als Verwalter der größten privaten Datenbank der Bundesbürger für Transparenz der Bevölkerung. Aber gilt das auch für eigene Aktivitäten? Auf der nur mühsam zu durchsuchenden Website Arvato.com ist z.B. das Arvato-ServiceCenter Düsseldorf nicht zu finden.

Die Frage, ob wir Arvato unsere Daten anvertrauen können, wiegt dabei schwer. Auch wenn uns Lobbyisten der Big-Data-Industrie heute einreden wollen "Daten sind das neue Öl", so wissen wir doch, dass diese Firmen ihr neues "Öl" aus unserem Recht auf Privatheit herausbohren wollen.

Wenn uns das neue EU-Datenschutzgesetz 2015 in einem viel beworbenen Film als heroisch den Lobbyisten abgetrotzt verkauft wurde, sollte es uns nachdenklich stimmen, dass die damals zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding, heute bei Bertelsmann im Stiftungs-Kuratorium sitzt, also bei einem Big Player im Geschäft mit Big Data.

Ein Datenschutz-Eklat um illegalen Handel mit Adress- und Kontodaten tausender Verbraucher weitete sich 2008 aus - auch Bertelsmann/Arvato schien darin verwickelt. Die Polizei durchsuchte Adresshändler und Callcenter, der Skandal brachte es bis in die Tagesschau. Hamburger Verbraucherschützer meldeten, es lägen im zeitlichen Zusammenhang des Skandals verdächtig viele Beschwerden von Verbrauchern gegen eine Firma vor, die zur Direct Group der Bertelsmann AG gehöre.

Auch die Medien, soweit sie Berichterstattung über Kritik an Bertelsmann nicht völlig tabuisieren, kennen Arvato scheinbar nicht: Der WDR, der offenbar als einziger Sender überhaupt die Bertelsmann-Lobbyismus-Debatte des NRW-Parlamentserwähnte, sprach von "einem Dienstleistungsunternehmen" des Bertelsmann-Konzerns, welches das Servicecenter der Landesregierung betreibe.

Mit einem Volumen von fünf Millionen fällt Arvatos Einsatz in Düsseldorf bei 5,6 Milliarden Euro Umsatz der Konzerntochter finanziell wohl kaum ins Gewicht. Die politische Bedeutung ist dagegen höher anzusetzen, wie nicht zuletzt die Anfrage der Piraten offenbart hat.

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