Lukaschenko: Ein toter Journalist und Ärger mit Moskau

Im Dezember finden in Weißrussland Präsidentschaftswahlen statt. Der amtierende Präsident Alexander Lukaschenko wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch diesen Wahlen als Sieger hervorgehen

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Lukaschenko erfreut sich immer noch hoher Popularitätswerte und zudem ist die weißrussische Opposition zerstritten. Dennoch werden die nächsten Monate für Lukaschenko nicht einfach. Kurz vor der Verkündung des offiziellen Wahltermins verstarb auf mysteriöse Weise der oppositionelle Journalist Oleg Bebenin. Und auch der Kreml könnte in den nächsten Wochen versuchen, in dem Wahlkampf kräftig mitzumischen. Schon in den letzten Monaten zeigte die russische Führung, dass sie sich von Lukaschenko und seinem Regime abgewendet hat.

Einfach einen netten Abend wollte Oleg Bebenin am 2. September erleben. Mit mehreren Freunden verabredete sich der weißrussische Journalist für diesen Donnerstag zu einem Kinobesuch in Minsk. Dass Bebenin, Gründer und Chef der oppositionellen Internetseite Charter97.org zu der Verabredung jedoch nicht pünktlich kommen würde, wussten seine Freunde bereits. Per SMS informierte er sie über seine Verspätung, ohne den Abend abzusagen. Doch Bebenin erschien überhaupt nicht mehr zu seiner Kinoverabredung. Erst am nächsten Abend fanden die Freunde den oppositionellen Journalisten in seiner Datscha am Rande von Minsk.

Zu diesem Zeitpunkt war Oleg Bebenin bereits tot. Und die ersten Indizien deuteten daraufhin, dass Bebenin in seiner Datscha Selbstmord beging. Sein Leichnam hing an einem Strick und neben dem leblosen Körper lagen ein umgestürzter Hocker sowie zwei leere Wodkaflaschen. Für die weißrussischen Behörden ausreichende Beweise, um nach der Obduktion des Leichnams von einem Suizid zu sprechen.

Mit dieser Version wollen sich Bebenins Freunde und Kollegen jedoch nicht abfinden. "Oleg war ein junger und dynamischer Journalist. Ich habe immer gesagt, dass solche Leute die Zukunft Weißrusslands sind. Was genau passiert ist, weiß ich nicht, dass er aber einen Selbstmord begangen haben soll, glaube ich einfach nicht", sagte beispielsweise der ehemalige weißrussische Präsident und heutige Oppositionspolitiker Stanislau Schuschkewitsch gegenüber der polnischen Gazeta Wyborcza.

Zweifel an Selbstmord

Genügend Gründe, um an einem Selbstmord Bebenins zu zweifeln, gibt es durchaus. So wird Bebenin von seinen Bekannten nicht nur als ein dynamischer, sondern auch als ein lebensfroher Mensch bezeichnet. Seltsam ist auch, dass weder in der Datscha noch in Bebenins Wohnung ein Abschiedsbrief gefunden wurde. Erstaunlich ist ebenfalls, dass Bebenin mit seinen Füßen Bodenkontakt hatte, obwohl er sich angeblich erhängt hat. Doch die größten Zweifel an der Selbstmordtheorie kommen durch die Obduktionsergebnisse. Bebenin ist zwar erstickt, doch die für diese Todesart typischen Strangulationsmerkmale fehlten. Zudem ging die Miliz zunächst davon aus, dass der Journalist mittags gestorben sein muss, da dessen Körper noch warm war, als man ihn fand. Nach der Obduktion wurde Bebenins Tod jedoch auf den 2. September datiert, weshalb sich viele Freunde des Journalisten fragen, wie sich die Körperwärme so lange halten konnte.

Bestärkt werden die Zweifel an einem Selbstmord durch die politische Tätigkeit Oleg Bebenins. Dieser war nicht nur Gründer und Betreiber der populärsten oppositionellen Internetplattform, sondern unterstützte auch den Politiker Andrej Sannikow, den Vorsitzenden der Partei Europäisches Weißrussland, der bei den am 19. Dezember stattfindenden Präsidentschaftswahlen gegen den Amtsinhaber Alexander Lukascheko antreten wird. Angeblich sollte Bebenin gar den Wahlkampf des Politikers leiten, dem durch die Unterstützung anderer Oppositionsgruppierungen gute Chancen auf einen Achtungserfolg vorausgesagt werden.

Und wie gefährlich solch ein Engagement in Weißrussland ist, musste Oleg Bebenin bereits in der Vergangenheit erfahren. 1997 wurde der Journalist von Unbekannten in einen Wald verschleppt, wo man ihm mit Gewalt drohte, falls er nicht mit seiner Kritik an der Regierung aufhöre. Wer die damaligen Täter waren, konnte zwar nie geklärt werden, doch Bebenin hatte damals noch Glück: es blieb nur bei den Drohungen.

Weniger Glück hatten in diesen Jahren andere Regimekritiker. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen von 2001 verschwanden 1999 der Vize-Parlamentspräsident Viktor Gontschar, der ehemalige Innenminister Dimitrij Sacharenko und mehrere andere bekannte Oppositionelle. 2000 ist der Minsker Mitarbeiter des russischen Fernsehsenders ORT, Dimitrij Sawatzkij, spurlos verschwunden. Eine Todesschwadron hat die Regimekritiker entführt und ermordet, behauptete Oleg Alkajew, ehemaliger Mitarbeiter eines Hinrichtungskommandos, der 2001 über den Umweg Moskau von Minsk nach Berlin floh. Eine Aussage, die von mehreren anderen weißrussischen Quellen bestätigt wurde.

So ist es nicht erstaunlich, dass sich der Westen aufgrund des Todes von Oleg Bebenin beunruhigt zeigte. Die Organisation Reporter ohne Grenzen, aber auch die Europäische Union und die OSZE forderten von der weißrussischen Staatsführung eine lückenlose und objektive Aufklärung des Falles. Die Minsker Staatsanwaltschaft schließt daraufhin seit dem 13. September einen Mord nicht mehr aus.

Russland rückt von Lukaschenko ab

Großes Interesse an dem Fall zeigte jedoch auch ein Land, in dem Journalisten selber gefährlich leben: Russland. Egal ob Zeitungen oder das Staatsfernsehen, sie alle berichteten ausführlich über den mysteriösen Tod Oleg Bebenins und teilten dabei die Bedenken der weißrussischen Opposition.

Und gerade diese russische Kritik ist auf den ersten Blick erstaunlich. Während nach den letzten Parlamentswahlen 2008 die OSZE dem Lukaschenko-Regime Manipulation vorwarf, waren es noch Wahlbeobachter aus der GUS, vorwiegend aus Russland, die den Ablauf der Wahlen als korrekt und den weißrussischen Gesetzen entsprechend bezeichneten (Lukaschenko ohrfeigt den Westen). Doch in den letzten Jahren hat sich das Verhältnis zwischen dem Kreml und Lukaschenko merklich abgekühlt, wie es Anfang des Jahres der Streit um die russischen Öllieferungen nach Weißrussland erneut bewies.

Moskau ist mittlerweile von seinem einstigen Partner, der zwischen Russland und Weißrussland gar eine Union anstrebte und dafür bis zum Jahr 2007 mit jährlich rund 4 Milliarden Dollar vom Kreml subventioniert wurde, maßlos enttäuscht.

Bereits im Winter 2006/07 kam es zu ersten Unstimmigkeiten zwischen Minsk und Moskau, als man zunächst über Gas und später über die Öllieferungen stritt (Russische Politik mit Zuckerbrot und Peitsche). Schon damals hatte die russische Führung das Gefühl, dass Lukaschenko nur deshalb von einer Union zwischen den beiden Staaten sprach, um seine Macht aufgrund der wirtschaftlichen Vergünstigungen zu sichern. 2008 bekräftigten beide Seiten zwar noch einmal den langfristigen Wunsch nach einer Union, doch die Differenzen zwischen den beiden Staaten waren schon damals unübersehbar. Bestes Indiz dafür war die Haftentlassung mehrerer weißrussischer Oppositionspolitiker im August 2008. Mit diesem Schritt näherte sich Lukaschenko vorsichtig dem Westen an. Natürlich auch in der Hoffnung, so westliche Investoren ins Land zu holen (Weißrusslands langsame Emanzipation).

Durch den russisch-georgischen Konflikt vom August 2008 kam es erneut zu einer Annäherung zwischen Russland und seinem westlichen Nachbar. Moskau erhoffte sich von Minsk die Anerkennung der von Georgien abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien. Lukaschenko machte diese jedoch von den Parlamentswahlen im Herbst 2008 abhängig, die russische Beobachter wie schon erwähnt als fair bezeichneten. Die neu gewählten Parlamentarier sollten laut dem seit 1994 amtierenden Lukaschenko über die Anerkennung der beiden Republiken entscheiden. Doch bis heute hat Weißrussland die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens nicht anerkannt, was Moskau als einen Wortbruch Lukaschenkos versteht und bezeichnet.

Die durch den Streit mit Russland entstandenen Schäden für die weißrussischen Raffinerien konnte Lukaschenko mit Öllieferungen aus Venezuela zwar abmildern, die Wut des Kreml bekommt Lukaschenko aber immer noch zu spüren, und wie die letzten Wochen bewiesen, heftiger als je zuvor. Seit dem Sommer berichtet das russische Staatsfernsehen, das auch in Weißrussland größtenteils empfangbar ist, regelmäßig über Lukaschenko und Weißrussland. Und ähnlich wie im Fall des mittlerweile ehemaligen Moskauer Bürgermeisters Jurij Luschkow, setzen sich die Berichte kritisch mit der Regierungszeit Lukaschenkos auseinander. Der bisherige Höhepunkt der medialen Anti-Lukaschenko-Kampagne war die Ausstrahlung der Dokumentation Krestny i Batka (dt.: Väterchen und Pate) durch den zu Gazprom-Media gehörenden Fernsehsender NTW. Die dreiteilige Reihe, die zwischen Juli und August ausgestrahlt wurde, befasst sich mit dem Verschwinden mehrerer weißrussischer Oppositionspolitiker und suggeriert, dass diese von weißrussischen Spezialdiensten im Auftrag Lukaschenkos ermordet wurden.

Kritische Stimmen gegenüber Lukaschenko und seinem Regime gibt es aber nicht nur im russischen Fernsehen. In einem am 30. August erschienenem Interview für die Tageszeitung Kommersant gab Premierminister Wladimir Putin offen zu verstehen, dass er die Äußerungen Lukaschenkos gar nicht mehr ernst nimmt. "Ich habe vergessen, was er gesagt hat", sagte Putin, nachdem er auf abfällige Äußerungen Lukaschenkos zu seiner Person angesprochen wurde. Und wie sehr sich der Kreml von Lukaschenko abgewandt hat, hat die russische Führung bereits wenige Wochen vor dem Interview deutlich signalisiert, als nach Moskau gleich mehrere Vertreter der weißrussischen Opposition eingeladen wurden.

“Die werden mich nicht in die Knie zwingen“

Doch auch Lukaschenko demonstriert immer mehr seine Abkehr von der russischen Staatsführung. "Die werden mich nicht in die Knie zwingen", verkündet der "letzte Diktator Europas" wiederholt den weißrussischen Journalisten und scheut sich dabei auch nicht, die russische Staatsführung als "blöd" zu bezeichnen. Und so wie Moskau, sparte auch Lukaschenko nicht mit eindeutigen Gesten. Jurij Luschkow drückte er vor wenigen Tagen seine Sympathien aus. Doch am meisten verärgerte Lukaschenko die russische Staatsführung, als im Juli der georgische Staatspräsident Michail Saakaschwili im weißrussischen Staatsfernsehen Lukaschenko für die "weise Entscheidung" dankte, die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens nicht anerkannt zu haben.

Ein antirussische Rhetorik, die in Weißrussland offenbar gut ankommt. Trotz der Wirtschaftskrise, unter der die weißrussische Bevölkerung leidet, des mysteriösen Todes von Oleg Bebenin und der angespannten Beziehungen zu der Europäischen Union und Russland, ist ein Sieg Lukaschenkos bei den am 19. Dezember stattfindenden Präsidentschaftswahlen sehr wahrscheinlich. Dies aber nicht nur wegen der hohen Popularitätswerte, die Lukaschenko in Weißrussland genießt, sondern auch wegen der zerstrittenen weißrussischen Opposition. Gleich 15 Kandidaten werden gegen Lukaschenko antreten. Der Präsident, der 2004 in einem Referendum die Verfassung zu seinen Gunsten verändern ließ, gibt sich jedenfalls siegessicher. Wie er ankündigte, will er sich schon nach dem ersten Wahlgang als alter und neuer Präsident Weißrusslands feiern lassen.