"Lula": "Gott sei Dank kein Kommunist geworden"
Mit George Bush waren US-Beziehungen viel produktiver als später mit Obama: Überraschende Einsichten von Brasiliens Präsident in Oliver Stones Dokumentation in Cannes.
"Ich sage Ihnen was: Ich bin sicher, dass Hillary Clinton einfach Brasilien nicht mag" – er muss es wissen, und er nimmt in Oliver Stones Dokumentarfilm kein Blatt vor den Mund: Die Rede ist von Luiz Inácio Lula da Silva, geboren 1945, der gerade in seiner dritten Amtszeit als Präsident Brasilien regiert.
"Lula" heißt der Film, der jetzt bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere hatte, und Lula und dessen Einsichten sind sein zentraler Gegenstand. Dabei gibt sich der US-Linke Oliver Stone gar keine Mühe, seine Sympathie für die lateinamerikanische Linke zu verbergen, ebenso wenig seine Abneigung gegen die Regierenden aller Parteien in seiner US-amerikanischen Heimat.
Für Linke irritierende Einsichten
Stone hat in seiner langen Karriere neben zahlreichen Spielfilm-Politthrillern ("JFK"; "Nixon", W") auch zahlreiche Dokumentarfilme zu zeitgeschichtlichen Themen gedreht, nicht zuletzt mehrfach zur Geschichte Lateinamerikas, das mal in Washington verächtlich "der Hinterhof der USA" genannt wurde, sich aber aus dieser Rolle längst emanzipiert hat.
Die Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika, besonders zu Brasilien, sind auch für Lula ein zentrales Lebensthema. Das führt zu überraschenden, und gerade manche Linken irritierenden Einsichten:
"Unsere Beziehungen zu den USA sind nicht nur gut. Sie müssen gut sein", sagt Lula und betont, dass auch ein so mächtiges und großes Land wie Brasilien nicht gegen die USA Politik machen kann, sondern allenfalls aus respektablem Abstand.
"Die Republikaner sind besser für uns"
In seinen ersten zwei Amtszeiten zwischen 2002 und 2012 hat Lula zur eigenen Verwunderung bessere Erfahrungen mit George W. Bush und den Republikanern gemacht, als mit den ihm politisch vermeintlich näher stehenden Demokraten.
Das liegt nicht an den persönlichen Vorlieben Hilary Clintons, sondern an den ökonomischen Rahmenbedingungen. Der Protektionismus vieler US-amerikanischen Regierungen sei das Hauptproblem für Brasilien.
Die Demokraten sind viel protektionistischer und deswegen viel schlechter für uns, als die Republikaner, die zumindest im Prinzip für einen möglichst freien Markt sind.
Luiz Inácio Lula da Silva
Das betrifft nicht nur die Handels-, sondern auch die Außenpolitik:
Mit George Bush waren es gute Beziehungen. Denn er hat bestimmte Kenntnisse und ein grundsätzliches Verständnis für Lateinamerika gehabt. Da war die Außenpolitik viel produktiver als später mit Obama.
Luiz Inácio Lula da Silva
"Ich habe Politik nie gemocht"
Grundsätzlich ist der Film inhaltlich in seinen Details sehr schwer verständlich, denn es wird sehr viel und dicht und sehr schnell erzählt.
Oliver Stone führte drei Interviews mit Lula, 2009 für seinen Dokumentarfilm "South of the border" über die "Pink Tide", die Welle lateinamerikanischer Politführer aus der Linken. Dann 2022, zehn Monate vor der dritten Wahl Lulas, und eines für diesen Film.
Stone skizziert Lulas Werdegang aus ärmsten Familienverhältnissen und als ersten Jungen seiner Familie, der mehr als den Mindestlohn verdiente und kommt dann auf die politische Karriere: Als Gegner der Gewerkschaften stieg Lula zum Gewerkschaftsführer auf, und als an der Politik Desinteressierter – "I never enjoyed politics" ("Ich habe Politik nie gemocht") – wurde er während der 21-jährigen Militärdiktatur in Brasilien (1964-1985) zum Gründer der wichtigsten politischen Oppositionspartei und jener Partei, die die gespaltene Linke seines Landes vereinigte: der Arbeiterpartei PT.
Als Präsident sorgte Lula mit der "Bolsa Familia" für eine Revolution der brasilianischen Sozialpolitik. Lula brachte 20 Millionen aus der Armut.
Dafür wird er von der brasilianischen Rechten angefeindet: Man solle Armut nicht romantisieren. "Thanks to God I did not become a communist" ("Gott sei Dank bin ich kein Kommunist geworden") Aber: "I am in love with the Cuban Revolution" ("Ich bin verliebt in die kubanische Revolution").
"Lawfare" - demokratisch gesonnene Bürger als nützliche Idioten autoritärer Interessen
Die USA haben die Linke und damit Lula immer bekämpft. Eindringlich zeigt Stone, wie zunächst das unter Obama installierte Spionageprogramm der USA besonders die Brasilianer traf, und man zwar alle möglichen verbündeten Staatschefs bespitzelte. Aber: "Es gab eine Entschuldigung für Merkel, aber keine Entschuldigung für Dilma Rousseff, Lulas Nachfolgerin."
Dann begann die "Operation Carwash", die sich unter dem Mantel des Kampfs gegen Korruption schnell als ein Mittel entpuppte, um missliebige, aber demokratisch gewählte Regierungen mit Schmutzkampagnen zu überziehen.
Der Generalstaatsanwalt für Korruptionsverfolgung, Sergio Moro, hatte es vor allem auf Lula und Rouseff abgesehen.
Es war der prominenteste Fall von "Lawfare", dem Gebrauch und der Beugung des Rechts in Partnerschaft mit willigen Medienkonzernen zum Mittel einer politischen Kriegsführung.
Dies ist die Hauptthese von Oliver Stones Film und sie geht über Lula weit hinaus: "Lawfare" ist heute das wichtigste Mittel, um Demokratien von Innen auszuhöhlen und demokratisch gesonnene Bürger zu nützlichen Idioten autoritärer Interessen zu machen.